Foto: © Indi Herbst (obs/Amazon.de/INDI HERBST)
„Weniger Hochglanz, weniger Inszenierung, mehr Authentizität und es hätte eine tolle Doku werden können. So ist es ein Jonas-Kaufmann-Denkmal auf einem unerreichbar hohen Sockel. Eingefleischte Fans dürfte das aber nicht stören.“
„Jonas Kaufmann – Ein Weltstar ganz privat“: Dokumentarfilm über den preisgekrönten Opernsänger
von Barbara Hauter
Jonas Kaufmann für Gala-Leser: Was Amazon Prime als Dokumentarfilm über Jonas Kaufmann verkauft ist eine klassische Homestory im Hochglanzformat. Angekündigt als Einblick ins Privatleben erwarteten wir tiefgründige Gespräche mit einem der größten Tenöre unserer Zeit. Ein großer vielschichtiger Künstler, der Opernrollen nicht nur grandios singt, sondern sie auch schauspielerisch zum Leben erweckt, im Porträt: Das wäre Stoff für große, emotionale Geschichten. Doch leider, leider präsentiert uns Amazon nur eine glänzend polierte Oberfläche des Sängers.
Was wir erfahren: Jonas Kaufmann, der König der Tenöre, ist ein preisgekrönter Opernstar, Familienvater, leidenschaftlicher Koch und Krimi-Fan und er lebt in einem schönen, großen Haus mit Seeblick in Bayern. Alles was er tut, ist seinem Perfektionismus unterworfen. 99 Prozent sind ihm nicht genug, er kämpft um das letzte eine Prozent. Kein Wunder also, dass er als schwierig gilt. Das sagt er selbst von sich. Selbst der Espresso, den der Maestro in seiner Profi-Siebträger Maschine höchstselbst produziert, muss auf den Punkt genau stimmen.
Die Idee zu dem Film – genau passend in der Corona-Zwangspause – hatte sein langjähriger Freund, der Moderator und Medienunternehmer Alexander-Klaus Stecher, der gemeinsam mit seiner Frau, der Unternehmerin Judith Williams, die Dokumentation „bereichert“. Die beiden sitzen mit den Kaufmanns beim Lunch zusammen. Was wirken soll, wie ein entspanntes Essen mit Freunden, entpuppt sich als Show: Kaufmanns kulinarische Kreation ist selbstverständlich wie beim Sternekoch, die Kleidung der Protagonisten wie in der Vogue farblich und stilistisch aufeinander abgestimmt, die Damen perfekt frisiert und gepudert und die beiden geladenen Freunde fungieren als Stichwortgeber für die Jonas-Kaufmann-Story. Es wird gefragt nach der schwersten Rolle (Otello wegen der Emotionalität), Krisen mit der Stimme (eine Einblutung, die über lange Zeit verheilen musste), nach der Entspannung (mit Basteln und Krimis), nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (man muss der Leidenschaft folgen).
„Früher gab es drei Tenöre, heute nur noch den Einen“, heißt es gleich zu Beginn. Hochglanz ohne Schatten folgt. Baby Valentin schaukelt im elterlichen Garten, Charlotte Kaufmann, die 22-jährige Tochter aus erster Ehe, bastelt mit dem Vater. Wir verstehen, dass Jonas Kaufmann in erster Linie ein Familienmensch ist.
Dann bekommen wir Einblicke in Kaufmanns perfektionistische Art: Im eigenen Tonstudio werden CD-Projekte umgesetzt und der Tenor urteilt höchstpersönlich über jeden Take. „Niemand kann entscheiden außer mir, mit welcher Variante ich mich identifiziere.“
Helmut Deutsch, Pianist und Kaufmanns Musikprofessor an der Münchner Musikhochschule, erklärt, was seinen berühmten Schüler so einzigartig macht: „Man nimmt ihm jede Gefühlsregung ab.“ Ausschnitte aus Puccinis La Bohème mit Anna Netrebko auf dem Münchner Königsplatz 2015 und von der Berliner Waldbühne 2018 zeigen Jonas Kaufmann, wie man ihn kennt und dienen als Belege. Aber es gibt noch einige echte Zuckerchen für den Fan: Begleitet von Deutsch singt Jonas Kaufmann Lehárs „Dein ist mein ganzes Herz“. Der Tenor freut sich sichtlich über das „Internationale Schmachtfest“ und setzt noch eines drauf: „Mamma“ von Cesare Andrea Bixio, im italienischen Original, nicht in der bekannten Heintje-Version. Ganz zart und intim wird es bei „Der alte Herr Kanzleirat“ von Hans Lang. Jonas Kaufmann zeigt da seine ganze dynamische Bandbreite und wirkt, so wie er da steht, mit dem Handy in der Hosentasche, nahbar, sensibel und menschlich.
„Es ist viel schwerer im Olymp zu bleiben, als dort hinzukommen.“ Den Satz nimmt man ihm ab. Natürlich werden die Stationen bis zum Olymp kurz angerissen. Sein internationaler Durchbruch 2006 mit dem Alfredo in Verdis La Traviata an der Met. Seine Doppelrolle in Cavalleria rusticana und Pagliacci bei den Salzburger Festspielen 2015. Kaufmann: „Oper… ist wie eine Katharsis, das ist auch für uns auf der Bühne so, weil ich so viele Gefühle durchlebe im Laufe eines Abends, das ich mich klar und gereinigt fühle. Und das ist beim Publikum auch so. Wenn man das einmal erlebt hat, dann will man mehr und mehr, das ist eine Droge.“
Aber auch der Film ist in erster Linie eine Bühne und die Geschichte, die erzählt wird, ist nicht die des Menschen Jonas Kaufmann sondern die des erfolgreichen Künstlers, wie wir ihn sehen sollen: voller Schönheit und Leichtigkeit. Leicht wie ein Sommernachmittag mit Freunden, das Boulespiel im Garten oder der Bootsausflug auf den See. „Volare“ singt Kaufmann zum Schluss. „Fliegen, singen, blau gemalt, im Blau. Froh dort oben zu sein.“
Fazit: Weniger Hochglanz, weniger Inszenierung, mehr Authentizität und es hätte eine tolle Doku werden können. So ist es ein Jonas-Kaufmann-Denkmal auf einem unerreichbar hohen Sockel. Eingefleischte Fans dürfte das aber nicht stören.
Barbara Hauter, 9. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Don Carlos Wiener Staatsoper, 27. September 2020
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Die Journalistin Barbara Hauter lebt in München.