Weltklasse in Köln: Elim Chan und das Gürzenich-Orchester Köln versprühen mit Prokofjew, Wagner und Skrjabin pure Ekstase!

Gürzenich-Orchester Köln, Elim Chan, Dirigent, Benjamin Grosvenor, Klavier  Kölner Philharmonie, 16. April 2024

Elim Chan © https://www.elimchan.nl

Gürzenich-Orchester Köln
Elim Chan, Dirigent
Benjamin Grosvenor, Klavier

Sergej Prokofjew – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 C-Dur op. 26

Richard Wagner – Vorspiel und Isoldes Liebestod aus Tristan und Isolde WWV 90, Handlung in drei Akten mit Libretto vom Komponisten

Alexander Skrjabin – Poème de l’extase op. 54 für großes Orchester

Zugabe: Chopins Nocturne, op. 9 Nr. 2

Kölner Philharmonie, 16. April 2024

von Daniel Janz

Das Gürzenich-Orchester Köln: Traditionsorchester am Rhein und in den letzten Jahren von stetig steigender Qualität. Seit 2022 gab es bei den Konzerten dieses Orchesters gefühlt einen Höhepunkt nach dem anderen. Auch deshalb überraschte es, dass dessen Programm zuletzt weniger Mut offenbarte, als in den Jahren zuvor. Da ist es natürlich eine willkommene Erfrischung, von diesem Orchester auch wieder Werke präsentiert zu kriegen, die nicht alltäglich deutsche Konzertspielpläne prägen, sondern teilweise sogar zu den vergessenen Klassikern gezählt werden müssen.

Bereits Prokofjews Klavierkonzert ist ein Stück, das eher selten zu hören ist, obwohl es doch zahlreiche für sich sprechende Qualitäten vereint. Gerade auch der stets volle, über weite Stellen impressionistisch geprägte Umgang mit dem Orchester lässt ganz klar den Stil des russischen Geniekomponisten erkennen, der zur Zeit dieser Komposition (1917 – 1921) gerade seine Auslandsphase durchmachte und von den USA nach Frankreich übersiedelte. Erst 1936 sollte er nach Russland zurückkehren.

Sehnsucht, Einsamkeit oder Leere versprüht dieses Werk jedoch kaum. Stattdessen prägen es robust expressive, manchmal auch experimentell wirkende Ausbrüche, die über alle 3 Sätze das Geschehen formen und sich mit liebevoll lyrischen Passagen abwechseln. Dass dieses Werk keine auf Anhieb erkennbaren Themen hat, macht darüber hinaus auch ein erneutes Anhören reizvoll, weil man dabei immer etwas Neues entdeckt. Das ist vor allem Musik, die man auf sich wirken lassen muss.

Dass diese Musik aber begeistern kann, beweisen heute das Gürzenich-Orchester und dessen Gastdirigentin Elim Chan (37) aus Britisch-Hongkong, die am Klavier von dem britischen Solisten Benjamin Grosvenor (31) unterstützt werden. Regelrecht schnörkellos bietet er eine musikalisch feinsinnige Darbietung in diesem Werk voller rasanter Läufe, fulminanter Ausbrüche und starker Kontraste. Was in Wahrheit hohe Kunst ist, lässt er richtig leicht aussehen. So formt er vollen Hörgenuss in 3 Sätzen, den er am Ende auch noch mit einer sensiblen Zugabe abrundet. Tolle Leistung!

Benjamin Grosvenor © Andrej Grilc

Fast noch überzeugender ist aber, was vom Orchester kommt. Elim Chan beweist hier eine an Reife kaum zu überbietende Kontrolle. Mit welchen Nuancen sie spielen lässt, um alle Klarheit im Klang aus den Instrumentengruppen herauszukitzeln, ist schon atemberaubend. Egal, ob das sensibel vorgetragene Einstiegsthema der Klarinetten, markige Rhythmen in den Bässen, herzerwärmend volle Klänge zum Ende von Satz 1, die sogar vereinzelt Zwischenapplaus provozieren, die feinen Einwürfe von Horn, Oboe und Klarinette im zweiten Satz oder den starken Gegensätzen im dritten – über allem wacht die junge Dirigentin mit klaren Anweisungen und Sinn für jedes Detail.

Das Ergebnis ist ein Klavierkonzert, das begeistern kann. Eine Musik, die trotz etwas sperriger Formen letztendlich doch zum eintauchen einlädt. Vollauf überzeugend können alle Beteiligten so in die Pause führen, die gar nicht kurz genug sein kann – so viel Lust versprühen sie heute.

Dass nach der Pause Wagner auf dem Programm steht, gliedert sich perfekt in die Konzeption dieses Abends, wo vor allem ekstatische Höhepunkte im Fokus stehen. Kaum ein anderer Komponist bereitete so breit und gekonnt seine musikalischen Ausbrüche vor. Das Vorspiel sowie „Isoldes Liebestod“ aus der Oper „Tristan und Isolde“ sind Paradebeispiele für diese Art thematischer Spannungsarbeit, die gerne auch schon mal über mehrere Stunden ein Thema zur vollen Pracht entfaltet.

So lange dauert das heute zwar nicht. Doch auch hier wird der innere Fokus auf ein Thema von Anfang an deutlich. Zentral auch der seinerzeit bahnbrechende Tristan-Akkord. All das arbeiten Orchester und Dirigentin wunderbar plastisch heraus. Das Pulsieren in dieser Musik wird von Anfang an zum ergreifenden Erlebnis. Hier eine Gruppe gesondert herauszustellen, täte allen anderen Unrecht. Denn von Anfang an sind alle Akteure in Topform. In ständig neuen, sich in ihrer Pracht gegenseitig überbietenden Aufbäumanläufen, führen sie am Ende in eine echte musikalische Offenbarung. Alles in allem ein Zeichen der Klasse dieses Orchesters!

Diese Klasse beweist es auch, als einer Cellistin in vorderster Reihe die Saiten vom Steg springen. Quer durchs Orchester muss sie den Saal verlassen, um ihr Instrument wiederherzurichten. Geringere Ensembles hätte so ein Malheur sicher irritiert, doch die Gürzenicher spielen, als wäre nichts passiert. Souverän auch, wie die Leidgeplagte wenig später zurückkommt und nahtlos fortsetzt. Das ist schon Königsklasse.

Von der Königsklasse in die Weltklasse katapultiert sich das Orchester dann aber mit dem letzten Werk des Abends. Skrjabin gehört unter Klassik-Liebhabern zwar zu den bekannten Namen. Sein „Poème de l’extase“ ist aber eine schmählich vernachlässigte Rarität. Völlig zu Unrecht, wie Dirigentin und Orchester heute beweisen.

https://www.guerzenich-orchester.de/

Als Rezensent muss man mit Superlativen achtsam umgehen und sie sparsam einsetzen. Aber zu dieser Aufführung können es keine anderen Wörter, als „phänomenal“, „fantastisch“ und „grandios“ sein. Was die hier abliefern ist wie von einem anderen Stern. Durch die Bank weg sitzt wirklich alles, vom kleinsten Akzent in den Harfen, über die schillernde Celesta und die restlos brillierenden Streicher, fabelhaft klare Holzbläser und prächtiges Blech, das jeden Einsatz mit majestätischer Erhabenheit unterstreicht. Und gekrönt wird das auch noch mit einer gewaltigen Schlagzeuggruppe und fulminant dröhnenden Orgelakkorden zum Höhepunkt.

Ganz besonders hervorzuheben ist die Leistung der auf Weltniveau spielenden ersten Trompete. In dem steten Auf und Ab der Stimmungen sticht sie regelmäßig mit ihrem fast schon leitmotivisch wirkenden Hauptthema heraus. In der Folge verleiht sie dieser stellenweise etwas abstrakten Komposition eine Klarheit, die für die nötige Plastizität sorgt. Der Rezensent wagt sogar die These, dass man dieses (ohnehin viel zu selten gespielte) Werk gar nicht besser aufführen kann.

Und auch Elim Chans Leistung am Dirigierpult darf hier nicht vergessen werden. Mit gekonnten Einsätzen, starker Gestik und einer unglaublichen Kontrolle formt sie dieses Werk zu einem Erlebnis, das schon am Rande des Göttlichen kratzt. Ist das der (sehr überzeugende) Versuch, sich als Nachfolgerin vom leider bald scheidenden Francois Xavier-Roth zu empfehlen? Was sie hier für ätherische Klänge mit dem Orchester formt, die immer wieder herausbrechen, in purer Spannung aufgehen und sich dann erst im letzten Klang bombastisch entfalten, ist kaum vorstellbar. Das ist eine Erfahrung, die man nur glauben kann, wenn man sie selbst erlebt hat!

Dass das Publikum danach wie erschlagen wirkt, darf nicht verwundern. Obwohl fulminanter Applaus direkt im Anschluss losbricht, braucht es seine Zeit, bevor sich endlich die ersten erheben und dann den restlichen Saal mitreißen. Dass diese Minuten lange Ehrerbietung am Ende aber doch in nahezu flächendeckende Stehende Ovationen mündet, ist nur verdient. Mit dieser Leistung hat sich das Gürzenich-Orchester Köln mindestens als das beste Orchester am Rhein, wenn nicht sogar als eines der besten Orchester deutschlandweit bewiesen. Was da noch folgen wird? Nach dieser Vorstellung kann man da umso gespannter sein!

Daniel Janz, 18. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gürzenich-Orchester Köln, Programm Nordwind Kölner Philharmonie, 5. Februar 2024

Bernd Alois Zimmermann: Die Soldaten, Gürzenich-Orchester Köln, François-Xavier Roth Elbphilharmonie, 21. Januar 2024

Gürzenich Orchester Köln, Leitung: Elim Chan Kölner Philharmonie, 20. Juni 2023

2 Gedanken zu „Gürzenich-Orchester Köln, Elim Chan, Dirigent, Benjamin Grosvenor, Klavier
Kölner Philharmonie, 16. April 2024“

  1. Lieber Daniel,

    danke für den begeisterten Bericht. Da haben meine Leute also nicht übertrieben, als sie Anfang der Woche schwärmten.

    Eine kleine Bemerkung zum vorletzten Absatz: Der Nachfolger von FXR wurde vor gut einem Jahr als neuer GMD vorgestellt: Andrés Orozco-Estrada heißt der designierte Gürzenich-Kapellmeister.

    Brian Cooper

    1. Lieber Brian,

      ja, das kann man wohl laut sagen. Es war wirklich atemberaubend.
      Und spannend, dass der neue GMD bereits feststeht. Das muss an mir vorbeigegangen sein. Mal sehen, wie er sich nach FXR macht… er tritt in große Fußstapfen.

      Daniel

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