Foto: facebook Gropius Quartett @gropiusquartett Gesellschafts- und Kultur-Website
Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal, 3. Juli 2022
Camille Thomas, Violoncello
Lily Maisky, Klavier
Gropius Quartett: Friedemann Eichhorn (Violine), Indira Koch (Violine), Alexia Eichhorn (Viola), Wolfgang Emanuel Schmidt (Violoncello)
Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Frédéric Chopin, David Popper und Robert Schumann
Dieses Quartett spielt mit einer Seele vier Instrumente. Zwei Meisterwerke, zwei Raritäten, zwei Zugaben, die zusammen ein Spektrum an Emotionen wecken. So hat die Klassik wieder eine Zukunft!
von Johannes Karl Fischer
So ein begeisterndes, eklektisches Programm habe ich seit Jahren nicht mehr gehört. Zu Zeiten Mendelssohns und Schumanns standen Meisterwerke Seite an Seite mit Uraufführungen, Konzerte waren lebendige Ereignisse, über die die ganze Stadt plauderte. Das waren Zeiten… Solche Programme gehören zum Glück nicht nur der Vergangenheit an, auch 2022 kann man damit HörerInnen begeistern. Prompt bricht der Altersdurchschnitt im Publikum ein, Klassik ist plötzlich nicht mehr nur für alte, weiße Männer.
Mal von dem künstlerischen Niveau ganz zu schweigen… Dieses Quartett spielt mit einer Seele vier Instrumente! Jeder Akkord saß sattelfest, als würde ein einzelnes Instrument fünf und zehn Töne spielen. Melodien verschmolzen zu einem farbenfrohen Klanggemälde, als hätte man eine köstliche Kartoffelcremesuppe im Mund. „Die holde Kunst, sie werde jetzt zur Tat“, hätte Wagner dazu wohl gesagt. Selbst der hartnäckige anti-Semit konnte der Magie eines Mendelssohn-Satzes bekanntlich nicht widerstehen.
Mendelssohn schrieb das Streichquartett op. 80 zwischen dem Tod seiner Schwester und seinem eigenen Ableben. Melancholie ist hier vom ersten Akkord an zu spüren, der erste Satz beginnt wie ein bedrohliches Gewitter, das einfach nicht abziehen will. Im zweiten Satz segeln schwungvolle Läufe vor düsterem Himmel, nur der dritte Satz ist ein Hoffnungsschimmer am Horizont. Am Ende steigert sich die Musik bis zur Ekstase und darüber hinaus. Einfach mitreißend, was da im kleinen Saal der Elphi zu hören war.
Das Schumann-Klavierquintett nach der Pause war dazu das perfekte Gegenstück: Heiteres Es-Dur anstelle des tragischen f-Moll. Das Scherzo an dritter Stelle war strahlender Sonnenschein – mit einem kleinen Lüftchen – anstatt düsterer Gewitterstimmung. Lily Maisky (Klavier) war die ideale Ergänzung zu diesem Ensemble, nahm das Klavier mühelos in die Streichquartett-Seele mit auf.
Zwischen den zwei meisterhaft gespielten Meisterwerken gab es erst eine Eigenbearbeitung von Wolfgang Emanuel Schmidt eines Chopin-Sonatensatzes für Solo-Cello und Streichquartett, die Hauptpartie singend lyrisch gespielt von Gast-Solistin Camille Thomas. Das war mal was Originelles, daran sollten sich andere Ensembles ein Beispiel nehmen.
Mit David Poppers Ungarischer Rhapsodie op. 68 ging es dann richtig zur Sache. Jenes Quartett, das eben noch über den Tod Fanny Mendelssohns getrauert hatte, begann zu tanzen. Virtuose, aber völlig mühelos klingende Arpeggi im Solo-Cello schmückten fröhliche Melodien. Nebensächliche Kurzwerke wurden zum Highlight des Nachmittags. Eine Zugabe gab es auch: Gesang der Vögel nach Pau Casals. Dem Frieden gewidmet, so die Solo-Cellistin. Der Schuhschachtelsaal wird zur Gedenkstunde, die Musik nimmt die Stelle einer Schweigeminute. Das Publikum macht mit und lässt die Musik ausklingen, bevor zurecht begeisterter Applaus einsetzt.
Auch in der zweiten Hälfte gab es eine Zugabe, ebenso einfallsreich wie die erste: Ein Tango-Medley nach „Melodien bekannter Komponisten“. Wieder was Neues. So bringt man neues Publikum in die Säle. Und so sieht die Klassik der Zukunft aus!
Einziger Kritikpunkt: Die Fortsetzung der „fortdauernden Verzweiflung über das Publikum“– wie Klassik-begeistert-Autor Dr. Andreas Ströbl am 27. Juni 2022 schrieb – im Konzerthaus der HafenCity. Verzweiflung erreicht einen neuen Höhepunkt, wenn nach jedem Quartettsatz ausgiebig geklatscht wird und am Ende die Musizierenden schlussendlich in den Applaus reinspielen müssen, weil der Schumann’sche Spannungsbogen sonst zu Boden brechen würde. Liebes Publikum: Es ist mehr als erfreulich, dass endlich wieder jüngere Leute im Saal sitzen und die Klassik eine Zukunft in Aussicht hat. Aber: In der Ruhe liegt dir Kraft. Zwischen den Sätzen mal tief durchatmen, das sind magische Moment der schweigenden Stille… Nicht umsonst haben Mendelssohn und Schumann ein Quartett bzw. Quintett – und nicht Vier Einzelstücke für Streichquartett – geschrieben. Am Ende gerne so laut klatschen, soviel Beifall äußern, wie ihr wollt. Aber bitte nicht, wenn die Instrumente oben sind.
Johannes Karl Fischer, 4. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Strauss, Elektra, Staatsoper Unter den Linden, 19. Juni 2022
Le Nozze di Figaro, Wolfgang Amadeus Mozart Staatsoper Hamburg, 6. Juni 2022
Richard Wagner, Tannhäuser Deutsche Oper Berlin, 26. Mai 2022