Salzburger Festspiele: Mühlemann tritt aus dem Schatten der großen Bartoli

Il trionfo del Tempo e del Disinganno, Georg Friedrich Händel,  Salzburger Festspiele, Haus für Mozart, 14. August 2021

Foto: © Monika Rittershaus

Salzburger Festspiele, Haus für Mozart, 14. August 2021
Il trionfo del Tempo e del Disinganno, Georg Friedrich Händel

Robert Carsen kehrt mit Händels Oratorium zurück nach Salzburg. Bereits bei den Pfingstfestspielen 2021 unter Prinzipalin Cecilia Bartoli aufgeführt, läuft „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“ nun auch im Sommer.

von Jürgen Pathy

Salzburg aus dem Häuschen. Nachdem der letzte Ton erloschen ist, steppt im Haus für Mozart der Bär. Selbst in der Festspielstadt, wo höchste Qualität an der Tagesordnung steht, erlebt man das nicht alle Tage. Dabei war es nicht einmal Teodor Currentzis, der die Fäden im Graben gezogen hat, sondern Gianluca Capuano. Von den Salzburger Pfingstfestspielen 2021 übernommen, hat der Mailänder Händels Oratorium mit dem unaussprechlichen Titel geleitet: „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“. Zu Deutsch: Der Triumph der Zeit und der Erkenntnis. Oder verkürzt einfach nur: Ent-Täuschung.

Die hat mich zwar nicht ganz so hart getroffen wie Bellezza, die Schönheit. Zwischen der Publikumsreaktion und dem Erlebtem klafft dennoch eine große Lücke. Vor allem der Kontrast könnte größer nicht sein. Knapp zweieinhalb Stunden nachdem die berühmten Salzburger Glocken das allegorische Spiel eingeläutet haben, durchbricht dieser stürmische Jubel unerwartet die Stille, die sich zuvor musikalisch im gefühlten Dauer-Piano durchgezogen hatte. Händels Oratorium, das von den Les Musiciens du Prince-Monaco zwar beschwingt zelebriert wird, lebt eher vom Sujet als von der Musik. Dadurch bilden sich allerdings einige Erkenntnisse.

Carsens Rückkehr ist ein Gewinn

Erstens: Eine szenische Aufführung kann trotz mangelnder musikalischer Dramatik ihren Reiz haben. Zu verdanken ist das Robert Carsen. Der Kanadier, der zuletzt 2004 in Salzburg aktiv gewesen ist, schafft den Spagat zwischen Barock und Neuzeit. Bei einem Sujet, das aufgrund seiner Zeitlosigkeit dafür wie geschaffen ist, vielleicht kein schwieriges Unterfangen. Carsen vollbringt es allerdings, die Psychomachie lupenrein ins Zeitalter der großen Casting- und Modelshows zu transportieren und dem Salzburger Publikum einen großen Spiegel vor die Nase zu rammen.

Regula Mühlemann (Bellezza) © SF / Monika Rittershaus

Händels Werk ist eine Allegorie. Aus der Feder des Kardinals Benedetto Pamphilj entsprungen, thematisiert es die Vergänglichkeit des Weltlichen, der Schönheit. Die (Regula Mühlemann) genießt das Leben in vollen Zügen. Nachdem sie dem Vergnügen (Cecilia Bartoli) die ewige Treue geschworen hat, erkennt die Schönheit allerdings, dass der Sinn des Lebens in anderen Aspekten zu finden ist.

Von der Erkenntnis (souverän Lawrence Zazzo) und der Zeit (mit schönem Material Charles Workman) geläutert, akzeptiert sie die eigene Sterblichkeit – die wahre Erlösung, um dem Irrweg der exzessiven Partys, des Egoismus und des Narzissmus zu entfliehen. Das ist zumindest die Botschaft, die diesem Oratorium innewohnt. Bei Carsen tritt das teilweise extrem plakativ und grell zum Vorschein, dennoch lässt er das Subtile nicht vermissen.

Schmerzhafte Erkenntnis

Daraus resultiert allerdings die zweite persönliche Erkenntnis, die schmerzlichste: Auch wenn ihr mit „Lascia la spina“ eine der schönsten Arien als Waffe zur Verfügung steht, schafft Cecilia Bartoli es nicht, das Herz der Schönheit neuerlich zu erobern. Das ist primär natürlich dem Libretto geschuldet, das es nicht anders vorsieht – allerdings auch der verminderten Qualitäten der Römerin.

Regula Mühlemann (Bellezza), Cecilia Bartoli (Piacere), Ensemble
© SF / Monika Rittershaus

Mit Sicherheit als das Zugpferd dieser Produktion gepriesen, lässt die Bartoli alte Stärken vermissen. Obwohl sie ihre Koloraturen schwingt wie eh und je, hat ihre Stimme an Leichtigkeit eingebüßt. Die sowieso von einigen bemängelte Durchschlagskraft, die sie durch eine kluge Repertoirewahl kompensiert, hat sich zugespitzt. Selbst im mezza voce, wo sonst ihre Stärken liegen, hat sich ein unangenehmes Vibrato eingeschlichen.

Natürlich weiß die feurige Italienerin im knallroten Kostüm noch immer zu überzeugen – vor allem im Piano, in dem sie die Da-Capo-Arie delikat ausklingen lässt. Der Lack glänzt allerdings bei weitem nicht mehr ganz so hell wie 2019, wo sie in „Alcina“ noch die Bühne dominierte.

Mühlemann nutzt ihre Chance

Die Gelegenheit beim Schopf packt allerdings eine andere. Womit die dritte Erkenntnis zu Tage tritt: In Wien bislang noch eher enttäuschend, singt sich Regula Mühlemann aus dem Schatten ihrer großen Kontrahentin. Als Schönheit, der die junge Schweizerin nicht nur optisch gerecht wird, nutzt sie die Gunst der Stunde. Als Einspringerin für Mélissa Petit, die ein Kind erwartet, erobert sie Salzburg.

Trotz einiger Schwächen im tiefen Register vollzieht die Geläuterte eine Wandlung, die sie mit feinem Pinsel und inniger Tongebung sanft aus der Mittelstimme zaubert. Ihr gebührt auch die eindringliche Schlussszene. Von Carsen perfekt in Szene gesetzt, verlässt sie durch den Hinterausgang schleichend die kahle, dunkle Bühne. Begleitet nur von der gravitätischen Musik, die gleichzeitig mit dem hereinfallenden Licht erlischt.

Das letzte Hemd hat also nicht nur beim „Jedermann“ keine Taschen. Eine Botschaft, die in Salzburg sitzt, wie kaum woanders.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 15. August 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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