von Peter Sommeregger
Das Label Orfeo hat sich über die Jahre nebst Eigenproduktionen auch mit der Veröffentlichung von Mitschnitten der Wiener und der Münchener Staatsoper, von den Salzburger Festspielen und anderen Aufführungsorten einen Namen gemacht.
Sehr spät, wohl dem 90. Geburtstag Christa Ludwigs geschuldet, liegt nun der Mitschnitt der Uraufführung von Gottfried von Einems Oper „Der Besuch der alten Dame“ nach Friedrich Dürrenmatt vor. Am 23. Mai 1971 löste diese neue Oper große Begeisterung aus. Einem war es gelungen, die Spannung des Dürrenmatt’schen Dramas kongenial in Musik umzusetzen. Der Schriftsteller hatte sogar selbst sein Stück zum Opernlibretto umgearbeitet.
Gottfried von Einem hatte bereits mit mehreren so genannten Literaturopern Furore gemacht, „Dantons Tod“ war sein größter Erfolg. Das neue Werk hatte er ursprünglich für das Sänger-Ehepaar Christa Ludwig und Walter Berry konzipiert. Dass dann schließlich Eberhard Wächter die männliche Hauptrolle des Alfred III. übernahm, war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass das Ehepaar Ludwig/Berry mittlerweile getrennt war, beim Komponieren war von Einem die Partie als zu hoch für Berrys Stimme geraten.
Die Geschichte von der als reiche alte Frau in ihr Heimatstädtchen zurückkehrenden Claire Zachanassian, die späte Rache an ihrem früheren Geliebten nimmt, verfehlt auch als Oper nicht ihre Bühnenwirksamkeit. Von Einems Musik lässt in jedem Moment den Text verständlich bleiben, illustriert mehr, als dass sie dominiert, setzt aber doch reichlich dramatische Akzente. Die Gesangspartien, vor allem die Titelrolle, sind äußerst dankbar. In der Folge der Wiener Uraufführung wurde diese Rolle von anderen bedeutenden Mezzosopranistinnen gesungen. Die berühmte Regina Resnik verkörperte die Rolle in englischer Sprache bei einer Aufführungsserie in San Francisco.
Die Wiener Staatsoper bot für die Uraufführung eine bis in die kleinsten Rollen prominente Besetzung auf. Neben Christa Ludwig und Eberhard Wächter, die alle Register ihres Könnens zogen, konnte man Hans Hotter als Lehrer, Hans Beirer als Bürgermeister, Manfred Jungwirth als Pfarrer und viele weitere verdiente Wiener Ensemblemitglieder erleben, von denen ein Großteil leider nicht mehr am Leben ist.
Horst Stein, damals Chefdirigent des Hauses, gestaltete eine höchst lebendige, eindringliche Gesamtaufführung, Otto Schenks Regie, die man auf der CD leider nicht miterleben kann, fing die bedrückende Atmosphäre der Schweizer Kleinstadt sehr glaubwürdig ein und tat ein Übriges, um diese Uraufführung zu einem großen, nachhaltigen Erfolg zu führen. Ich sah damals eine der späteren Aufführungen in gleicher Besetzung, die Erinnerungen an diese Produktion sind noch sehr lebendig, eine spätere Aufführung in München konnte mich nicht so recht überzeugen.
Das Label Orfeo konnte auch hier auf die Originalbänder des Österreichischen Rundfunks zurückgreifen, Tonqualität und Ausstattung der Box haben den gewohnt hohen Standard. Ein höchst empfehlenswertes Dokument der jüngeren Operngeschichte!
Orfeo C 930 182 1 2 CD
Peter Sommeregger, 9. April 2020 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at