Foto © Wolf-Dieter Gericke
Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 8 für drei Sopran- und zwei Alt-Soli, Tenor-, Bariton- und Bass-Solo, Knabenchor und zwei gemischte Chöre sowie großes Orchester
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Hamburger Alsterspatzen
Staatlicher Akademischer Chor Latvija
Sarah Wegener Sopran
Jacquelyn Wagner Sopran
Heather Engebretson Sopran
Daniela Sindram Mezzosopran
Dorottya Láng Mezzosopran
Burkhard Fritz Tenor
Kartal Karagedik Bariton
Wilhelm Schwinghammer Bass
Dirigent Eliahu Inbal
rosalie Lichtskulptur
Elbphilharmonie, 30. April 2017
von Sebastian Koik
Das Konzert beginnt mit monumentaler Wucht. Orchester und Chor schmettern vom ersten Ton an los und erschüttern den Zuhörer. Mahler 8 steht auf dem Programm, die „Sinfonie der Tausend“. Das ganze Weltall will Mahler darin zum Klingen und zum Tönen bringen. Die Bühne der Elbphilharmonie ist randvoll mit Musikern, das Philharmonische Staatsorchester spielt mit über 130 Instrumentalisten. Im Einsatz sind alleine zehn Kontrabässe und sechs Harfen, 196 Chorsänger und acht Gesangs-Solisten.
Zwei der drei Chöre sitzen im Zuschauerraum hinter der Bühne. Die Uraufführung in München im Jahre 1910 hatte über 1000 Musiker, hier in Hamburg sind es knapp 350 – immer noch eine immense Besetzung, für die es bisher in Hamburg keinen adäquaten Spielort gab.
Illuminiert wird das Konzert von einer Lichtinstallation der Künstlerin rosalie alias Gudrun Müller. Sieben 15 Meter lange Stelen hängen von der Decke und begleiten mit sanften Farbverläufen das Geschehen. „Accende lumen“, entzünde Licht in unseren Sinnen, heißt es im alten lateinischen Pfingst-Hymnus „Veni, creator spiritus“ im ersten Teil. Gustav Mahlers Gattin Alma schrieb in ihren Erinnerungen über diese Sinfonie: „Mahler, dieser göttliche Dämon, bezwang hier ungeheure Massen, die zu Lichtquellen wurden.“
Doch so hübsch die Farbverläufe auf diesen Stelen auch anzuschauen sind: Sie bringen keinen Mehrwert. Die Musik bedarf ihrer nicht, sie lenken vom musikalischen Geschehen ab. Letztendlich schmückt die Installation die Konzertfotos und leistet nicht viel mehr. Auf solch unnötiges Beiwerk können die Veranstalter in Zukunft gerne verzichten.
So massiv wie die Besetzung ist auch die Musik des ersten Teils der 8. Sinfonie. Das Dirigat von Eliahu Inbal, eingesprungen für den erkrankten Kent Nagano, wirkt etwas gehetzt, die Musik zu unruhig und hektisch. Der Tenor Burkhard Fritz strahlt in den Höhen, in den tieferen Lagen hat er zu wenig Volumen, um über das laute Orchester zu kommen. Die Sopranistin Sarah Wegener begeistert vollauf und berührt mit sehr schönem, klarem, kraftvollem und intensivem Gesang. Zum Schluss des ersten Teiles erklingt eine Gruppe von sieben Blechbläsern aus dem Zuschauerraum zwei Etagen über der Bühne.
Der nahtlos folgende zweite Teil vertont die Schlussszene aus Goethes „Faust“ und beginnt sehr leise. In den langsameren Passagen weiß das Orchester nicht zu überzeugen. Viele Instrumentalisten sind zu träge, nicht spritzig genug: die Glockenschläge zu Beginn, die Streicher beim Zupfen, die Flöten. Der Bariton Kartak Karagedik und der Bass Wilhelm Schwinghammer klingen etwas undifferenziert und verwaschen; es fehlt ihnen an Stimmvolumen, um über das zu laut spielende Orchester zu kommen.
Einer der Solisten berichtete nach dem Konzert, dass das Dirigat bei der Premiere zwei Tage zuvor sängerfreundlicher gewesen war und die Sänger weniger gegen den zu hohen Schallpegel des Orchesters ankämpfen mussten, der nicht nur die Klangqualität, sondern auch die Textverständlichkeit von Chor und Solisten stark beeinträchtigt.
In den schnelleren Passagen spielt das Orchester stark: knackig, mit Biss, Esprit und Intensität, dramatisch und eindringlich. Und dann klingen die Geigen wieder zart und sprechen viel Schmelz die Herzen der Hörer an. Der Tenor Burkhard Fritz begeistert mit strahlenden und weiten Höhen. Auch Jacquelyn Wagner, Daniela Sindram und Dorottya Láng gefallen mit Weite in den Höhen, können in tieferen Lagen allerdings nicht wirklich überzeugen, klingen hier oft zu eng, verwaschen, etwas gepresst.
Aus den Publikumsrängen rechts in der zweiten Etage singt Heather Engebretson den Part der Mater Gloriosa, der von Himmelsglanz umgebenen Mutter und Verkörperung edelster menschlicher Seelenkräfte. Gesanglich ist ihr „Komm hebe dich zu höheren Sphären“ das Highlight des Abends. Es geht einem das Herz dabei auf! Herrlich klar, strahlend und mit sehr langem Atem scheint ihr Gesang aus dem Himmel zu kommen und versprüht vollkommene Schönheit und ätherische Verzückung in den Saal.
Als der Dirigent Eliahi Inbal ausnahmsweise den Lautstärkepegel des Orchesters etwas herunterfährt, klingt der Tenor Burkhard Fritz auch in den tieferen Lagen kräftig und schön, und es ist zu erahnen, wie viel mehr aus den Sängern und Chören herauszuholen gewesen wäre.
Im gewaltigen Finale dieser monumentalen Sinfonie schwingen sich die Instrumentalisten und Sänger zum gemeinsamen Jubel empor und überwältigen mit massivem Klang. Bei allem Rausch bieten sie alles präzise und auf den Punkt dar. Nach dem Schlussakkord gibt es zum ersten Mal einen Moment, in dem man sich eine weniger perfekt-präzise Akustik wünschte: Hier fehlt erstmals Nachhall, damit der herrliche Jubel der 350 noch ein wenig länger ertönte, noch ein wenig länger beglückte.
Sebastian Koik, 1. Mai 2017 für
klassik-begeistert.de