Semperoper Dresden: Der Fluch ist überall im "Rigoletto"

Giuseppe Verdi, Rigoletto,  Semperoper Dresden

© Klaus Gigga
Giuseppe Verdi, Rigoletto
Semperoper Dresden
, 17. November 2017
Eun Sun Kim Dirigentin
Sächsische Staatskapelle Dresden
Nikolaus Lehnhoff (1939 – 2015) Inszenierung
Raimund Bauer Bühne
Markus Marquardt Rigoletto
Elena Gorshunova Gilda
Yosep Kang Der Herzog von Mantua

von Yehya Alazem

La Maledizione (Der Fluch) war der ursprüngliche Name von Giuseppe Verdis Meisterwerk „Rigoletto“. Diese Oper, die auf dem Melodrama „Le Roi s’amuse“ von Victor Hugo beruht, wurde 1851 vor der Uraufführung am Teatro La Fenice in Venedig von der Zensur verboten. Verdi und sein Librettist mussten sowohl den Titel als auch den Ort ändern. Der Name der Oper wurde Rigoletto, und die Handlung wurde von Paris nach Mantua verlegt.

Wenn man die Inszenierung von Nikolas Lehnhoff (1939 – 2015) an der Semperoper Dresden richtig benennen will, kann es nur einen Namen geben: La Maledizione. Der Regisseur bringt den Kern der Oper hervor. Der Fluch ist überall. Wir spüren und sehen ihn sogar. Der Fluch existiert in den Wänden, im Licht, im Chor – dessen Sänger sind als Teufel maskiert – und im Schatten. Der Fluch schwebt wie eine Wolke über der ganzen Bühne.

Die Inszenierung zeigt deutlich die Beziehungen zwischen den drei Hauptfiguren und bewahrt das Gleichgewicht zwischen ihnen die ganze Oper hindurch. Rigoletto überlässt die Töchter aller anderen Darsteller dem Herzog, um diesen von seiner eigenen Tochter fern zu halten. Gilda ist zwischen ihrem Vater und ihrem Geliebten hin- und hergerissen, aber am Ende ist ihre Liebe zu dem Herzog die größte. Rigoletto ist sich des Fluches bewusst – nach dem Tod seiner Tochter tauchen andere Rigolettos auf der Bühne auf, und er sieht ein, dass dies das Ergebnis seiner eigenen Taten ist.

Diese Oper hat eine Handlung, die für alle Zeiten geeignet ist. Die Inszenierung ist zeitlos. Das Bühnenbild von Raimund Bauer ist unkompliziert. Der Palast des Herzogs ist ein schwarzer Raum, der der Inszenierungsidee Lehnhoffs genau entspricht. In der zweiten Szene sehen wir Gildas märchenhaftes Zimmer, dessen Wände voller Sterne sind. Das Zimmer ist nur mit einem Kinderbett möbliert und so gebaut, als wäre es ein Gefängnis für Gilda. Das Bühnenbild im letzten Akt ist abstrakt. Es gibt ein Zimmer mit zwei Wänden, in dem der Mörder Sparafucile und seine Schwester Maddalena wohnen.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der akkuraten Leitung der koreanischen Dirigentin Eun Sun Kim kitzelt das Dunkle, das Schwarze und das Schicksalsvolle aus Verdis Partitur hervor. Hier gibt es keine Risikominimierung – die Musiker spielen mit Glut und Energie und behalten die Präzision und Transparenz das ganze Werk hindurch. Schon bei der Ouvertüre ist der Hörer vom Fluch ergriffen – und bleibt es bis zum letzten Ton der Oper. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden singt glasklar und engagiert und klingt wie ein einziger Klangkörper.

Der in Düsseldorf geborene Bariton Markus Marquardt stellt einen überzeugenden Rigoletto dar – obwohl seine Leistung ein wenig zu vorhersehbar ist. Von Anfang an ist er so verzweifelt, als ob er schon wüsste, was am Ende geschehen wird. Er besitzt eine runde Stimme mit farbenreichem Klang und eine gute Technik. Marquardt bringt alle Seiten der Titelfigur hervor – er ist der lustige Clown, der hingebungsvoll liebende Vater und das Monster, wenn er seine Maske im zweiten Akt entfernt.

Der koreanische Tenor Yosep Kang singt, obwohl er sich eine plötzliche Erkältung zugezogen hat, überzeugend. Man hört, dass er an diesem Abend in der hohen Lage keine Stabilität hat, aber er zeigt, wie gut er seine Stimme und seine Technik kennt. Er weiß genau, wie er sich der schwierigen Stellen annehmen muss, wenn er wegen einer Erkältung keine gute Kontrolle darüber hat. In der Mittellage kann man seinen soliden, charmanten Spinto-Klang spüren.

Der Star des Abends ist ohne Zweifel die russische Sopranistin Elena Gorshunova als Gilda. Seit ihrem Debüt an der Semperoper Dresden 2010 als Sophie im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss singt sie ständig an diesem Haus. Schon vom ersten Ton spürt man, wie sie diese Rolle liebt. An diesem Abend IST sie Gilda. Sie stellt die liebevolle Tochter und das unschuldige Mädchen auf superbe Art und Weise dar. Ihre Stimme hat einen schönen, warmen Klang, der seine Wärme und Dichte in der Höhe nie verliert. Technisch ist sie ebenso phantastisch – ihre Spitzentöne sind brillant und glitzern im ganzen Raum.

Mit einer ausgezeichneten Inszenierung, die von der Partitur ausgeht, und phantastischen Musikern wird man vom Tiefsten dieser Verdi-Oper ergriffen – weshalb dieser Abend so außergewöhnlich und hervorragend ist.

Yehya Alazem, 19. November 2017, für
klassik-begeistert.de

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