Nina Minasyan (Violetta Valéry), Liparit Avetisyan (Alfredo Germont)
© Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Semperoper Dresden, 2. Oktober 2022 PREMIERE
La Traviata
Musik von Giuseppe Verdi
Libretto von Francesco Maria Piave
Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsischer Staatsopernchor
Leonardo Sini, Dirigent
Barbora Horáková Joly, Inszenierung
Eva-Maria Van Acker, Bühnenbild
Solisten
Violetta Valéry, Nina Minasyan
Alfredo Germont, Liparit Avetisyan
Giorgio Germont, Alexey Markov
Flora Bervoix, Štěpánka Pučálková
von Olaf und Brigitte Barthier
Die Uraufführung fand 1853 in Venedig statt und war zunächst kein großer Erfolg. Erst am 6. Mai 1854 wurde die Oper nach einigen Änderungen von Verdi wieder in La Fenice aufgeführt, dieses Mal in Abwesenheit des Komponisten, und wurde zu einem riesigen Erfolg. Verdis La Traviata ist in Italien das Repertoire-Stück Nr. 1 an jedem Opernhaus, so wie in Deutschland Mozarts Zauberflöte. Es ist daher eine besondere Herausforderung, dieses Stück zu inszenieren, da es Legionen von Interpretationen gibt.
Auch an der Semperoper gehört die La Traviata fest ins Repertoire.
Frau Dr. Hessler engagierte Andreas Homoki, damals noch Intendant an der Komischen Oper in Berlin, der 2009 eine Neuproduktion auf die Dresdner Bühne brachte. Mit einem stark reduzierten Bühnenbild transformierte er die Violetta in die skandalträchtige Amy Winehouse und versetzte somit die Geschichte in die Jetztzeit. Diese Inszenierung hatte uns sehr gut gefallen, ist aber kurioserweise gerade bei jungen Leuten nicht gut angekommen.
Auf die nun für diesen Herbst angekündigte Neuinterpretation waren wir sehr gespannt. Was macht Barbora Horáková Joly mit ihrem Team daraus? Sie bleibt mit der Handlung im 19. Jahrhundert und wählt als konkreten Spielort das Pariser Varieté Moulin Rouge. Sie setzt also das Varieté als Bühne auf die Opernbühne. Auf einer gegenläufigen Drehbühne, ähnlich wie bei einem historischen Karussell, gibt es mehrere Treppenanlagen, die die drei Geschosse miteinander verbinden. Zusätzlich werden auf den Vorhang des Varietétheaters – der das Rondell umschließen kann – oder in den Hintergrund Videosequenzen eingespielt, die meistens den Tod durch einen Totenschädel oder andere Metaphern veranschaulichen.
Die Regisseurin hat einen besonderen Bezug zum Tod: Durch einen Schauspieler, Mick Morris Mehnert, ist der personifizierte Tod ständig anwesend und beobachtet das Geschehen. Ebenso sieht man den Arzt Violettas, Dottor Grenvil, dargestellt von Martin-Jan Nijhof, ständig im Hintergrund.
Natürlich hat man im 1. und 2. Akt durch Revuetänzerinnen den Handlungsort des Varietés deutlich hervorgehoben. Großartig wirkt in diesen Szenen auch der Staatsopernchor, der seine Spielfreude spürbar ausgelebt hat.
Zwei Szenen sind uns bei dieser Inszenierung besonders aufgefallen: zum einen der Übergang vom 2. zum 3. Akt. Die Regisseurin lässt hier keinen Vorhang fallen, sie spielt ohne Unterbrechung durch. Am Ende des 2. Aktes, in dem Alfredo Violetta in seiner Rage furchtbar demütigt, eskaliert die Feier durch den Zorn der Gesellschaft. Nun flüchtet Violetta von der Bühne – mit dem Vorspiel zum 3. Akt verwandeln sich die Protagonisten zu einem Trauermarsch und verlassen die Bühne ebenfalls langsam nach hinten raus. Danach steht mittig platziert das Krankenbett mit Violetta, ihre Dienerin an ihrer Seite. Dieses Bild bleibt über den ganzen 3. Akt bestehen. Die übrigen handelnden Personen kommen nicht mehr wirklich auf die Bühne, sondern bleiben im Hintergrund, werden teils nicht mehr angeleuchtet, sind kaum noch wahrnehmbar, sondern nur zu hören.
Zum Schluss verlässt Violetta das Bett und die Varietébühne, bis sie vor dem Opernpublikum steht; der Varietévorhang schließt sich hinter ihrem Rücken. Genialer Abschluss!
Zum Bild des 3. Aktes konnte ich die Regisseurin bei der anschließenden Premierenfeier befragen. Sie erklärte mir, sie habe in ihrem Leben schon mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Menschen, wenn sie sterben, zum Schluss sehr einsam sind und Angehörige es nicht mehr schaffen, sich zu verabschieden. Das seien für sie sehr schmerzliche Erlebnisse gewesen, die sie in diesem Stück verarbeitet hat. Durch die Tuberkulose von Violetta, die sie von Anfang an durch die ganze Geschichte begleitet und zur damaligen Zeit nicht heilbar war, ist der Tod in diesem Stück ständig präsent.
Die sächsische Staatskapelle Dresden wurde von einem jungen italienischen Dirigenten – Leonardo Sini – geleitet, der sein Debüt an der Semperoper gegeben hat. Er führte das Orchester sehr akademisch, es fehlten die italienische Leichtigkeit und Leidenschaft. Erschwerend für die Aufführung war, dass die eigentliche Besetzung für die Violetta, Adela Zaharia, 5 Tage vor der Premiere erkrankt ist. Glücklicherweise hat Nina Minasyan die Rolle kurzfristig übernommen, mit der sie auch schon in Verona aufgetreten ist.
Leider hat man bei ihr die zu kurze Probenzeit gespürt; sie hat sich noch sehr auf das Spiel konzentrieren müssen, was zu Lasten der Leidenschaft der gesanglichen Differenzierung ging. Die höheren Lagen der Koloraturen sind ihr nicht gelungen. Vollumfänglich hat an diesem Abend Liparit Avetisyan als Alfredo überzeugt. Schade war allerdings, dass Alexey Markov als Vater seiner Partitur nicht gerecht wurde, es fehlte an Tiefe und somit erneut an Leidenschaft. Dies versuchte er durch Lautstärke zu kompensieren.
Es bleibt zu hoffen, dass, wie bei einem guten Wein, über die Zeit ein Reifeprozess vollzogen wird und die Semperoper ein erlesenes Repertoirestück gewonnen hat.
Olaf und Brigitte Barthier, 4. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, La Traviata Semperoper Dresden, 2. Oktober 2022 Premiere
Giuseppe Verdi, La Traviata LAC Lugano Arte e Cultura, 2. September 2022