Hélène Grimaud betört mit Beethoven, Brahms und Bach/Busoni

Hélène Grimaud, Klavier  Essen, Philharmonie, 14. Mai 2023

Ein kraftvoller, stringenter Auftritt der Französin beim Klavier-Festival Ruhr


Philharmonie Essen, Essen, 14. Mai 2023

Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Klaviersonate Nr. 30 in E-Dur, op. 109

Johannes Brahms (1833-1897) – Drei Intermezzi, op. 117; sieben Fantasien, op. 116

Johann Sebastian Bach (1685-1750) – Chaconne aus der Partita Nr. 2 für Violine solo, BWV 1004, Bearbeitung von Ferruccio Busoni (1866-1924)

Hélène Grimaud, Klavier

von Brian Cooper, Bonn

Zum 18. Mal war Hélène Grimaud beim Klavier-Festival Ruhr zu Gast. So steht es im Programmheft; gelistet sind nur 16 Konzerte, das erste bereits 1991. Sei’s drum. Man will schließlich nicht… mit Korinthen handeln.

Lange hatte ich die große französische Pianistin nicht erlebt. Und es wurde ein sehr guter Abend. Von ihren ersten Aufnahmen bei Denon (aus Teenagerzeiten!) spricht man noch immer, so auch der Freund, der mich begleitete und das Programm einige Wochen zuvor in der Düsseldorfer Tonhalle gehört hatte.

Ihre Erato-Aufnahme der Spätwerke von Johannes Brahms op. 116-119 von 1996 lege ich immer wieder gern auf. Es gibt so viele schöne Aufnahmen dieser aufwühlenden und leidenschaftlichen Klaviermusik, von Katchen über Lupu, Volodos und Gould (Intermezzi) bis hin zu eben Hélène Grimaud und Lars Vogt (bei EMI), der so schmerzlich vermisst wird.

Das erste Intermezzo aus op. 117 verbinde ich immer mit einem Freund und Nachbarn meiner Kindheit, Wilhelm Hecker, der an der Kölner Musikhochschule Professor für Liedbegleitung war, gemeinsam mit Franzjosef Maier und Kurt Herzbruch Pianist des Schubert-Trios war, viele Rundfunk-Aufnahmen für den WDR machte und mir Schuberts Lieder nahebrachte. Was für ein Privileg, mit 13 oder 14 bei ihm auf dem Sofa zu sitzen und beim Kaffee (für mich Orangensaft) die Winterreise erklärt zu bekommen! Bei seiner Beerdigung wurde seine eigene Aufnahme des ersten Intermezzos op. 117 gespielt.

Es ist natürlich hochinteressant, nach Jahrzehnten die Interpretationen derselben Pianistin zu vergleichen. Mit der Zeit, und mit zunehmender Lebens- und Leidenserfahrung, kann es durchaus sein, dass es eklatante Unterschiede gibt. Etwa bei den Goldberg-Variationen des oben erwähnten Glenn Gould. Hier jedoch, in Essen, staunte man bei den Intermezzi op. 117, wie bemerkenswert bereits die frühen Aufnahmen im Rückblick gewesen sind. Diese Stringenz der Ausführung setzte sich ohne große Unterschiede beim Liveauftritt in Essen fort.

Die Intermezzi op. 117 spielte Hélène Grimaud mit der gebührenden Ruhe. Das mittlere Stück, in b-Moll, wurde im Mittelteil drängender, und besonders im betörend-schönen dritten cis-Moll-Intermezzo – in den Takten vor der Reprise – entstand pure Magie. Auch dank eines aufmerksamen Publikums.

Begonnen hatte der Abend mit der drittletzten Beethoven-Sonate op. 109, forsch zupackend im Kopfsatz, stürmisch im zweiten und gesanglich und in sich gekehrt im letzten Variationssatz. Macht man sich bewusst, dass Beethoven längst taub war, als er seine späten Sonaten schrieb, wird man von Wehmut erfasst. Unter Grimauds Händen wurden die mitunter penetranten Triller Beethovens zu erhabener Musik. Man meinte bisweilen sogar, Schumann und Bach herauszuhören, so farbenreich war diese Darbietung.

In der Pause faselte ich etwas von „Was für ein toller Anschlag“, was mit der trockenen Bemerkung meines Begleiters – „Einer?“ – quittiert wurde. Touché. Die Synästhetikerin hat eine beeindruckende Palette an Farben und Anschlagskultur!

Und waren wir schon in einem sehr guten Klavierabend, wurde es nach der Pause noch besser. Ein Orkan fegte im op. 116 durch den Alfried-Krupp-Saal. Der Abend war regelrecht dramaturgisch ausgelegt: Hélène Grimaud legte noch eine Schippe drauf. Im op. 116 war ein deutlicher Kontrast spürbar zwischen den stürmischen Capricci und den ruhigeren Intermezzi, jedes der beiden Genres jeweils geistesverwandt und als wahre Charakterstudie dargeboten.

Nach dem letzten Capriccio in d-Moll ging es nahtlos über in den Höhepunkt des Abends, die Chaconne aus der zweiten Partita für Violine solo, deren wohl bekannteste Bearbeitung von Busoni stammt. Und sie ist genial. Der Herr vor mir schüttelte öfter bewundernd-ungläubig mit dem Kopf, ob dieser kraftvoll, virtuos und kompromisslos gespielten Musik. Meint noch jemand, die Orgel sei die Königin der Instrumente? Es donnerte im Steinway!

Frau Grimaud beschenkte ihr Publikum mit zwei Zugaben. Die erste virtuos (Sergei Rachmaninow: Étude-Tableau in cis-Moll op. 33/8), die zweite ruhiger (Valentin Silvestrov: Bagatelle Nr. 2), und da ich am Vorabend in Dortmund Mahlers Zweite gehört hatte, meinte ich, Anklänge nicht nur an „Der Mensch liegt in größter Not“ zu hören, sondern auch an das Ende von Mahlers Vierter. Silvestrov kennt seinen Mahler, scheint’s. Ein schöner Abend in Essen.

Dr. Brian Cooper, 15. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Hélène Grimaud, Klavier, Beethoven, Brahms & Bach / Busoni Wiener Konzerthaus, 3. März 2023

Hélène Grimaud, Wiener Konzerthaus, 5. Juni 2019

Hélène Grimaud, Mat Hennek, Kulturpalast Dresden

Ein Gedanke zu „Hélène Grimaud, Klavier
Essen, Philharmonie, 14. Mai 2023“

  1. Deine Kritik untermalt die sehr schöne Erinnerung an einen Abend mit vielen musikalisch-magischen Momenten. Die Gestaltung eines nahtlosen Übergangs vom letzten Teil des Brahms-Intermezzos (capriccio in d-moll) in die Busoni-Bearbeitung der Chaconne fand ich genial und musikalisch sehr spannend. Zu gerne würde ich das wiederholt hören, denn mutmaßlich habe ich noch viele weitere Berührungspunkte übersehen, die diese interpretatorische Entscheidung Hélène Grimauds rechtfertigen.

    Martin Beckenkamp

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