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„Russen, die ich liebe!“
von Harald Nicolas Stazol
Nach Paris, an die Opéra Garnier und im überreich-prächtigen Treppenhaus unter die Marquisen, wo Princesses und Komtessen in großer Toilette mengen – ein Empire-Entrée fast größer als der Zuschauerraum samt Bühne – das ist diese Kehrtwende in der Architekturgeschichte, wie mir vor 20 Jahren ein sehr ergriffener Opernregie-Student beim Konservatoriumskonzert erläutert, ab da das gesellschaftliche Sehen und Gesehen werden wichtiger wurde, als die Aufführung – nun also die Marmortreppen hinauf, hier mögen sich Wagner und Meyerbeer angebrüllt haben, oh, dort drüben entschwindet gerade Kaiserin Eugenie…
154 Tänzer und Tänzerinnen hat man in Paris zur Verfügung, in Worten Einhundertvierundfünfzig! Fast unmöglicher Zufall, reine serendipity, lässt mich bei einem Abendessen en famille in der französischen Vogue blättern, mit einem Ballettportrait, da steht diese unglaubliche Zahl! Was wohl Covent Garden so aufbietet? „Genügend“ wird es aus London heißen, genau wie die PS beim Rolls Royce.
Allein das Bühnenbild! Nurejew! Unendlich hoch und breit und im Wechsel des Lichtes, immer prächtiger, dunkelroter, das Bett und Schlafgemach der Julia, der große Saal der Capulets – so etwas kann man im Winterpalast gesehen haben, oder bei den Yussupows, oder bei Frau von Meck, der Eisenbahnmagnatin, die Tschaikovsky sponsert, bis der Sponsorenvertrag eben wegen ebenjenes Grundes, die man in Putins „Russland“ nicht mehr sagen darf auf Kerkerhaft, gekündigt wird.
Vor diesem Tableau aus Gold und Preußischblau, nein, eher Bleu Mourant, dem „weinenden Blau“, der Lieblingsfarbe Friedrich des Großen, nur deswegen gibt es KPM, „Die königlich Preußische Porcellan Manufactur“, ist auch von den Kostümen zu sprechen, derart überladen, bestickt, hier ein Umhang, dort ein Wams zum Degen in grünem Samt, Vater Capulet in Kardinalsrot – ach Paris, mein Paris!
Wieviele Russen 1993 bei diesem Spektakel, dass einem die Augen übergehen in der Compagnie sind? „Je ne sais pas, Monsieur“ heißt es aus dem Pressebüro, "> „maintenant?“ – „Non, merci, je vous pries d’accepter mes compliments distinguées d’Hambourg“ entgegne ich etwas peinlich berührt, soll doch jeder selber zählen, mir ist das ganze langsam lästig und zu politisch!
Wie es aber dazu kam, dass ich im Hotel Meurice in der Dalí-Suite landete, mit einem kleinen Dachgarten über den Dächern von Paris mit Blick auf die mächtige Oper, soll einmal irgendwo und anderswo erzählt werden, – jetzt aber und nun, und dann und darin widmen wir uns ganz dem Tanz.
Harald Nicolas Stazol, 11. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Haralds Passionen VI lesen Sie morgen, Dienstag, 12. Juli 2022.
Haralds Passionen IV: Von der Ukrainischen und anderem klassik-begeistert.de 10. Juli 2022
Haralds Passionen III: Ya tebya lyublyu! klassik-begeistert.de, 9. Juli 2022
Haralds Passionen II: Der Prozess klassik-begeistert.de, 8. Juli 2022
Haralds Passionen I: “Russen, die ich liebe”! klassik-begeistert.de, 7. Juli 2022