Philharmonische Tourneegeschichten und ein unvergesslicher Gustav Mahler

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 9 in D-Dur, Franz Weiser-Möst,  Musikverein Wien, 5. Dezember 2021

Foto: Vienna Philharmonic, 
Franz Welser-Möst, (c) Marco Borrelli

Für alle, die diese singuläre Aufführung sehen und hören wollen: Am 16. Jänner 2022 wird dieses Konzert in ORF III übertragen. Auch wenn der Klang nicht so wie bei einem Livekonzert ist – es zahlt sich auf alle Fälle aus!

Musikverein Wien, Großer Saal,
Aufführung ohne Publikum, 5. Dezember 2021

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 9 in D-Dur

Wiener Philharmoniker
Dirigent: Franz Welser-Möst

von Herbert Hiess

Wenn man sich in der schreibenden Zunft befindet, hat man manches Mal das Glück, bei besonderen Anlässen dabei sein zu können. Und in der derzeitigen Corona-Pandemie mit Lockdown gehört das  Konzert der unvergleichlichen Wiener Philharmoniker, das dem Publikum  via „Stream“ und Aufzeichnung zugänglich gemacht wurde, zu einem ganz besonderen Anlass.

So auch an diesem Sonntag Vormittag, wo das  Wiener Meisterorchester gemeinsam mit Franz Welser-Möst eine unvergleichliche Aufführung der ultimativen Symphonie Nr. 9 in D-Dur von Gustav Mahler gab.

Zuvor erzählten Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer und Pressesprecher Michael Bladerer interessante Begebenheiten von der Asien-Tournee und dem Konzert in Ägypten in diesem Jahr. So wurden  die Musiker beispielsweise teilweise in „Hotel-Arrest“ mit Handy-App-Überwachung gestellt  – eigentlich nichts anderes als eine elektronische Fußfessel. Die Musiker durften auch das Hotel größtenteils nicht verlassen. Dann erzählten sie auch von der berührenden Begegnung mit Seiji Ozawa, der noch einmal seine geliebten Philharmoniker dirigieren wollte. Er kam mit seiner Tochter und dirigierte im Rollstuhl mühevoll einen langsamen Satz eines Mozart-Divertimentos. Das war offenbar sein Abschied vom Orchester, der niemanden kalt ließ.

Zurück zum Konzert  vom Sonntag im Musikverein! Franz Welser-Mösts Begegnungen mit Gustav Mahler sind wahrlich nicht zahlreich – aber diese war eine der Allerbesten.

Franz Welser-Möst ist wohl am Zenit seines Schaffens angekommen. Was er mit den superben Philharmonikern dargeboten hat, war im Musikverein in dieser Qualität schon lange nicht mehr zu hören. Gerade dieses Abschiedswerk Mahlers braucht einen geistig gereiften Dirigenten und eben ein Orchester wie die Wiener Philharmoniker, das in allen Instrumentengruppen völlig souverän ist.

Die größtenteils in Toblach (Südtirol) entstandene Komposition ist sozusagen ein Kompendium von Mahlers kompositorischem Schaffen. Instrumentaltechnisch sind viele Elemente seiner Orchesterwerke enthalten; man merkt allerdings sehr rasch, dass er hier seine eigenen Wege geht. Das monumental besetzte Orchester spielt sehr oft in kammermusikalischen Kombinationen und Gruppen – ein kleines Beispiel ist die Coda im ersten Satz, wo die Piccoloflöte (Günter Federsel) einen Dialog mit dem Solohorn führt. Oder die Harfeneinlagen im dritten Satz (Rondo-Burleske).

Hier hat der Dirigent die gewaltige Aufgabe, sowohl auf den Gesamtklang als auch den Zusammenhang innerhalb der Sätze zu achten. Mahler verabschiedete sich hier auch von der klassischen „Formenlehre“. Einen Satzaufbau, wie man ihn von den meisten anderen Werken kennt, findet man hier nicht. Auch werden viele kleinere Motive durch alle Sätze durchgereicht. Am ehesten formgemäß ist eigentlich noch der 2. Satz als „Landler“. Diese abschiedsmäßige Wehmut und der Weltschmerz, die man in diesem Konzert vernahm, hört man im Musikverein selten. Zuletzt vielleicht 1982 mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan.

Diese geistige Durchdrungenheit von Franz Welser Möst konnte man bei dieser Aufführung wieder im Musikverein hören. Tatsächlich tränentreibend die Coda vom vierten Satz im „ersterbenden“ Des-Dur. Hier zeigte sich wieder die unvergleichliche Virtuosität der philharmonischen Streicher. Dass sich da einer der anwesenden Rezensenten einer führenden Tageszeitung mit einem brüllenden Huster akustisch verewigen musste, ist weniger erfreulich. Zumal man ja von fachkundigen Personen etwas mehr Disziplin verlangen darf.

Für alle, die diese singuläre Aufführung sehen und hören wollen: Am 16. Jänner 2022 wird dieses Konzert in ORF III übertragen. Auch wenn der Klang nicht so wie ein Livekonzert ist – es zahlt sich auf alle Fälle aus!

Herbert Hiess, 5. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ein Gedanke zu „Gustav Mahler, Symphonie Nr. 9 in D-Dur, Franz Weiser-Möst,
Musikverein Wien, 5. Dezember 2021“

  1. „Dass sich da einer der anwesenden Rezensenten einer führenden Tageszeitung mit einem brüllenden Huster akustisch verewigen musste, ist weniger erfreulich. Zumal man ja von fachkundigen Personen etwas mehr Disziplin verlangen darf.“

    Ich tippe mal auf „Die Presse“…

    Jürgen Pathy

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert