Bach und Ballett: Eine perfekte Symbiose zwischen Musik und Tanz

Goldberg-Variationen, Ballett  Wiener Staatsoper, 7. November 2023 

Foto: Youn William © Irene Zandel

Es werde Licht. Die Goldberg-Variationen funktionieren als Ballett nicht nur. Nein, im Gegensatz zur rein musikalischen Interpretation am Klavier öffnen sie sogar ein komplett neues Universum. In der Choreographie von Heinz Spoerli potenzieren sie die Kraft der Partitur ins Unermessliche. Dem Schweizer, der unter anderem in Wien, Paris und Mailand gerabeitet hat, ist Außergewöhnliches gelungen: Eine ästhetische Symbiose aus Tanz und Musik, bei der man in der Wiener Staatsoper eine Stecknadel fallen hören könnte.

Goldberg-Variationen, Ballett 


Wiener Staatsoper, 7. November 2023 


von Jürgen Pathy

Pianist William Youn kostet dabei die ganze Bandbreite des Klaviers aus. Von tänzelnder Rasanz bis hin zu Temporeduktionen, bei denen einige Variationen fast zum Stillstand gelangen. Das Wiener Staatsballett schwebt dazu über die Bühne. Ganz in Weiß zu Beginn. Bei Variation Nr. 3 zum ersten Mal in Farbe. Hellblau schimmern die hautengen Anzüge, die nur knapp über die Brust reichen und bis zum Ende in den Farben variieren – sowohl bei den Herren als auch bei den Damen des Corps de Ballett, das seit 2020 Martin Schläpfer leitet. Ende 2025 ist Schluss für den Schweizer. Nach externer und interner Kritik verlässt er die Wiener Staatsoper. Keine Träne dürfe man ihm nachtrauern, ist mir Mal zu Ohren gekommen. Viel zu düster sei sein künstlerischer Zugang. Das möge man in Wien nicht.

Politik, High-Society und Jugend auf einem Fleck

Keine Ahnung, was der Herr im reifen Pensionsalter damit gemeint hat. Als fachkundiger Ballett-Experte hatte er sich vorgestellt, der regelmäßig für ein großes Tagesblatt berichtet hätte. Die Wiener Staatsoper ist zumindest voll. Politik, High-Society und viel junges Publikum tummelt sich im Haus. Die Ladies in den Logen. Ein Hauch von Hollywood erfüllt den Saal. Abgedunkelte Brillen, Hochsteckfrisuren und Abendroben, als wäre Fürstin Gracia Patricia von Monaco zu Gast. Die Jugend auf den Stehplätzen. Viele Teenager, maximal um die Zwanzig. Eine ganze Schulklasse aus Italien hat den Weg in das Stehplatzparterre gefunden.

Dazu ein Schuss Polit-Prominenz. Pamela Rendi-Wagner, ehemals Bundesparteivorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), kann dem Ruf des Tanzes auch nicht widerstehen. Ein seltener Anblick, selbst in einem Land, das Kunst und Kultur groß auf seine Fahnen geheftet hat. Die Politik ist in der Wiener Staatsoper selten zu Gast. Rasantes könnte sie dabei erleben.

Mit „Tabula rasa“ nimmt der Abend seinen Lauf. Am Boden kriechen, wildes Getümmel, Sprints zu Beginn. Weit entfernt von klassischem Ballett, wie ein Laie sich das vermutlich vorstellen mag. Zusätzlich viel Fokus in den Orchestergraben. Generell zieht der die Blicke in Wien schon stark an. 1,80, viel tiefer bohrt der sich nicht in den Boden, hat Staatsoperndirektor Bogdan Roščić einmal erwähnt. Die Wiener Philharmoniker – sprich das Staatsopernorchester – wollen eben auch gesehen werden. An diesem Abend spielt ihnen die Partitur zusätzlich in die Hände.

Stehend musizieren zumindest zwei: Volkhard Steude, seines Zeichens Konzertmeister, und Raimund Lissy, ein Kollege von den zweiten Geigen. Die Musik stammt von Arvo Pärt. Ein Doppelkonzert für zwei Violinen, in das man für rund 30 Minuten völlig versinkt. Der Grund: Ein hypnotischer Rhythmus in Moll, dem man gegen Ende hin sich einfach nicht entziehen kann. Links, rechts, links, rechts… – wie eine Pendeluhr, die in einem Tempo von ca 60 Schlägen pro Minute den Takt vorgibt. Dazu lässt Choreograph Ohad Naharin das Wiener Staatsballett synchron wie wackelnde Bäume im Wind über die Bühne schreiten. Eine Körperbeherrschung, vor der man in Ehrfurcht erstarren möchte.

Eine zeitlose Produktion für die Ewigkeit

Dass der zweite Teil – die Goldberg Variationen – weniger zu bieten hätten, dem möchte ich widersprechen. „Vor der Pause hat es mir besser gefallen“, meint ein Gast. Beide Choreographien und die Musik passen perfekt zusammen. Minimalistisches Bühnenbild, dezente Kostüme, die nur in einer Farbe gestaltet sind, auch wenn diese sich abwechseln. Das ist das Bindeglied beider Ballette, die ein Gesamtkunstwerk bilden. Musik und Tanz, die nahtlos zu einer Ästhetik verschmelzen und ein harmonisches Bild abrunden.

Hinzu kommt, dass man Bachs Goldberg-Variationen zu selten hört, Arvo Pärts „Tabula rasa“ ebenso – eine Musik von ungeheurer Melancholie, viel Schostakowitsch, garniert mit ein bisschen „Division bell“ von Pink Floyd. Zu den Bachs opus magnum muss man nichts mehr sagen. William Youn, ein Südkoreaner, spielt sie mit großer Intensität, mit starkem Hang zur Romantik. Passend zum Tanz, an dem er sich orientiert. Ein absoluter Genuss. Möge diese Produktion noch lange am Spielplan bleiben.

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