Wunderbare Entdeckungen des Ensemble Phoenix Munich

Heinrich Isaac und der Choralis Constantinus, Die Hl. Ursula und die 11.000 Jungfrauen  St. Johannes-Kirche München, 21. November 2021

Fotos: © Frank Heublein

St. Johannes-Kirche, München, 21. November 2021

Ensemble Phoenix Munich und Ensemble Servir Antico

Heinrich Isaac und der Choralis Constantinus. Die Hl. Ursula und die 11.000 Jungfrauen

von Frank Heublein

An diesem Sonntagabend holt sich das Ensemble Phoenix Munich Verstärkung vom Ensemble Servir Antico. Auf dem Programm in der Kirche St. Johannes in München steht Heinrich Isaac und der „Choralis Constantinus. Die Hl. Ursula und die 11.000 Jungfrauen.“ Der Komponist hat von 1450-1517 gelebt. Also im Mittelalter, das sich in manchen Teilen Europas schon in Richtung Renaissance neigte. Der Ausgangspunkt des Konzerts ist der in Nürnberg 1550-55 entstandene Choralis Constantinus, eine Sammlung polyphoner Motetten.

Der Augenschmaus ist ein Orgelpositiv, ein Instrument des ausgehenden 15. Jahrhunderts, das in Amsterdam mittels einer detaillierten Abbildung aus Italien nachgebaut wurde. Eine zweite Person muss den zwei geteilten Blasebalg beständig langsam auf und ab bewegen, damit die Pfeifen einen Ton erzeugen können. Daneben spielt Organistin Catalina Vicens auf einem Portativ, das ist ein kleines Orgelinstrument, das auf den Oberschenkel gestellt wird. Ihre linke Hand bedient den Blasebalg, die rechte bedient im 90° Grad-Winkel die Tasten.

Insgesamt wirkt das Konzert auf mich sehr kontemplativ. Es beeindrucken mich gleich zu Beginn die beiden unterschiedlichen Versionen von „Es hat ein Baur ein Töchterlein“. Zuerst a capella von Sopran Maria Andrea Parias und Mezzosopran Giovanna Baviera. In einer zweiten agileren Variante geben sich die vier Stimmen die Töne in die Hand.

Auch das daran anschließende Stück „Mein freud allein“ höre ich zwei Male. Zuerst interpretiert Ryosuke Sakamoto es auf der Laute. Grazil. Fein. Sehr akzentuiert. Die zweite Fassung beginnt mit Laute und Tenor, in der zweiten Strophe gesellen sich Orgelpositiv und Bass dazu. Mein augenblickliches weihevolle Gefühl sagt mir, dass die Kirche der richtige Ort für diesen Moment, dieses Konzert ist.

Mit „Si dormiero“ darf Catalina Vicens das Orgelpositiv im Solo vorstellen. Klar als Orgel erkennbar, doch zugleich viel weniger durchdringend. Darauf folgt das Hauptwerk des Abends: Sequence – Virginalis turma sexus. Die zerbrechliche Schönheit ergreift mich, berührt mich zutiefst. Die vier Stimmen wachsen des im Kern polyphonen Werkes auseinander heraus. Der Tenor ist die Leitstimme, entweder a capella oder mit Continuo. Die anderen Stimmen schließen an den Tenor an. Sprießen wie Pflanzen im Zeitraffer.

Der Hoftanz ginge, wenn auf modernen Gitarren und nicht wie hier durch Joel Frederiksen und Ryosuke Sakamoto auf Lauten gespielt, als Jazz durch. Ryosuke Sakamoto beweist erneut unglaubliche Fingerfertigkeit.

In „Mon père“ kommt das Portativ zum Einsatz. Als continuo erzeugt es einen zwar wohltemperierten aber zugleich gepressten Ton, zuweilen ähnelt der der Klang für mich Dudelsacktönen. Dann wieder, würde ich es nur hören und nicht sehen, wie eine wunderhafte Orgel. Diese Empfindung verstärkt sich in mir durch die instrumentale „Vollbesetzung“ an diesen Abend. Denn neben Portativ unterstützen Diskant Gambe, normale Gambe und Laute den Gesang von Sopran und Bass.

Das nachfolgende „Donna di dentro“ ist das strahlend freudigste Stück des Abends, die vier Stimmen stechen nach oben, wechseln die Oktaven. Das instrumentale „La Martinella“ macht die Besonderheit des Klangs des Portativs offensichtlich, begleitet von Diskant und normaler Gambe.

„Alla Battaglia“ ist ein rhythmisch atemberaubendes Stück der jetzt fünf Stimmen, denn neben Sopran, Mezzo, Tenor und Bass lässt Ryosuke Sakamoto seinen Counter erklingen. Die Zugabe greift nochmals die Melodie des ersten Stücks „Innsbruck, ich muss Dich lassen“ auf. Es heißt in diesem Fall „Oh Welt, ich muss Dich lassen“. Als Continuo darf ich ein weiteres Mal das Portativ bestaunen.

Wie wunderbar sind diese Entdeckungen des Ensemble Phoenix Munich. Nie zuvor gesehene und gehörte Instrumente. Fantastische Stimmen, von denen mir persönlich Giovanna Bavieras Mezzosopran die ist, die am tiefsten in mich hineindringt. Gehobener Seele verlasse ich die Kirche.

Frank Heublein, 22. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm

Heinrich Isaac und der Choralis Constantinus. Die Hl. Ursula und die 11.000 Jungfrauen

Innsbruck, ich muss Dich lassen

Herr Gott, laß Dich erbarmen

Es hat ein Baur ein Töchterlein

Es hat ein Baur ein Töchterlein

Mein freud allein

Mein freud allein

Christ ist erstanden

Si dormiero

Sequence – Virginalis turma sexus

Hoftanz

Héleas que devera mon cuer

Tristitia vestra vertetur in gaudium

Mon père

Donna di dentro di tua casa

La Martinella

Alla Battaglia

Zugabe: Oh Welt, ich muss Dich lassen

Besetzung

Ensemble Phoenix Munich und Servir Antico*

Ivo Haun Tenor

Maria Andrea Parias Sopran

* Giovanna Baviera Mezzosopran, Viola da Gamba

Ryosuke Sakamoto Laute, Viola da Gamba (auch: Diskant), Countertenor

* Catalina Vicens Orgelpositiv, Portativ

Joel Frederiksen Bass, Laute

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert