Foto: Aleksandrs Antonenko als Otello © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn
Wiener Staatsoper, 24. Juni 2019, zweite Aufführung dieser Neuinszenierung (Premiere am 20. Juni 2019)
Giuseppe Verdi, Otello
Von Manfred A. Schmid (onlinemerker.com)
Dass Aleksandrs Antonenko in einer tiefen Stimmkrise steckt, weiß man nicht erst aus der Wiener Otello-Premiere vor wenige Tagen. Seit Jahresbeginn schon macht er mehr durch Absagen Schlagzeilen als durch höchst unsicher gewordene Auftritte: Im Jänner stieg er nach Verrissen seiner Leistung als Hermann in Tschaikowskys Pique Dame an der Royal Opera Covent Garden aus. Im März musste er an der MET nach einem verhauten ersten Akt in Samson et Delilah durch Gregory Kunde ersetzt werden. Im Monat darauf folgte die nächste Niederlage, als er in der Titelpartie des Pariser Otello nach nur einer mäßigen Vorstellung das Handtuch warf.
Angesichts dieser eindeutig negativen Bilanz kann man sich nur wundern, wenn nun in Wien bei der zweiten Otello-Aufführung in der Pause – nach zwei von ihm in elendiger stimmlicher Verfassung gesungenen Akten – tolldreist von einer plötzlichen Indisposition infolge einer Verkühlung gefaselt wird. So wird Antonenko also zunächst als Retter des Abends präsentiert und beim Schlussbeifall dann tatsächlich noch als ein solcher gefeiert! Geht´s noch?
Selbstverständlich hat sich der Sänger mit dieser Ansage einer kritischen Beurteilung seiner aktuellen Mitwirkung entzogen. Daher gleich zu den ernstzunehmenden Stimmen auf der Bühne: Olga Bezsmertna hat es als Desdemona natürlich nicht leicht, sich an der Seite eines derart gehandikapten Geliebten zur Bestform zu steigern. Da trifft es sich gut, dass sie in einem Großteil des Vierten Akts so gut wie allein auf der Bühne steht. Ihr Mann, der eben erst seine Brutalität ihr gegenüber in aller Öffentlichkeit zur Schau gestellt und damit alle vor den Kopf gestoßen hat, ist nur in ihren Gedanken und Gefühlen anwesend. Überaus bedrohlich zwar, immerhin aber stumm.
Wenn sie da im Schlafzimmer mit Innigkeit und voll von Beklemmung ob dem, was kommen mag, „Canzone del salice“, das Lied von der Weide, singt, geht das schon unter die Haut. Und wie sie ihren nicht übergroßen, aber doch vollen Sopran bis ins zarteste pianissimo zurückzunehmen vermag, zeichnet auch das anschließend bezwingend gestaltete „Ave Maria“ aus. Bezsmertna zeigt eindrucksvoll, dass sie durchaus in der Lage ist, das große Haus mit ihrem fein geführten, satten Sopran und ihrer intensiven Gestaltung zu füllen und das Publikum in ihren Bann zu ziehen.
Jinxu Xiahou ist ein gefälliger, für einen Hauptmann, der schließlich zum Nachfolger Otellos gekürt wird, vielleicht etwas zu gutmütig und naiv wirkender Cassio. Gesanglich aber ist nichts an ihm auszusetzen. Leonardo Navarro und Manuel Walser fallen als Roderigo und Montano nicht allzu sehr auf, was an ihren Rollen liegt und auch durch die bunte Aufmachung Roderigos nicht wettzumachen ist. Prächtig wie gewohnt orgelt der Bass von Jongmin Park und strahlt so als Lodovico die Autorität und Würde des Abgesandten vom Hofe des Dogen aus.
Der Jago von Vladislav Sulimsky ist ein schmieriger, zynischer Bösewicht. Stimmlich stark, aber etwas eindimensional und hörbar raubeinig angelegt, in der Phrasierung zuweilen ungenau. Dennoch ist man froh, nach dem Totalausfall des Otello mit ihm und mit Park zwei weitere, sehr präsente Bühnenpersönlichkeiten auf der Bühne zu haben. Das gilt letztlich auch für Margarita Gritskova, die als Emilia handlungsgemäß zwar nur eine Nebenerscheinung ist, aber auch so die Aufmerksamkeit auf sich zieht und gesanglich ohnehin eine Luxusbesetzung für diese Rolle ist.
Der Chor macht – nicht nur in der bewegt wogenden Anfangsszene – seine Sache wie gewohnt gut. Der Dirigent Myung-Whun Chung fällt vor allem dadurch auf, dass er Spannung offenbar mit einem Übermaß an Phonzahlen gleichsetzt und so das Staatsopernorchester manchmal zu laut spielen lässt, ansonsten aber wenig differenzierend vorgeht.
Und die Inszenierung von Adrian Noble: Ihre bemerkenswerteste Leistung ist, dass sie die unsägliche Boxring-Inszenierung von Christine Mielitz abgelöst hat. Dafür nimmt man auch die nicht sehr plausibel scheinende Versetzung der Handlung in das Jahr 1910 in Kauf. Man wird sich an sie gewöhnen.
Manfred A. Schmid, 24. Juni 2019