Christian Thielemann © Matthias Creutziger
Mit seinem Abschlusskonzert als scheidender Dresdner Chefdirigent lässt Christian Thielemann die Semperoper nochmal in all ihrer musikalischen Pracht aufblühen. Diese phänomenale Leistung von Chor, Orchester und Soli trägt die monumentale Kraft dieses Mammut-Werks auf den Schultern. So klingt das auferstandene Mahler-Universum!
Sächsische Staatskapelle Dresden & Gustav Mahler Jugendorchester
Chor des Bayerischen Rundfunks, Sächsischer Staatsopernchor Dresden & Kinderchor der Semperoper Dresden
Christian Thielemann, Dirigent
Camilla Nylund, Ricarda Merbeth & Regula Mühlemann, Sopran
Štěpánka Pučálková & Christa Mayer, Alt
David Butt Philip, Tenor
Michael Volle, Bariton
Georg Zeppenfeld, Bass
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 8 Es-Dur
Semperoper Dresden, 7. Juli 2024
von Johannes Karl Fischer
Ich weiß nicht, was ich zu diesem ganzen Hype um das Ende der Ära Thielemann sagen soll. Natürlich muss sowas gefeiert werden, eine Ansprache des sächsischen Ministerpräsidenten – für den es übrigens den einzigen Buh-Ruf des Abends gab – ist wohl ein Obligatorium.
Mahler war allerdings schon bei der Uraufführung dieser Sinfonie über den Presse-Hype nicht begeistert. Dass hier in Dresden eine halbe Stunde nach dem letzten Akkord immer noch laudiert wurde, wäre sicherlich nicht im Sinne des Komponisten gewesen. Herr Thielemann war daran auch nicht ganz unbeteiligt, seine Dankesrede hätte mindestens vom Umfang her die Ansprüche eines rhetorischen dritten Satz erfüllt. Immerhin weckte sein sächsisches Abschiedsgeschenk – ein Taktstock aus Meißner Porzellan – Erinnerungen an Willi Boskovskys Wiener Geigenkuchen, welchen ihm die Wiener Philharmoniker zu dessen 20. Neujahrskonzertjubiläum überreichten.
Doch das unangefochtene Ereignis des Abends lag in den Ohren, und zwar in Form dieser absolut einzigartigen Aufführung von Mahlers monumentaler Achter Sinfonie. Unter der Leitung Christian von Thielemann ließen die beiden Orchester das Publikum scheinbar mühelos in den siebten Musikhimmel aufschweben, als wäre es das natürlichste der Welt, mit an die 400 MusikerInnen ein anderthalbstündiges Musik-Universum aufzubauen.
Sorry, aber das oft für dieses Werk verwendete Adjektiv „überwältigend“ traf hier einfach nicht zu. Jedes feinste Detail war im ganzen Saal glasklar zu hören, die süßen Geigenklänge zergingen auch inmitten einer fegenden Musikkraft auf der Zunge. Selbst die berüchtigt leisen Kontrabass-Soli zu Beginn des zweiten Satzes flossen sanft, doch klar präsent in der leisteten aller Lautstärken ins Ohr.
Mahler wollte mit diesem Werk ein Universum schaffen. Natürlich ist hier alles einfach eine Nummer größer, vielleicht auch eine Nummer lauter. Christian Thielemann schaffte aus diesen Ingredienzien eine anderthalbstündige musikalische Wohlfühl-Welt, in der alles eben ein bisschen mächtiger klingt. Das Mahler-Universum wollte es so.
Auch die drei Chöre servierten dieses Mammut-Werk mit Grandezza wie auf einem Silbertablett. Mit kräftigem, doch innigsten Gesang schien dieser auch solcher Riesendimension absolut am rechten Ort. In der Schlussszene fühlte man sich wie inmitten der Auferstehung der zweiten Sinfonie, als würde man von den SängerInnen zu Gott getragen werden…
Die acht Solo-Stimmen dieser Sinfonie standen den phänomenalen Chor- und Orchesterleistungen um nichts nach. Wie eine Engelwolke über der himmlischen Kraft dieser monumentalen Orchestermusik segelte Camilla Nylunds (Magna Peccatrix) Stimme mühelos und seidensanft durch den Saal. Mit seliger Brillanz trug die ganze Liebe, welche Mahler in dieser Sinfonie vertonte, in alle Ecken und Ohren des Saals. Für seine sehr positive Überraschung sorgte auch die zweite Sopranistin Ricarda Merbeth (Una poenitentium), die ihren deutlich schärferen Sopran mit Frau Nylunds weicher Stimme in bester Harmonie vereinte.
Einen bärenstarken Abend hatte ebenfalls der Bariton Michael Volle. Mit seinem Monolog „Ewiger Wonnenbrand“ ließ er eine einzige endlose, lyrische Melodie durch den Saal schweben und festigte dennoch seine unangefochtene Position als gesanglicher Göttervater dieses Werks. David Butt Philip sang einen präsenten und brillanten Doktor Marianus, fügte sich – anders als viele andere Heldentenöre dieser Rolle – dennoch äußerst ausgewogen in das Gesangsensemble ein. Auch Georg Zeppenfeld erledigte seine Rolle des Pater profundus mit souveräner Routine und makelloser Textverständlichkeit in den Tiefen seiner Bass-Stimme.
Štěpánka Pučálková brillierte mit warmem und präsentem Mezzosopran als Mulier Samaritana und fand sich im gesanglichen Universum dieser Solo-Stimmen bestens zurecht. Auch Regula Mühlemanns (Mater gloriosa) sonnenheller Sopran strahlte aus einer Loge in alle Ecken des Hauses. Einzig Christa Mayer legte sich ein wenig zu eifrig in ihre Rolle der Maria Aegyptiaca, der klagende Charakter ihrer Rolle klang aus ihrem Mezzosopran etwas zu intensiv hervor.
Der feurige Applaus für Christian Thielemann und alle Beteiligten machte selbst Mahlers monumentalen Orchesterklängen ordentlich Konkurrenz. Diese Sinfonie ist weder zu laut, zu lang, noch zu viel: Hier schwebt die Semperoper anderthalb Stunden lang im Mahler-Universum!
Johannes Karl Fischer, 9. Juli 2024 für
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