Trotz vieler Ausfälle: Intensives musikalisches Engagement und Emotionen bei allen Künstlern in Wien

Hector Berlioz, LA DAMNATION DE FAUST,  Wiener Konzerthaus, 16. Februar 2019

Foto vom Schlussapplaus im Wiener Konzerthaus © Klaus Billand

Wiener Konzerthaus, 16. Februar 2019
Hector Berlioz, LA DAMNATION DE FAUST

Philippe Jordan mit den Wiener Symphonikern, 16. Februar 2019

von Klaus Billand (onlinemerker.com)

Die Wiener Konzerthaus-Gesellschaft war wirklich nicht zu beneiden angesichts der Absage-Kaskaden bei den beiden konzertanten Aufführungen der „La Damnation de Faust“ von Hector Berlioz Freitag- und Samstagabend, am Samstag bei ausverkauftem Haus. Ein Sprecher des Hauses trat vor das Publikum und informierte über die jüngsten Entwicklungen. Nachdem Ildebrando D‘Arcangelo schon zuvor aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, war der Einspringer Nahuel Di Pierro am Samstagmorgen ebenfalls erkrankt, sogar mit Fieber. So konnte man Alexander Vinogradov äußerst kurzfristig aus Paris einfliegen lassen, um die Partie des Mephistophélès zu singen. Für den ebenfalls indisponierten Florian Boesch übernahm Edwin Crossley-Mercer die Rolle des Brander. Einzig Kate Aldrich als Marguerite und Saimir Pirgu als Faust konnten beide Abende antreten. Es wurde betont, wie professionell der Dirigent der Aufführung und kommende Chefdirigent der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan, die vielen Änderungen mit den Neulingen über die Runden brachte. Der Abend hing offenbar am berühmten seidenen Faden. Ein Lob der Konzerthaus-Gesellschaft, wie sie das so schnell und kompetent gemeistert hat!

Es wurde ein guter Abend, geprägt von intensivem musikalischem Engagement und Emotionen bei allen Mitwirkenden und auch im Publikum. Oft geraten ja gerade solche Abende zu besonders erfreulichen Erlebnissen. Philippe Jordan ist bekanntlich noch nicht Chefdirigent der Wiener Staatsoper, aber er scheint schon in Wien angekommen zu sein. Souverän und mit großer emotionaler Intensität sowie intensiver und dabei auch sprachlicher Tuchfühlung mit den Sängern konnte er schnell die Herzen des gespannten Publikums erobern und machte mit den bestens aufspielenden Wiener Symphonikern den Abend zu einem Opernerlebnis, obwohl diese gar nicht szenisch geboten wurde. Denn einmal mehr wurde hier bewiesen, was Sänger mit emotionaler und mimischer Darstellung bei einer konzertanten Opernaufführung, also in Abwesenheit von Szene und Kostüm, zu leisten vermögen, wenn es um die Darstellung von Opernfiguren geht, sogar wenn sie Notenpulte vor sich stehen haben wie hier.

Sofort kam mir das Erlebnis der halb-szenischen Bayreuther „Walküre“ in Abu Dhabi/VAE am 30. Januar 2019 in Erinnerung, wo unter der Gesamtleitung der Festspielleiterin Katharina Wagner die Sänger ohne mimischen und emotionalen Ausdruck zu singen hatten, weil die Emotion und also theatralische Dramatik allein von einem Stummfilm ausgehen sollte, der hinter dem Bayreuther Festspielorchester synchron zum Geschehen ablief und somit den Charakter der halb-szenischen Produktion begründete. Ein künstlerisch sicher ungangbarer Weg. Musik ist Emotion, menschlicher Gesang noch mehr, und man kann sie nicht stoppen, erst recht nicht, wenn es sich um die Darstellung einer Opernfigur handelt, die etwas zum Ausdruck bringen muss bzw. will – sei es mit oder ohne Notenpult, wie in Abu Dhabi.

RICHARD WAGNER, DIE WALKÜRE, Emirates Palace, ABU DHABI / VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE

Den stärksten Eindruck in dieser Hinsicht konnte am Samstagabend Kate Aldrich als Marguerite vermitteln. Sie gestaltete die Ballade im 3. Teil mit großer Emotion und auch ihre Romanze zu Beginn des 4. Teils mit intensiver Hingabe, viel Emphase undausdrucksvoller Mimik. Sängerisch konnte Aldrich mit einem ausdrucksvollen und wohlklingenden Mezzo-Sopran bei guter Tiefe und auch ansprechenden Höhen beeindrucken. Lediglich die Wortdeutlichkeit ließ zu wünschen übrig. Man sang in der Originalsprache Französisch.

Alexander Vinogradov, in Moskau gebürtig und eben für D’Arcangelo als Mephistophélès eingesprungen, war die große Überraschung des Abends. Er verlieh dem Mephisto starken Ausdruck als boshafter Gegenspieler Fausts und Marguerites und sang ihn mit einem ungewöhnlich wohlklingenden und technisch perfekt geführten Bass bei beeindruckender Resonanz, beispielsweise bei der „Beschwörung“ vor Marguerites Haus im dritten Teil. Der Bassbariton Edwin Crossley-Mercer war ein sehr guter Brander, mit bekanntlich leider nur relativ begrenzter Rolle.

Saimir Pirgu hatte als Faust gegen diese Kollegen einen relativ schweren Stand, ist der Berlioz-Faust für ihn doch sicher eine Grenzpartie. Seine Stimme ist eher geeignet für Mozart, wo er als Don Otavio und Ferrando offenbar auch große Erfolge feiert. Hier war es bei allem hörbarem Bemühen für die geforderten Höhen oft zu wenig, zumindest zu eng. Seinen stärksten Moment hatte Pirgu allerdings bei der „Beschwörung der Natur“ im vierten Teil, den er mit einem gewissen dramatischem Aplomb und guter Attacke sang. Er wirkte hier auf einmal wie freigesungen. So gab es gar einen Extra-Applaus.

Heinz Ferlesch hatte die Wiener Singakademie – der Chor spielt in diesem Stück eine zentrale  Rolle – bestens einstudiert. Sehr gut waren die einzelnen Gruppen voneinander abgesetzt. Die Bässe hatten großartige sonore Momente. Hinzu kam die Opernschule der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Johannes Mertl, ebenfalls ein Asset an diesem Abend.

Philippe Jordan dirigierte die Wiener Symphoniker, deren Chefdirigent er ja ist, mit großem Engagement und enormer Präzision im Schlag. Er vermochte die ganze Schönheit und den Facettenreichtum der Partitur von Hector Berlioz zum Klingen und gar Leuchten zu bringen. Zum dramatischen Höhepunkt wurde die musikalisch gewaltige Abfuhr Fausts in die Hölle mit dem Chor der Teufel und Verdammten. Und dabei die gewaltige Stimme und Persönlichkeit Alexander Vinogradovs, mit seiner unmissverständlichen Bestätigung, dass Faust seinem dunklen Reich nun für immer verfallen sei! In wahrlich himmlischem Kontrast danach der Epilog mit den himmlischen Geistern und dem Kinderchor! Allein, die Sopranistin hatte man hier wohl eingespart, denn Kate Aldrich sang auch das Sopran-Solo aus dem Himmel. Aber das blieb nur ein Detail eines überaus gelungenen Abends im Konzerthaus mit begeistertem Applaus des Publikums.

Klaus Billand, 17. Februar 2019

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