Geigerin Natalia van der Mersch: „Ich war immer verliebt in Fritz Kreisler“

„Ich war immer verliebt in Fritz Kreisler“,  Geigerin Natalia van der Mersch im Interview

Musikerin und Mutter. Dass das funktioniert, beweist die Geigerin Natalia van der Mersch. Als „Duo Natalia“ musiziert die sechsfache Mutter, die in Luxemburg lebt, gemeinsam mit der Pianistin Natalia Kovalzon. Wie sie das alles stemmt und wie sie zu Igor Oistrach in die Meisterklasse kam, erzählt sie im Gespräch mit Klassik-begeistert. 

Interview: Jürgen Pathy

Grüß Gott, Frau van der Mersch. Als Mutter von sechs Kindern – wie funktioniert da das Üben?

Natalia van der Mersch: Das funktioniert ganz gut. Als gebürtige Deutsche habe ich meinen ganzen Tag durchgeplant. Die berühmte deutsche Organisation sozusagen. Grundsätzlich übe ich, wenn die Kinder in der Schule sind. Mittlerweile geht das aber auch, wenn sie zu Hause sind. Da spielt der eine mit den Autos, der andere malt. Ich hab da schon einen Filter in den Ohren. Nur wenn eines der Kinder krank wird, würfelt das meinen Plan durcheinander. Aber es funktioniert dennoch.

Wie oft üben Sie?

Das ist unterschiedlich. Wenn ich mich auf ein Konzert vorbereite, übe ich fast jeden Tag. Mit Natalia Kovalzon, mit der ich im „Duo Natalia“ spiele, üben wir ungefähr zwei bis dreimal pro Woche – was für ein Duo wirklich recht viel ist. Das war schon immer so. Bereits als ich bei Zakhar Bron studiert habe, wollte ich 6 oder 7 Stunden pro Tag üben.

Als „Duo Natalia“ kommt uns zugute, dass meine Kinder alle in die International School gehen. Die liegt genau neben dem Konservatorium, wo Natalia unterrichtet. Nachdem ich die Kinder zur Schule gebracht habe – „drop off“, wie das so schön heißt (lacht) –, geht’s rüber zum Proben.

Apropos Studium. Sie waren nicht nur bei Zakhar Bron, der als Violin-Lehrer Berühmtheit erlangte, sondern auch in einer Meisterklasse bei Igor Oistrach. Wie kam das zustande?

Oistrach hat mich bei einem Konzert gehört. Da hat er mich eingeladen, an seiner Meisterklasse in Brüssel teilzunehmen. Natürlich habe ich zugesagt. Dort habe ich dann mein Konzertexamen bei ihm gemacht.

Aber er kannte mich schon lange – bereits als ich 14 Jahre alt war und bei Zakhar Bron angefangen habe. Wir hatten uns kennengelernt, als Vadim Repin, ebenfalls ein Schüler von Bron, beim Concours Reine Elisabeth teilgenommen hatte. Da war Oistrach in der Jury. Zakhar Bron hatte mich dorthin mitgenommen.

Das Tolle an dieser ganzen Konstellation: Igor Oistrach war auch Lehrer von Zakhar Bron. So ist alles in der „Familie“ geblieben.

Was war das Ziel, als Sie begonnen haben Geige zu spielen?

Das Ziel war und ist immer gewesen, zu musizieren. Egal wie, ich wollte einfach nur spielen. Ich musste spielen. Das ist meine Welt. Ich liebe es. Die Geige ist meine Stimme, meine Sprache. Sie ist einfach ein Teil von mir.

Es ist schwer in Worte zu fassen, wie sich das anfühlt, wenn ich spiele. Wenn ich musiziere, ist das wie Energietanken. Es ist irgendwie ein komischer Zustand. Man ist zwar da, aber man ist auch irgendwie weg. Am liebsten spiele ich vor Publikum. Die ganze Energie, der ganze Austausch, das ist live viel intensiver als bei einer Aufnahme. Deswegen ist das Publikum so wichtig. Man hat mich schon gefragt, ob ich nicht ein Zoom-Konzert spielen will – nein, will ich nicht!

Duo Natalia

Haben Sie jemals über eine Solo-Karriere nachgedacht?

Natürlich. Als ich mit 11 Jahren entschieden habe, mich völlig der Geige hinzugeben statt dem Ballett, noch nicht so. Aber mit 15 herum, da lag eine Solo-Karriere schon in der Luft. Mitte 20 wurde mir jedoch klar, dass das schwer vereinbar ist mit einer Familie.

Letztendlich ist es das Duo geworden. Wie haben Sie und Natalia Kovalzon, mit der Sie bereits einige CDs aufgenommen haben, zusammengefunden?

Das ist ganz lustig. Wir haben uns nicht etwa kennengelernt beim Konzert oder so, sondern vor 10 Jahren im „Little Gym“. Das ist eine Gymnastikgruppe für Kleinkinder. Unsere beiden Zwölfjährigen waren damals gerade zwei Jahre alt. Ich war schwanger mit den Zwillingen. Da sind wir ins Gespräch gekommen, weil ich erfahren habe, dass sie Russisch spricht. Ich spreche auch Russisch. Von da an nahm alles seinen Lauf. Drei Monate nachdem die Zwillinge zur Welt gekommen sind, haben wir bereits unsere erste gemeinsame CD aufgenommen.

Duo Natalia

Auf Ihrer neuen CD „Magical Russia“ widmen Sie sich rein der russischen Musik. Darunter findet man so Raritäten wie Anton Rubinsteins drei Salonstücke op 11. Ist das Zufall, dass ich davon nur Aufnahmen mit Cello und Klavier gefunden habe?

Nein. Das ist die erste Aufnahme, die es gibt, bei der Klavier und Geige spielen. Wir haben extra seltene Stücke genommen. Natalia war vor vier Jahren in St. Petersburg auf Ferien. Dabei hat sie in einem Notengeschäft gestöbert und eine Unmenge unbekannter Stücke gekauft. Das war wirklich faszinierend. Normalerweise spielt man immer Werke, die man bereits kennt. Hier war es ganz anders. Es war wie eine neue Welt entdecken.

Und man glaubt es kaum: Es sind alles sehr schwere Stücke. Obwohl es zum Beispiel Salonstück heißt, ist es schwerer als die Franck-Sonate für Violine und Klavier.

Worauf sollte man als Zuhörer beim Duo überhaupt achten?

Auf beide Stimmen. Was mich schon immer gestört hat, dass man beim Pianisten vom „Begleiter“ spricht. Beide Stimmen sind wichtig. Einmal spielt die Geige das Thema, dann wiederum das Klavier. Es variiert ständig.

Oft sind auf den Covers nur die Geiger zu sehen und die Pianisten, wenn überhaupt, nur sehr klein – ich finde das nicht richtig! Vor allem, wenn der Pianist auf einem so hohen Niveau spielt. Das ist dasselbe, wie jeder nur von der Geige spricht, aber nie nach dem Bogen gefragt wird – dabei ist der mindestens genauso wichtig.

Dann bediene ich gleich das Klischee: Auf welcher Geige spielen Sie?

Auf einer Joseph Gagliano aus dem Jahr 1780. Die habe ich geschenkt bekommen, als ich 18 Jahre alt war. Ein wunderbares Instrument. Sie hat zwar nicht diesen riesigen Ton einer Stradivari, aber sie klingt wunderschön. Ich liebe dieses Instrument.

Werden Sie die Geige auch an Ihre Kinder weitergeben?

Meine letzte Hoffnung ist der Kleinste (lacht). Der Älteste steht gerade vor der Entscheidung, was er werden soll. Obwohl er Klavier spielt, wie alle anderen auch, wird er sicherlich kein Musiker. Es bleibt ihnen überlassen. Wenn sie nicht Musiker werden, finde ich das nicht schlimm. Wichtig ist nur, sie haben alle eine musikalische Grundlage. Sie sind alle mit Musik aufgewachsen. Das finde ich schön.

Lassen Sie uns kurz Corona ansprechen. Wie sehen Sie die aktuelle Situation? Hat sie nur Nachteile oder kann man ihr vielleicht etwas Positives abgewinnen?

Man kann immer etwas Positives abgewinnen. Es kommt darauf an, welche Einstellung man hat. Wir haben in dieser Zeit unheimlich viel Repertoire erarbeitet. Und (lacht) – meine Kinder haben gelernt, dass sie ihre Sachen wegräumen müssen. Das haben sie sich beibehalten. Bei sechs Kindern und Home-Schooling wird einem sowieso nie langweilig.

Duo Natalia

Sie sagen, Sie haben viel Repertoire erarbeitet. Welches neue Projekt liegt in der Schublade?

Fritz Kreisler. Der war immer mein Liebling. Ich war immer verliebt in Fritz Kreisler – das weiß mein Mann übrigens auch (lacht). Das erste Stück, das ich gespielt habe, war „Liebesfreud“. Jetzt machen wir eine CD mit Arrangements. Das war immer mein Traum. Da wird auch die Melodie von Glucks „Orfeo ed Euridice“ darauf sein. Mein Lieblingsstück.

Eine letzte Frage: Angenommen es erscheint eine gute Fee. Diese erfüllt Ihnen drei Wünsche. Welche wären das?

Abgesehen von der Pandemie, bin ich im Augenblick wunschlos glücklich! Natürlich wünsche ich mir, dass wir alle gesund bleiben und das ich weiterhin musizieren kann. Und – dass Corona unter Kontrolle kommt. Das wünsche ich der ganzen Welt. Aber wie gesagt, persönlich bin ich wunschlos glücklich und hoffe, dass das so bleibt.

Das ist doch schön. Das kann nicht jeder von sich behaupten. Vielen Dank, Frau van der Mersch, für dieses Gespräch!

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 25. April 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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