Charlotte Larzelere (Prinzessin Natalia) und Christopher Evans (Der König)
Wie Larzelere ihre Arme stilvoll und mit Eleganz einsetzt, mit welcher fast luziden, dennoch straffen Haltung sie sich den Hebungen und Wendungen des königlichen Partners anvertraut oder sich, später am Schluss des Grand Pas de deux, bei den rückwärts gerichteten Arabesken leicht nach hinten beugt, ohne zu kippen, ist überaus fesselnd anzusehen.
Illusionen – wie Schwanensee, Ballett von John Neumeier
Musik: Peter I. Tschaikowsky
Choreographie und Inszenierung: John Neumeier
Choreographie der „Zweiten Erinnerung“ nach Lew Iwanow
Choreographie des Grand Pas de deux in der „Dritten Erinnerung“ nach Marius Petipa und Lew Iwanow
Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Rose
178. Vorstellung seit der Premiere am 2. Mai 1976
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Musikalische Leitung Nathan Brock
Solo-Violine Thomas C. Wolf
Schwanensee in der Staatsoper Hamburg, 2. Februar 2024
von Dr. Ralf Wegner
Trotz des Streiks im öffentlichen Nahverkehr gabe es wider Erwarten fast keine leeren Plätze in der Staatsoper. Irgendwie hatten alle Zuschauer rechtzeitig ins Haus gefunden. Insgesamt werden damit gut 13.000 Karten für diese Schwanenseeserie verkauft worden sein, denn alle Aufführungen waren ausverkauft.
Gestern tanzten Christopher Evans den schwanenverliebten König, die
25-jährige Charlotte Larzelere die ihn begehrende Natalia und Anna Laudere die Oberschwänin Odette. Charlotte Larzelere wurde 1998 im texanischen San Antonio, einer der nach San Francisco schönsten Städte der USA, geboren und in Houston zur Tänzerin ausgebildet. Von 2016 bis 2018 tanzte sie beim Bundesjugendballett und wurde anschließend von Neumeier engagiert. Vor einem Jahr wurde sie zur Solistin befördert.
Als Natalia im Schwanensee tanzte sie bereits vorher, im Frühjahr 2023, ebenso die Hermia im Sommernachtstraum, später dann Stella in Endstation Sehnsucht oder die irre Bertha Mason in Cathy Marstons Jane Eyre. Gestern trat sie, in dieser Serie konkurrierend mit den Ersten Solistinnen Madoka Sugai und Ida Praetorius, wieder als Natalia auf, und wurde am Ende für ihre Leistung bejubelt.
Was macht ihre spezielle Kunst aus? Beim ersten Auftreten auf der Bühne wirkt sie eher etwas blass, fast schüchtern, gewinnt aber, wenn sie anfängt zu tanzen, an Präsenz und Aura, wie im Pas de deux mit dem König beim Neuschwanstein-Richtfest. Wie sie ihre Arme stilvoll und mit Eleganz einsetzt, mit welcher fast luziden, dennoch straffen Haltung sie sich den Hebungen und Wendungen des königlichen Partners anvertraut oder sich, später am Schluss des Grand Pas de deux, bei den rückwärts gerichteten Arabesken leicht nach hinten beugt, ohne zu kippen, ist überaus fesselnd anzusehen.
Anders als vor einem Jahr ersetzte sie gestern im Grand Pas de deux einige der gepeitschten Fouettés durch Mehrfachdrehungen auf der Spitze. Ihre Darstellung ist weniger dramatisch als bei anderen Tänzerinnen. Larzelere wirkt eher wie ein scheues Reh, welches ihren Fluchtreflex in den Griff bekommt und durchaus zielgerichtet und mit Mut ihren Weg verfolgt. Ob sie den König liebt, oder im Dienste der Hofetikette agiert, verwahrt Larzelere allerdings in ihrem Herzen. Sie spürt wohl auch Mitleid mit ihm.
Und Christopher Evans Darstellung löst auch Mitleid aus. Eine Kämpfernatur ist er nicht, zumal wenn er sich einem so diabolisch den Mund zum Grinsen verziehenden Schatten wie Alessandro Frola gegenübersieht. Frola ist kein freundlicher Begleiter eines psychisch Erkrankten, kein Vertreter der himmlischen Heerscharen, sondern eher ein Todesengel, der die Qualen der Hölle ins Diesseits transponiert.
Anna Laudere tanzte die Odette mit der ihr eigenen königlichen Anmut und mit überzeugender Darstellungsintensität. Wenn der König im Schwanenakt den Part Siegfrieds übernimmt, zeigt sie keinerlei unterwürfige Haltung, sondern nur eine leichte, in Stolz übergehende Irritation. Sie wird sich wohl schneller als die von der Seite zuschauende Natalia bewusst, welche Wirkung ihre Schwanenrolle auf den König hat.
Louis Musin und die quicklebendige Ana Torrequebrada ergänzten als Graf Alexander und Prinzessin Claire vollendet das königliche Paar; Hayley Page entsprach mit würdevollem, fast unnahbarem Stolz der in der Hofetikette gefangenen Königinmutter, begleitet von einem vornehm über alles hinwegsehenden sprungstarken Pepijn Gelderman als Prinz Leopold.
Viel bejubelt wurden, wie auch sonst ausnahmslos üblich, die synchronen Schritte der vier Kleinen Schwäne (Oliva Betteridge, Lormaigne Bockmühl, Greta Jörgens, Ana Torrequebrada), aber auch die Tänze der Zimmerleute und der Bauernmädchen sowie die am Spiel teilnehmenden kleinen Kinder der Ballettschule. Besonders präsent in seinem Part war Artem Prokopchuk als Sprecher der Zimmerleute, zudem traten Niurka Moredo und Konstantin Tselikov in begleitenden, die zahlreichen Kinder anleitenden Rollen auf.
Am Ende bejubelte das Publikum die sich erschöpft verbeugenden Tänzerinnen und Tänzer, etwa ein Dutzend Blumensträuße flogen auf die Bühne.
Dr. Ralf Wegner, 3. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Illusionen wie Schwanensee, Ballett von John Neumeier Staatsoper Hamburg, 11. Februar 2023