Foto: ©Harald Hoffmann; Lukas Hagen, Rainer Schmidt, Veronika Hagen, Clemens Hagen (f.l.t.r)
Wiener Konzerthaus, Mozart Saal, 2. Mai 2019
Hagen Quartett
Lukas Hagen,Violine
Rainer Schmidt,Violine
Veronika Hagen,Viola
Clemens Hagen,Violoncello
von Jürgen Pathy
Drei Kammermusikwerke, alle in Moll, lassen den Besucher des Wiener Konzerthauses zwar ein emotionales, aber in Anbetracht der Weltklasse-Musiker kein künstlerisches Trauerspiel erwarten. Seit beinahe vierzig Jahren, seit der offiziellen Geburtsstunde 1981, zieht das renommierte Hagen-Quartett durch die Konzertsäle dieser Welt.
Dabei begeistert, entrückt und verwirrt es mit einer Form der Musik, deren Purismus und Intimität entgegen des Zeitgeists, abseits der Überholspur für bekömmliche Ruhe sorgt – Kammermusik: vier Stimmen, mehr oder weniger emanzipiert, führen ein Gespräch unter acht Augen.
Mal dominiert die erste Violine, wie im „Quartettsatz“ des Schubert‘ schen Streichquartetts in c-Moll, mal entfacht ein Diskurs, an dem alle vier Instrumente gleichberechtigt beteiligt sind, wie in Schostakowitschs Streichquartett in b-Moll. Ein Spätwerk des russischen Komponisten aus dem Jahre 1970, aus dem die vier feinfühligen Musiker plastisch ausgeprägte Charaktere modellieren und den Zuhörer in die düstere Welt des Komponisten entführen.
Die Bratsche, deren melancholische Melodie als beruhigender Ankerpunkt fungiert, verkörpert die Ruhe, den sicheren Heimathafen. Selbst der Tod, der einige Male an die Türe klopft – symbolisiert durch drei Bogen-Schläge auf den Notenständer – scheint der besonnenen, alten Dame keine Angst einjagen zu können. Das Cello wirkt wie ein Außenstehender, wie ein pragmatischer Beobachter und vorsichtiger Kommentator, der sich niemals in den Mittelpunkt drängen möchte. Und die beiden Geigen, hin– und hergerissen zwischen Monotonie, Angst und Aufruhr, symbolisieren die erdrückende Enge und aussichtslose Welt, in der sich Dmitri Schostakowitsch im Grunde Zeit seines Lebens als Gefangener wusste.
Noch verwirrender und vor allem schwerer zu durchdringen erscheint das Werk des bereits völlig in sich gekehrten, im Angesicht seiner Taubheit und des Suizidversuchs seines Neffen der Außenwelt völlig entrückten Ludwig van Beethoven.
Die Zeilen des Kritikers Johann Friedrich Rochlitz, die im Jahre der Uraufführung des cis-Moll Streichquartetts 1828 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung veröffentlicht wurden, scheinen bis heute kaum an Evidenz verloren zu haben: Jene, die durch Musik sich nur amüsieren – einen angenehmen Zeitvertreib schaffen wollten –, sollten auf jene neueste Werke Beethovens verzichten.
Zu irritierend, kompliziert und verworren scheint die Ausdrucksweise des Komponisten, der anscheinend nicht nur mich vor ein Rätsel zu stellen vermag. Mögen im ersten Teil des Abends noch alle in völliger Faszination, in einer Art der beglückenden Schockstarre verharrt haben, bahnt sich nun vereinzelt eine latente Nervosität und Unruhe ihren Weg durch den Mozart-Saal. Da kann selbst die angenehme Atmosphäre, die gedimmte Beleuchtung und die einer Kathedrale ähnelnde Bühnenrückwand wenig Sicherheit, Geborgenheit und Schutz bieten.
Dennoch scheint des Rätsels Lösung nicht völlig aussichtslos, offenbaren sich aus der leidenschaftlichen Deklamation des Hagen-Quartetts zumindest einige Anhaltspunkte: Die Tragik eines DmitriSchostakowitsch, die Melancholie eines Gustav Mahler, und in weiter Ferne schimmert sie noch, die lyrische Seele des Ludwig van Beethoven, der sich trotz aller Schicksalsschläge zum Ende seines Lebens noch immer nicht zur Gänze hat unterkriegen lassen.
Jürgen Pathy, 3. Mai 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Allen, denen es beim Beethoven’schen Streichquartett Nr. 14 ähnlich ergehen sollte wie mir, denen sei diese Bearbeitung für Kammerorchester von Leonard Bernstein ans Herz gelegt. Die bringt meines Erachtens etwas Licht ins Dunkel, und lässt die Originalversion verständlicher werden. Es spielen die Wiener Philharmoniker.
https://www.youtube.com/watch?v=wYGTurA-5bA
Jürgen Pathy