Liberté, Egalité, Verdinité: Gewaltätige Leidenschaft aus dem Staatstheater Stuttgart

Giuseppe Verdi, Rigoletto, Staatstheater Stuttgart, 19. Oktober 2018

Bildquelle:  Wikimedia Commons (Schlaier)
Giuseppe Verdi, Rigoletto, Staatstheater Stuttgart, 19. Oktober 2018

Musikalische Leitung Giuliano Carella
Regie und Dramaturgie Jossi WielerSergio Morabito
Bühne Bert Neumann
Chor Manuel Pujol

Herzog von Mantua Pavel Valuzhin
Rigoletto Dalibor Jenis
Gilda Beate Ritter
Graf von Monterone David Steffens
Graf von Ceprano Jasper Leever
Gräfin von Ceprano Carina Schmieger
Marullo Paweł Konik
Borsa Kai Kluge
Sparafucile Adam Palka
Maddalena Stine Marie Fischer
Giovanna Maria Theresa Ullrich
Page Philipp Nicklaus

Staatsopernchor StuttgartStaatsorchester Stuttgart

von Maria Steinhilber

„An dem Tage, an dem das Christentum zum Menschen gesagt hat: du hast eine doppelte Natur; du bestehst aus zwei Wesen, das eine ist vergänglich, das andere unsterblich, das eine ist Fleisch, das andere dem Äther verwandt, das eine ist den Begierden, Bedürfnissen, Leidenschaften unterworfen, das andere fliegt dahin auf den Schwingen der göttlichen Begeisterung und des Traums, das eine neigt sich stets herab zur Erde, seiner Mutter, das andere erhebt sich ohne Unterlass zum Himmel, seiner Heimat, empor; – an jenem Tage wurde das Drama geschaffen.“ Victor Hugo

Hinter Victor Hugos dramatischer Dramaturgie blitzt folgende Aussage auf: Der Mensch ist ein Monster, oder das Monster ist ein Mensch? Statt des Tyrannen mordet Rigoletto in der Gestalt eines Narren sein eigenes Kind.

© A. T. Schaefer

Giuseppe Verdis Rigoletto basiert auf Victor Hugos Drama Le Roi s´amuse, das nach einmaliger Aufführung 1832 in Paris sofort verboten wurde. Verdi gelang es jedoch, ohne wesentliche Eingriffe in die Dramaturgie, Hugos Rigoletto zu einer umjubelten Premiere zu führen.

Jubeln will auch das prall gefüllte Stuttgarter Opernhaus. Viva Verdi steht den meisten Besuchern auf der Stirn geschrieben. Verdis zweistündiges illustratives Schauerwerk der Musik sorgt in vielen Momenten auch für Viva Verdi Stimmung. Alles war aber sicherlich nicht im Sinne des Opernlöwen, der sich selbst als „der am wenigsten gebildete“ unter den Komponisten vor und nach ihm bezeichnete.

Viva Verdi, Platz 3: Bert Neumann gelingt es, mit seiner Bühnenkonzeption dem Gefühl der mantuanischen Gassen des 16. Jahrhunderts zu erliegen. Ob im Palast des Herzogs von Mantua, in einer dunklen Sackgasse vor Rigolettos Haus oder in der düsteren Straße um Mitternacht vor Sparafuciles Haus, die Bühne lässt keine Wünsche übrig. Klassischer Touch, aromatisches Abendrot nach der Pause, dramatische dunkellilane Vorhänge und eine in sich zusammenfallende Kulisse nach Gildas Tod- 100 Punkte, Drama pur.

Viva Verdi, Platz 2: Die musikalisch leitende Hand ist Giuliano Carella. Ab den ersten Sekunden erstreckt sich ein wohltuendes Verdiklangbett. Dumpf, tosend, grotesk liebevoll. Bittersüßes c-Moll und bebende Tremoli prophezeien viel Applaus. Ebenbürtige Leistung vollziehen die Herren des Staatsopernchores. Auch wenn einige davon schon in die Jahre gekommen sind; für frischen Wind sorgen sie allemal. „Alles ist Vergnügen, alles ist Fest“ schmettern sie. Die sehr guten Stimmen mischen sich hervorragend.

Viva Verdi, Platz 1: Dalibor Jenis als Rigoletto. Muskulöses Timbre, weicher Tonfluss, dramatische Ausdruckskraft. Er ist ein international gefragtes Baritonsternchen und seine Erfahrung bis in den obersten Rang vernehmbar. Seine Stimme verschmilzt mit seiner Darstellung. „Hofnarr Dasein“ sowie sein Doppelleben als liebender Vater –  er überzeugt in jeder Nuance. Jenis ist ein großer Fang und lässt Verdiseelen hüpfen. Jener zwei Wesen, von welchen Victor Hugo sprach, nahm sich Dalibor Jenis an und schafft damit glorreiches Drama, ganz im Sinne Hugos. (Jenis ist im Februar 2019 als Nabucco an der Bayerischen Staatsoper zu erleben.)

Nicht ganz so großes Kino sind Beate Ritter als Gilda und der Herzog von Mantua, Pavel Valuhin. Stimmlich geben sie ein gutes Paar, die Klangfarben mischen sich stabil. Perfekt intoniert singt Ritter ihre Spitzentöne im feinsten Piano. Eine bemerkenswerte Partie, die sie versucht zu verkörpern, aber damit nicht alle im Publikum zu berühren vermag.

Zerschmetternd schleudert David Steffens seinen Fluch von den oberen Zuschauerrängen auf die Bühne. Seine Interpretation des Grafen von Monterone bleibt in Erinnerung als schauerhafter Gänsehautmoment.

Ebenso groß ist erneut Adam Palka als Auftragsmörder Sparafucile. Sein saftiger Bass donnert in den Köpfen noch lange nach, auch er erhält die Viva Verdi Auszeichnung.

Bemerkenswert groß sind auch die kleinen Rollen: Maria Theresa Ullrich als Gildas Amme, mit Jugendlichkeit und starker Stimme, Philipp Nicklaus als Page, der selbst bei kurzem Auftreten bekannte hundertundein Prozent liefert, sowie Sparafuciles Schwester, gesungen von Stine Marie Ficher.

„Das Publikum wird im Theater alles hinnehmen, nur keine Langeweile“, sagte Viva Verdi und wäre damit über Platz 1-3 glücklich gewesen.

Maria Steinhilber, 21. Oktober 2018
für klassik-begeistert.de

 

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