Richard Strauss – Eine Hörbiographie und Briefe
von Dr. Andreas Ströbl
Vor exakt 90 Jahren, im März 1933, übernahm Richard Strauss das Dirigat für ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern anstelle des von den Nazis geschassten Bruno Walter. Es sieht nach dem großzügigen Akt eines gelebten Humanismus aus, als er der jüdischen Agentur und den Musikern sein Honorar vollständig überließ. Zudem ließ er auf das Konzertplakat „Anstelle von Bruno Walter Dr. Richard Strauss“ drucken. Aber dass Strauss kein Oppositioneller des Nazi-Regimes war, ist hinlänglich bekannt.
Als einen „Deutschen reinsten Wassers, ganz ohne Pose, ohne langatmige Reden, fast ohne Interesse für Klatsch und ganz ohne Neigung, über sich und sein Werk zu sprechen, mit stählernem Blick und undurchschaubarer Miene“ beschrieb die Sopranistin Gemma Bellincioni den Komponisten Richard Strauss.
Diesem Eindruck der Härte und Unzugänglichkeit entspricht so gar nicht seine Musik mit all ihrer Seelenhaftigkeit, Leidenschaft und dem psychologischen Tiefgang seiner Opern. Aber Strauss spielte gerne mit Untertreibungen und dem Verbergen innerer Wogen hinter einer unauffälligen Fassade. Sein, gelinde gesagt, zurückhaltendes Dirigat rückte ein Musikjournalist einmal in die Nähe der Arbeitsverweigerung.
Sicher war er einer der zwiespältigsten Erscheinungen in der Kulturszene des 20. Jahrhunderts. Gerade, was sein Deutschsein und das Verhältnis zu den Nationalsozialisten angeht, bietet Richard Strauss das denkbar beste Beispiel einer schwer fassbaren Mischung aus der Unterstützung des Regimes an kulturpolitisch vorderster Stelle und einer schon abstrusen Naivität.
Im besagten Jahr der „Machtergreifung“ 1933 ließ sich Strauss zum Präsidenten der Reichsmusikkammer machen, da war Thomas Mann bereits emigriert. Die im Konzentrationslager Theresienstadt inhaftierte Großmutter seiner jüdischen Schwiegertochter glaubte er 1942 einfach abholen zu können – erfolglos.
Richard Strauss war, um es einmal euphemistisch auszudrücken, von einem deutlichen wirtschaftlichen Pragmatismus geprägt. Für Karl Kraus war er „ganz bestimmt eher eine Aktiengesellschaft als ein Genie“. Tatsächlich war ihm das Völkische egal und es existierte für ihn „Volk erst in dem Moment, wo es Publikum wird. Ob dasselbe aus Chinesen, Oberbayern, Neuseeländern oder Berlinern besteht, ist mir ganz gleichgültig, wenn die Leute nur den vollen Kassenpreis bezahlt haben.“ So eine Haltung macht eine kritische Distanz zum Regime dann schwierig, wenn sie eigentlich zur Emigration und der Aufgabe all der angehäuften irdischen Güter zwänge.
In jedem Falle verfügte der Komponist über ein gesundes Selbstbewusstsein, was seine Kunst anging. „Es ist schwer, Schlüsse zu schreiben. Beethoven und Wagner konnten es. Es können nur die Großen. Ich kann’s auch.“, sagte er einmal. Bemerkenswert ist, dass der Musikwissenschaftler Alex Ross ihn gerade einen „Meister der Anfänge“ nennt. Von allen Selbst- und Fremdeinschätzungen abgesehen, war Strauss sicher ein Genie der sinnlichen Wiedergabe des Lebens in zuvor nie dagewesenen Klanggemälden mit ihren typischen überraschenden Modulationen in einer ganz charakteristischen Instrumentierung.
Die BR-Klassik Hörbiographie zu Richard Strauss, „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“, ist zwar bereits 2014 erschienen, aber die Diskussion, inwiefern sich Künstlerinnen und Künstler vor den Karren von Diktatoren spannen lassen, ist brandaktuell. Daher lohnt es auch, sich anhand solch einer Zusammenstellung von Texten der Person dieses schillernden Komponisten mit seinen eigenen Zeugnissen, vor allem seinen vielen Briefen, und zahlreichen anderen Dokumenten auseinanderzusetzen.
Wenn man die BR-Hörbiographien der vergangenen Jahre kennt, fällt auf, dass in der vorliegenden Produktion die Musikbeispiele noch eine weit reduziertere Rolle spielen, denn sie werden lediglich kurz angespielt oder laufen im Hintergrund. Das lässt mehr ahnen, als tatsächlich intensiv erfahren, um was es jeweils musikalisch geht.
Als Erzähler fungiert Gert Heidenreich, während Alexander Duda den Richard Strauss spricht. Der Regisseur, Hörbuchsprecher und Schauspieler ist wie der Komponist in München geboren, daher gibt er seinen Dialekt so originalgetreu wieder.
Strauss erscheint in seinen Briefen oft als typischer Münchner „Grantlhuber“ – wer die Bewohner der „Weltstadt mit Herz“ kennt, weiß, dass Letzteres sein weiches Inneres gerne unter einer kantigen und derben Schale verbirgt. Ludwig Thomas berühmter „Münchner im Himmel“ legt beredtes Zeugnis davon ab.
Zahlreiche Verwandte (z. B. Katja Schild als Gattin Pauline), Zeitgenossen (Frank Manhold ist König Ludwig II.), Musikerkollegen (Gustav Mahler wird von Falk Häfner gesprochen) und selbstverständlich Hugo von Hofmannsthal (Heinz Peter) kommen ebenfalls zu Wort, um nur eine Auswahl aufzuführen.
Falk Häfner oblagen auch Regie und Redaktion, während Regina Staerke und Karlheinz Steinkeller für die Technik verantwortlich waren.
Auf der ersten CD wird in drei Kapiteln Strauss’ Leben erzählt; die einzelnen Abschnitte sind überschrieben „Auf der Suche nach dem künstlerischen Ich“ (1864-1894), „Auf der Höhe des Ruhms“ (1894-1924) und „Auf den Spuren verflossener Ideale“ (1924-1949).
CD 2 stellt eine Auswahl von 20 aus den tausenden Briefen von Strauss vor, ausgewählt und mit einer Einführung versehen von Anette Unger. Man kommt darin den verschiedenen Facetten dieses Künstlers nahe, aber der Eindruck des Grantlers verhärtet sich dabei.
Auf CD 3 sind die „Alpensinfonie“ und vier symphonische Zwischenspiele aus „Intermezzo“ zu hören, gespielt vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Franz Welser-Möst.
Das 1915 geschaffene Tongemälde einer Bergwanderung lässt durch ein riesiges Orchester mit ungewöhnlichen Klangmitteln wie Herdenglocken, Windmaschine und Donnerblech die Alpen vor dem inneren Auge der Hörerinnen und Hörer majestätisch aufragen, wenn es so werkgetreu wiedergegeben wird wie auf der vorliegenden Einspielung. Golden strahlt der Sonnenaufgang, sicher das Erhabenste, was Strauss je geschaffen hat.
An zahlreichen Stellen wie zum Beispiel „Auf blumigen Wiesen“ zieht Welser-Möst das Tempo ganz schön an, die Wanderstiefel stapfen hier forsch über die grünen Matten.
Der Klang ist durchweg klar, mit angemessener Würdigung der Soloinstrumente, aber auch wuchtig und stark in den Tutti, wenn es darum geht, das Staunen während des Naturerlebnisses erfahrbar zu machen. Strauss hat tatsächlich ein Gewitter ton-gemalt, bei dem man sich vorstellen kann, dass das bei einer Bergwanderung kein Spaß ist und klitschnass froh ist, nicht ausgeglitten und in die Tiefe gestürzt zu sein. Das machen die Orchestermitglieder unter ihrem Gastdirigenten deutlich, denn die Effekte dienen gerade hier angemessen dem Gesamteindruck – zu viel Windmaschine kann auch filmmusikartig übertrieben wirken.
Das Zitat des Erlösungsmotivs aus Wagners „Fliegendem Holländer“ im Ausklang mag die Erleichterung über die geglückte Unternehmung versinnbildlichen.
Die symphonischen Zwischenspiele aus „Intermezzo“ illustrieren die Vielfalt der Stimmungen in den Instrumentalstücken dieser selten gespielten komödiantischen Oper. Nach dem flotten und walzerbeschwingten „Reisefieber und Walzerszene“ folgt die elegische „Träumerei am Kamin“ in ihrer eleganten Gemächlichkeit. „Am Spieltisch“ herrscht reges Treiben mit flinken Bewegungen in hoher Konzentration auf das Geschehen und schließlich endet alles mit dem „Fröhlichen Beschluss“ in heiterem Schwung.
Man hätte diese Produktion noch durch einige Vokalstücke bereichern können wie beispielsweise die „Vier letzten Lieder“.
Demnächst werden zwei weitere Hörbiographien aus dieser fruchtbaren Schmiede erscheinen, nämlich über Johann Sebastian Bach und die Mendelssohn-Geschwister. Darauf darf man gespannt sein!
Dr. Andreas Ströbl, 8. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
3 CDs
BR-KLASSIK 900905. Erhältlich im Handel und im BR-Shop
Hör-CD Rezension: Mahler – Welt und Traum. Eine Hörbiographie von Jörg Handstein