Wien: Groissböck erteilt der Gesangswelt eine gesunde Lehrstunde

Igor Levit, Klavier Günther Groissböck, Bass  Musikverein Wien, Brahms-Saal, 19. Oktober 2025

Foto: G.Groissböck (c) Dominik Stixenberger

Gerade in der Erkältungssaison ist der Sängerberuf ein knallharter Knochenjob. Beim zweiten Konzert des Igor-Levit-Zyklus im Musikverein zog Günther Groissböck rechtzeitig seinen angekündigten Schlussstrich und ließ sich vom Wiener Publikum völlig verdient für seinen bravourösen Schostakowitsch und Mahler feiern!

Musikverein Wien, Brahms-Saal, 19. Oktober 2025

Igor Levit, Klavier
Günther Groissböck, Bass

Werke von Maurice Ravel, Dmitrij Schostakowitsch, Franz Liszt und Gustav Mahler

von Johannes Karl Fischer

Normalerweise ist es keine gute Nachricht, wenn ein Sänger einen Liederabend mitten im Stück abbricht. Erst recht nicht, wenn er anderthalb Stunden lang Ravel, Schostakowitsch und schließlich Mahler so ausdrucksvoll singt wie Günther Groissböck im Wiener Brahms-Saal. Da muss schon irgendwas eklatant schief lauf, oder?

Nein, ganz im Gegenteil. Irgendwo zwischen Paris und Zürich habe ihn wohl die Erkältungssaison erwischt, meinte Herr Groissböck vorab. „Zur Absage ist’s dann doch noch zu gut.“ Ein bisschen indisponiert also. Kann passieren, gehört zur Berufsbezeichnung Sänger quasi dazu. Kaum eine Spur seiner Erkältung hörte man in der ersten Hälfte, fabelhaft und kraftvoll strahlte seine Stimme durch den prachtvollen kleinen Musikvereinsaal.

Anschließend schmetterte er noch Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen wie ein thronender Göttervater durch den Saal, bevor er in den letzten Werkzyklus, Franz Liszt Tre Sonetti di Petrarca, startete. Hier kam das zu Beginn angekündigte zu Gehör, ein hohes Fis wollte dann gar nicht mehr. Prompt: „So, jetzt hörma auf“. Für die umjubelte Zugabe setzte er sich gemeinsam mit Igor Levit vierhändig an den Flügel.

Foto (Johannes Fischer)

Wie viele Sänger habe ich schon erlebt, die sich trotz hörbarer Indisposition – mit oder ohne Ansage, egal – noch bis an die Grenzen ihrer Stimme und darüber hinaus bis zum Ende durchkämpfen? Krankheit passiert uns allen.

Die Stimmbänder sind besonders anfällig, schon allein deswegen ist dieser Beruf ein Knochenjob. Herr Groissböck, der wie viele seiner Kollegen und Kolleginnen seine Liebe zur Musik offenbar nicht vor dem Saal stehen lassen konnte, kannte seine Grenzen haargenau und machte prompt vor diesen auch Halt.

Rein musikalisch wurde insbesondere Schostakowitschs Suite nach Gedichten von Michelangelo zu einer absoluten Paradeleistung. Mit Eifer und Inbrunst stürzten sich Solist und Pianist in diese extrem emotionale Musik und hauten einen mit der Macht der Melodien regelrecht um. Klar und kraftvoll schmetterte Herr Groissböck die Töne durch die mächtig resonierende Akustik und zog das Publikum hautnah in den Bann dieser Musik. Vor allem dank der kompakten räumlichen Verhältnisse – man spürte die Musik an allen Seiten vorbeifegen – stand das musikalische Erlebnis den meisten Konzerten im weit namenhafteren Goldenen Saal auf der anderen Seite des Foyers um nichts nach!

Foto (Johannes Fischer)

Auch mit Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen brachte der Dauer-„Ochs“ und Stamm-„Hunding“ eine bravouröse Paradeleistung auf die Bühne, wie ein auf der Lauer liegender „Wotan“ schmetterte er die Melodien in die Ohren des Publikums!

Ganz am Anfang des Programms hatte er mit Ravels mélodie hébraïque Kaddisch bereits einen zutiefst leidenschaftlichen und musikalisch kämpferischen Auftakt hingelegt. Die Gesangsstimme ließ letzteres Werk noch einmal deutlich effektvoller und tiefgreifender in die musikalische Seele eindringen als in der von Igor Levit am Freitag gespielten Klavierfassung.

Igor Levit (c) Felix Broede Sony Classical 2021

Apropos Igor Levit, der Pianist und Inhaber des aktuellen vierteiligen Konzertzyklus lieferte eine musikalisch nicht weniger erstklassige Leistung als Herr Groissböck. Auch er ließ insbesondere in der Schostakowitsch-Suite die Saiten des Steinways stürmisch durch den Saal fegen und gab der an sich bereits sehr kraftvollen Bass-Stimme nochmal ordentlich klanglichen Schub. In den Mahler-Liedern setzte er jeden Takt punktgenau in die Tasten und ließ die vielen nahezu orchestralen Klangfarben seiner Partie kunstvoll aus dem Flügel gleiten.

Dieser Abend wird in die Geschichtsbücher des Musikvereins eingehen.

Zum einen hört man weder Schostakowitschs Michelangelo-Suite noch Ravels Kaddisch selten dermaßen musikalisch mitreißend, zum anderen sollte sich der eine oder andere Sänger ein Beispiel an Herrn Groissböcks musikalischer Selbstgrenzensetzung nehmen!

Johannes Karl Fischer, 19. Oktober 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

CD-Rezension: Günther Groissböck singt Richard Strauss, Gustav Mahler, Hans Rott klassik-begeistert.de, 16. November 2022

Liederabend Günther Groissböck am 8. Juni 2020, Wiener Staatsoper

Igor Levit, Klavierabend Die Glocke, Bremen, 4. September 2024

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