Hélène Grimaud © Wiener Konzerthaus © Markus Aubrecht
Edward Gardner und das brillante London Philharmonic Orchestra begleiten die Französin im ersten Klavierkonzert von Brahms.
Johannes Brahms (1833-1897) – Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15
Igor Strawinsky (1882-1971) – Petruschka (Fassung von 1947)
Hélène Grimaud, Klavier
London Philharmonic Orchestra
Edward Gardner, Dirigent
Kölner Philharmonie, 12. November 2023
von Brian Cooper, Bonn
„Aimez-vous Brahms?“ Die von Françoise Sagan vor über 60 Jahren gestellte Frage dürfte Hélène Grimaud mit einem klaren „Oui!“ beantworten, hat sie doch schon vor genau 35 Jahren dessen zweite Klaviersonate sowie drei Jahre später die dritte Sonate und die sechs Klavierstücke op. 118 bei Denon eingespielt.
Es ist etwas sehr Schönes, gute Musik live zu erleben und mit anderen Menschen darüber sprechen zu können. Ein lieber Freund bringt seinerseits Freunde mit. Man freut sich seit einem halben Jahr auf diesen Abend. Und vor der Tür treffe ich das liebenswerte Ehepaar aus Hürtgenwald. Die beiden abonnieren seit über 30 Jahren zwei Reihen der von der Westdeutschen Konzertdirektion angebotenen „Meisterkonzerte“, die insbesondere in den letzten Jahren aufgrund eines starken Programms und trotz happiger Eintrittspreise – die ersten drei Kategorien sind an diesem Abend dreistellig – häufig gut besucht sind.
Am Abend des 100. Geburtstags von Loriot lese ich vor dem Konzert gleich in Zeile 3 des – übrigens kostenlos zur Verfügung gestellten – Programmhefts das Wort „bekömmlich“ und muss an mich halten, nicht laut loszuprusten („Wenn meine Gattin Klöße zubereitet, sind sie leicht und bekömmlich“). Aber ich habe mich – noch – im Griff, im Gegensatz zu einzelnen Menschen im Saal.
Da kommt ein ganzes Orchester aus London angereist, mit einer hervorragenden Pianistin im Gepäck. Es sind Profis, die intensiv geprobt haben, um uns ein Konzert auf hohem Niveau zu bieten. Und ich weiß, es ist Grippezeit; da hustet man schon mal. Es wäre allerdings eine so mühelos zu bewältigende, eine so winzige Respektsbekundung, wenn man sich die Mühe gäbe, beim Husten die Armbeuge oder ein Taschentuch zu benutzen und es zumindest nicht an den leisesten Stellen zu tun.
Hélène Grimaud spielte das erste Klavierkonzert op. 15 von Brahms. Seit ich das Werk kenne, liebe ich es sehr und verstehe nicht, warum dem guten Johannes so lange bange war, bis er endlich für Orchester komponierte. Der Schatten Beethovens… Sein erstes Konzert für Soloinstrument und Orchester ist durchsetzt von quasi noch jugendlichem Ungestüm, und hinzu kommen die herrlichsten Melodien. Ich mag mich nicht entscheiden, ähnlich wie bei seinen vier Sinfonien, welches der beiden Klavierkonzerte ich mehr mag. Ich liebe sie gleichermaßen.
Hélène Grimaud bekommt eine wunderbar musikantische Power-Introduktion, die das London Philharmonic unter seinem Chef Edward Gardner in den Saal zaubert. Das merkwürdige Motto „Keine Kompromisse“, mit dem der Abend im Netz beworben worden war, bezog sich höchstwahrscheinlich nicht auf Grimauds durchaus eigenwillige Agogik, die den Einen oder die Andere irritieren mag.
Ich war vielmehr angetan von einer Künstlerin, die so in der Musik war, sie geradezu lebte, dass etwa das dichte F-Dur-Seitenthema des Kopfsatzes – mit seinen gewagten, freilich schnell aufgelösten, Dissonanzen – wie auch der liebliche Beginn des langsamen Satzes zur Offenbarung wurden. Emotionaler Höhepunkt war im Adagio die Orgelpunkt-Stelle im Orchester, die von Grimauds kraftvollen Klavierakkorden bereichert wurde.
Im Finalsatz bot die Künstlerin noch einmal ihr ganzes Können auf (Höhepunkt war hier für mich die geisterhafte b-Moll Fuge). Es ist ihr förmlich im Gesicht abzulesen, dass sie das Werk mit absoluter Hingabe und Verinnerlichung spielt. Dennoch spielt sie mit Orchester meist lieber Beethovens viertes Klavierkonzert oder aber jenes von Schumann. Das Brahms’sche op. 15 und das dritte Klavierkonzert von Bartók habe ich in all den Jahren jeweils nur ein einziges Mal live von ihr gehört.
Als Zugabe spielte sie Valentin Silvestrovs Bagatelle Nr. 2, ein wehmütiges Stück mit Anklängen an Mahlers 4. und 2. Sinfonien („Der Mensch liegt in größter Not“).
Nach der Pause ging’s auf den Rummelplatz, das London Philharmonic wurde von sechs auf acht Kontrabässe aufgestockt. Strawinskys trubeliges Ballett Petruschka wurde in der revidierten Fassung von 1947 hin- und mitreißend gespielt. Hier wurde mir ob der Brillanz des Orchesters wieder klar, dass es jene Formation war, die um 2010 mit der Symphonie fantastique unter Yannick Nézet-Séguin die Philharmonie aus den Angeln gehoben hatte. London hat einfach viele großartige Orchester.
Die zahlreichen guten Einzelleistungen hervorzuheben wäre müßig. Vom Flötensolo zu Beginn über die restlichen Holzblasinstrumente (Fagotte, Klarinetten!), das Klavier und die Solovioline bis hin zur Tuba war Gardners nüchtern-elegante Leitung ebenso inspirierend wie jene von Karina Canellakis noch im vergangenen März, auf den Tag genau acht Monate zuvor, ebenfalls in Köln.
Auch dem Publikum gefiel’s, insbesondere der Rausschmeißer, Dvořáks slawischer Tanz op. 46, Nr. 8.
Dr. Brian Cooper, 13. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Hélène Grimaud, Klavier, Beethoven, Brahms & Bach / Busoni Wiener Konzerthaus, 3. März 2023
Jan Lisiecki, Edward Gardner, London Philharmonic Orchestra, Elbphilharmonie, 20. November 2021