Foto: Werner Kmettich (c)
Gottfried von Einem, Der Besuch der alten Dame
Theater an der Wien, 18. März 2018
von Mirjana Plath
Im dritten Akt wird ein Schuss fallen. Darauf weist das Theater an der Wien vorsorglich hin, wenn die Besucher durch die Eingangstüren strömen. In Gottfried von Einems Oper „Der Besuch der alten Dame“ von 1971 kommt der drohende Tod immer näher und trifft am Ende sein Opfer. Der Komponist arbeitete bei der Oper eng mit Friedrich Dürrenmatt zusammen, daraus entsprang eine enge Orientierung an der Textvorlage.
Gottfried von Einem komponierte in der Oper keine atonale Musik, wie sie andere Komponisten im 20. Jahrhundert schrieben. Seine Oper klingt manchmal wie Filmmusik, sie ist dramatisch und an der Handlung orientiert. Manchmal erscheinen lyrische Melodien im Orchester, wenn Claire Zachanassian und Alfred Ill in Erinnerungen an ihre Jugendliebe schwelgen. Augenblicklich verfliegen diese Momente jedoch wieder und machen Platz für die schleichende Mordgier der Güllener Stadtbewohner.
Michael Boder dirigiert das ORF Radio-Symphonieorchester differenziert. Die Musiker können blitzschnell zwischen dröhnenden und filigranen Episoden changieren. Das grollende Schlagwerk treibt die Musik unaufhaltsam auf die Katastrophe hin. Der Dirigent schafft es aber trotzdem, dass das massive Orchester die Stimmen der Sänger nicht übertönt. Er erreicht dadurch eine hohe Textverständlichkeit.
Regisseur Keith Warner hat ein interessantes Konzept für seine Inszenierung gewählt. Die Zuschauer erleben eine Zeitreise durch die letzten Jahrzehnte. Düster und grau beginnt der erste Akt im Weltkriegskostüm – anachronistisch zu der drohenden Ermordung von Alfred Ill wird die Bühne mit jeder Szene bunter. Bis sie in einer grellen Glitzerparty endet. Dort filmt ein Kamerateam voyeuristisch die letzten Gefühlsregungen des Verurteilten. Die Bilder flimmern in schwarz-weißen Farben im Hintergrund der quietschfidelen Ermordung und zeigen: Die Welt hat sich nicht verbessert, sie ist immer noch farblos. Nur wird sie heute vom Reichtum überdeckt.
David Fielding stattete die Inszenierung einfallsreich und mit vielen Details aus. Die alte Dame sticht aus allen Bühnenbildern hervor. Zusammen mit ihrer Entourage – die Eunuchen Koby und Loby in hellblauen Babykleidchen, die Raubmörder Toby und Roby in aalglatten Anzügen – hebt sich Claire von der Güllener Bevölkerung ab. Sie ist die einzige, die zeitlos den Wandel der Jahrzehnte übersteht, obwohl sie ihr Kostüm so oft wie sonst niemand wechselt.
Kreativ ist auch die Kulisse gestaltet. Der Konradsweiler Wald als Liebesort von Claire und Alfred entwickelt sich von einer Naturidylle mit rustikaler Holzbank zu einer exklusiven Wohnlage für Neubauten. Aus der maroden Zughaltestelle wird ein moderner Bahnhof. Es macht Spaß, sich dieses Kunstwerk von Fielding auf der Bühne anzuschauen.
Die Mitglieder des Arnold Schoenberg Chores müssen in „Der Besuch der alten Dame“ oft als Kulisse herhalten. Musikalisch fallen sie trotzdem auf, sie sind in ihren Einsätzen und der Stimmführung gut aufeinander abgestimmt.
Voluminöse Stimmen, die ihre Virtuosität zur Schau stellen, sucht man in von Einems Oper vergeblich. Er schreibt einen Gesangsstil vor, der eher an ein Parlando erinnert. Die Rollen sind zwar anspruchsvoll, ihre gesamten stimmlichen Fähigkeiten können die Darsteller hier allerdings nicht ausschöpfen.
Erwähnenswert sind in der Aufführung vor allem Katarina Karnéus, Russel Braun und Adrian Eröd. Die gebürtige Schwedin Karnéus (Mezzosopran) herrscht als Claire Zachanassian über die sonst männerdominierte Oper. Schneidend scharf singt sie ihre grotesken Kommentare und Befehle. Der kanadische Bariton Russel Braun spielt Alfred Ill mit überragendem Einfühlungsvermögen. Er kehrt die innere Gefühlswelt des Verurteilten feinsinnig nach außen, seine Mimik spricht Bände. Adrian Eröd (Bariton) als Lehrer fällt durch seine tolle Stimme auf. Sein warmes Timbre kommt selbst bei von Einems schlichter Komposition wunderbar zur Geltung.
„Der Besuch der alten Dame“ am Theater an der Wien ist eine schöne Inszenierung. Skeptiker der Musik des 20. Jahrhunderts können hier noch tonale Musik genießen. Die einfallsreiche Umsetzung auf der Bühne ist unterhaltsam. Bleibt nur noch eins zu erwähnen: Der angekündigte Schuss im dritten Akt trifft nicht Alfred Ill – der wird erstochen.
Mirjana Plath, 19. März 2018, für
klassik-begeistert.de
Michael Boder, Musikalische Leitung
Keith Warner, Inszenierung
David Fielding, Ausstattung
Karl Alfred Schreiner, Choreografie
John Bishop, Licht
David Haneke, Video
Katarina Karnéus, Claire Zachanassian
Ernst Allan Hausmann, Moby, ihr Gatte VII
Erik Årman, Zoby, Ihr Gatte VIII
Mark Milhofer, Boby, ihr Butler
Antonio Gonzales, Koby/Boomer
Alexander Linner, Loby/Pressemann
Russell Braun, Alfred Ill
Cornelia Horak, Mathilde, seine Frau
Anna Marshania, Ottilie, seine Tochter
Johannes Bamberger, Karl, sein Sohn
Raymond Very, Bürgermeister
Markus Butter, Pfarrer
Adrian Eröd, Lehrer
Martin Achrainer, Dr. Nüßlin, Arzt
Florian Köfler, Hahncke, Polizist
Anna Gillingham, Erste Frau
Carolina Lippo, Zweite Frau
Botond Odor, Hofbauer
Matteo Loi, Helmesberger
Alessio Borsari, Bahnhofsvorstand
Marcel Krokovay, Zugführer
Masanari Sasaki, Kondukteur
Jörg Espenkott, Kameramann
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor (Leitung Erwin Ortner)