Golda Schultz © Vittorio Greco
Musikfest Bremen: „Zu neuen Ufern“
Franz Schreker Kammersinfonie in einem Satz
Lieder und Songs von George Gershwin, Kurt Weill, Igor Strawinsky, Erich Wolfgang Korngold und Leonard Bernstein
Igor Strawinsky Ballettsuite „Der Feuervogel“ (1945)
Golda Schultz Sopran
Robin Ticciati Dirigent
Chamber Orchestra of Europe
Bremer Konzerthaus Die Glocke, 31. August 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
„Summertime“, das wohl mit Abstand bekannteste Lied George Gershwins aus seiner Oper „Porgy and Bess“, kommt jahreszeitlich gerade noch passend: am Vorabend des meteorologischen Herbstes. Es ist eines der Songs, die die südafrikanische Sopranistin Golda Schultz mit ganz großer, hochgradig emotional gefärbter Stimme intoniert. Und damit unmittelbar jede Menge wunderschöner Erinnerungen an das „Easy Livin’“ vergangener heißer Sommertage wach werden lässt.
Weitaus weniger bekannt ist Gershwins „By Strauss“, eine witzige, leicht ironische Hommage an Johann Strauss, die die Musik einiger Broadway-Größen (Gershwin selbstkritisch mit eingeschlossen!) im Gegensatz zur Dreivierteltakt-Walzerseligkeit als „drivel“ (Gefasel, Quatsch) bezeichnet.
Bereits mit diesem Einstiegssong, den Schultz mit viel Humor und Elan mit ungemein modulationsfähiger Stimmgebung vorträgt, sorgt sie für riesige Begeisterung beim Publikum. Doch auch ernste Inhalte vermittelt sie in expressiver Dichte. Etwa Kurt Weills „Youkali“, im straffen Tango-Rhythmus, eine Geschichte von Sorgen und unerfüllten Sehnsuchtsträumen. Ähnliches, nämlich die Verlorenheit des Menschen irgendwo draußen in den Sternen, thematisiert sein Lied „Lost in the Stars“.

Expressiver, unter die Haut gehender Gesang
Nicht allein mit dem Kehlkopf, sondern mit stimmiger Gestik, mit ihrem gesamten Habitus bringt die Sängerin die grenzenlose Verzweiflung des Menschen in zutiefst berührender Dramatik zum Ausdruck. Technisch in jedem Register makellos ist ihr Gesang, warm timbriert, mitunter gospel-ähnlich gestaltend, dabei durchweg nuanciert textbezogen. Jedes einzelne Wort nimmt man ihr ab, wenn sie bei Strawinskys „No Word from Tom“ (aus „The Rake’s Progress“) von den Qualen bedingungsloser Liebe singt. Tiefe Trauer, aber auch Funken von Hoffnung und Trost, werden spürbar bei Mariettas Lied „Glück, das mir verblieb“ (aus E. W. Korngolds „Die tote Stadt“).
Das geht ans Herz und ganz tief unter die Haut, nicht nur, weil sich der gesungene Text und die feinfühlige orchestrale Begleitung perfekt miteinander ergänzen, sondern auch, weil die Sängerin den deutschen Wortlaut, ebenso wie zuvor die englischen und französischen Texte, außerordentlich prägnant und bestens verständlich artikuliert.
Abschließend steht Leonard Bernstein an mit „Somewhere“, diesem von verzweifelter Sehnsucht und Hoffnung durchdrungenen Lied aus der „West Side Story“: Irgendwo, „somewhere“, gibt es diesen Ort, irgendwann, „someday“, wird es die erträumte Zeit der Zweisamkeit geben. Schultz singt die Maria nicht nur, sie versetzt sich in sie hinein, verkörpert sie mit ausdrucksvoller Gestik und Stimme derart intensiv, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Denn eine Erfüllung von Marias Träumen wird es niemals geben.
Hingegen sind die zuvor gewiss schon hohen Erwartungen des Publikums an die Sängerin weit über das Maß hinaus erfüllt worden. Langer, sehr begeisterter Beifall sind der Lohn für ihren grandiosen Auftritt.

Ausgeprägte Klangfarbigkeit meisterhaft dargeboten
Zuvor hat das Chamber Orchestra of Europe unter der bewährten Leitung von Robin Ticciati bereits Franz Schrekers „Kammersinfonie in einem Satz“ in einer überzeugenden Interpretation präsentiert. Das durchweg präzise Spiel aller Instrumentengruppen setzt dabei auf größtmögliche Transparenz, die die riesige Vielfalt unterschiedlicher Klangfarben nachhaltig herausarbeitet. Ticciatis ambitionierte Herangehensweise, sichtbar in seinem dezidierten, motivierenden Dirigat, spornt das Ensemble zu Höchstleistungen an.

Motive und Themen reihen sich in stetem Fluss aneinander, formen ein klangfarbenprächtiges Kaleidoskop, das den Zuhörer wie ein starker Sog in den Bann zieht. Und schließlich endet, wie es begonnen hat: mit friedvollen, ätherisch sanften Harmonien.
Bei Schreker mochte es der kreativen Fantasie jedes Zuhörers überlassen sein, welche Bilder ihm dabei durch den Kopf gehen. Igor Strawinskys genial instrumentierte, mutmaßlich erfolgreichste Komposition, die Ballettsuite „Der Feuervogel“, ist dagegen per se eine packende programmatische Komposition. Und auch hier brilliert das Orchester mit einer außerordentlich vielschichtigen Darbietung unterschiedlicher Szenarien.
Magisch bis hintergründig mystisch wird es. Oder locker bis amüsant, wenn man beim reizvollen Tanz der Prinzessinnen unmittelbar die Vorstellung graziler, trippelnder Tänzerinnen vor Augen hat. Wild und ungezügelt laut geht es hingegen zu bei „Kastscheis Höllentanz“: Das gesamte Orchester ist wie im Aufruhr bei diesem wüst tosenden Weltuntergangsszenario. Größtmöglich kontrastiert dazu das zart angestimmte Wiegenlied, das wiederum abgelöst wird vom ganz großen, mit Klangopulenz und breiter Hymnik gefeierten triumphalen Happy End-Finale.
Ein wahrhaft phänomenales Werk des dereinst noch jungen Komponisten, dargeboten in exzellenter, durchgängig packender Ausführung des groß besetzten Klangkörpers! Es ist das Ende eines wundervollen, der faszinierenden Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewidmeten Konzertabends.
Und wiederum spendet das Publikum minutenlangen Applaus, für den sich das Orchester mit Erik Saties entspannend ruhevoller „Gymnopédie Nr. 1“ (Orchesterfassung von Claude Debussy) bedankt.
Dr. Gerd Klingeberg, 1. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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