Foto: © Robbie Lawrence
Igor Levit und das Orchestre de Paris unter Manfred Honeck begeistern im Konzerthaus Dortmund: Starke Aufführung, keine Spur von Tourneemüdigkeit auf der vorletzten Station der Konzertreise durch Deutschland und Belgien
Konzerthaus Dortmund, 29. Mai 2022
Maurice Ravel (1875-1937) – La valse, Poème choréographique (1920)
George Gershwin (1898-1937) – Konzert für Klavier und Orchester F-Dur (1925)
Béla Bartók (1881-1945) – Konzert für Orchester Sz 116 (1943)
Igor Levit, Klavier
Orchestre de Paris
Manfred Honeck, Dirigent
von Brian Cooper
Es ist eine sehr spannende Idee, die Musik von Maurice Ravel und jene von George Gershwin in einem Konzertprogramm zu koppeln. Warum eigentlich nicht öfter? Die beiden Komponisten kannten sich, sind einander im Jahre 1928 begegnet, und es kursiert sogar eine Anekdote, nach der Gershwin bei Ravel Unterricht nehmen wollte. Ravel soll Gershwin daraufhin gefragt haben, warum er denn ein zweitklassiger Ravel werden wolle, wo er doch schon ein erstklassiger Gershwin sei.
Belegt ist, dass beide Komponisten einander sehr schätzten, und in Ravels G-Dur-Konzert finden sich mehr als nur ein paar Anklänge an den Jazz, in dem Gershwin ja so verwurzelt war.
Bleibt die Frage, warum das Klavierkonzert von Gershwin nur vergleichsweise selten aufgeführt wird. Nichts gegen Beethovens Viertes Klavierkonzert (zum Beispiel), das allenthalben aufgeführt wird, aber das Concerto in F ist einfach ein großartiges, witziges, sinnliches, überschäumendes und lebensbejahendes Werk, das zu Unrecht ein wenig im Schatten der einsätzigen, weitaus bekannteren Rhapsody in Blue steht. Letzteres Werk gelangte vor allem in der Orchestrierung von Ferde Grofé zu Weltruhm; das Klavierkonzert hingegen ist von Gershwin selbst orchestriert. Und wie! Es steht den beiden Klavierkonzerten von Ravel, der ja seinerseits als Meister der Orchestrierung anerkannt ist, in nichts nach.
Igor Levit, von dem man ja immer auch außergewöhnliches Repertoire erwarten kann (Stichwort Busoni-Klavierkonzert oder Werke von Frederic Rzewski), war der zu Recht umjubelte Solist und wurde von einem fabelhaft aufgelegten Orchestre de Paris unter Manfred Honeck begleitet. Das hatte insbesondere im ersten Satz so viel Swing, Drive, Groove, dass man dem Publikum den Zwischenapplaus verzeihen kann. Die unverkennbaren Anklänge an Rachmaninow, gekoppelt mit rhythmischer Jazzigkeit, kommen halt extrem gut an. Levit spielte mit stupender Technik und einer sichtbaren Freude an dieser Musik, die ihn zu einem führenden Interpreten gerade dieses Klavierkonzerts machen dürfte.
Der zweite Satz ist eine unglaublich schöne 3-Uhr-morgens-Musik, und zwar aus der Zeit, wo noch geraucht werden durfte. Die letzten Gläser halb ausgetrunken, ein verrauchter Raum, in dem noch gejammt wird, man lauscht gebannt den bluesigen Klarinetten und vor allem der gedämpften Solotrompete, in Dortmund wunderbar gespielt. (Warum werden die Mitglieder des Orchesters nicht in den Dortmunder Programmheften namentlich genannt? Hier bestünde Verbesserungsbedarf.) Die gewagten Modulationen zwischen Des- und D-Dur wurden hinreißend sinnlich gespielt.
Dann der letzte Satz, den einige mir bekannte Personen als „fetzig“ bezeichnen würden. Alles wurde hervorragend von Honeck geleitet. Standing Ovations schon zur Pause.
Igor Levit spielte übrigens den langsamen Satz, so schien’s, für ein kleines Mädchen im Grundschulalter, das in der zweiten Reihe saß und mit dem er immer wieder schäkernd Blickkontakt aufnahm. Dies, und die Tatsache, dass er beim Applaus extra von der Bühne stieg, um dem Mädchen seine Blumen zu geben, hat ganz sicher dafür gesorgt, dass sie diesen Nachmittag wohl nie vergessen wird!
Zu Beginn des Konzerts, vor dem Gershwin, wurde eben Ravel gespielt. La Valse, normalerweise ein Rausschmeißer, wurde hier zur starken Visitenkarte des französischen Orchesters. Es ist ein sarkastischer Abgesang auf die Wiener Walzerseligkeit. Das Stück beginnt in der tiefen Lage im äußersten piano, es sind nebulöse Klänge, die sich innerhalb von etwa zwölf Minuten ins Orgiastische steigern. Es ist, als schaue man von außen durch beschlagene Fenster in einen Ballsaal, in dem Paare ausgelassen Walzer tanzen und nichts von der Welt da draußen mitbekommen. Jene Welt ist nicht immer schön, war sie auch damals nicht, und dieses Stück, meiner Meinung nach eines der stärksten des genialen Orchestermagiers Ravel, ist ein veritabler Ritt auf der Rasierklinge, ein Tanz in den Abgrund. Großer Jubel.
Den gab es auch am Konzertende, abermals mit Standing Ovations. Bartóks Konzert für Orchester, im Programmheft nicht zu Unrecht als „zu den beliebtesten und zugänglichsten“ Werken des ungarischen Komponisten gehörend apostrophiert, ist unbestritten ein Meisterwerk der Moderne. Honeck, dessen Physiognomie im Profil verblüffend an die Carlos Kleibers erinnert, leitete das Orchester souverän durch die höllisch schwere Partitur. Insbesondere der Blechchoral im zweiten Satz, die virtuos spielenden Orchestergruppen (Giuoco delle coppie), die zirkushafte Lehár-Parodie und der hörbar exzellent geprobte fünfte Satz bleiben in Erinnerung.
Es war ein sehr guter Nachmittag in Dortmund. Keine Spur von Tourneemüdigkeit auf der letzten, sechsten, Station der Konzertreise der Pariser durch Deutschland und Belgien. Mit der Walzerzugabe aus dem Rosenkavalier schloss sich der Kreis. Merci beaucoup!
Dr. Brian Cooper, 31. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und Klassik-begeistert.at
Bedingungslos in die Musik eintauchen klassik-begeistert.de, 6. Mai 2022