Interview am Donnerstag (18): 10 Fragen an den Bassisten und Lautenisten Joel Frederiksen
Joel Frederiksen liebt es schon seit früher Jugend, auf der Bühne zu stehen. Ein Jahr verbrachte er in Japan in der Nähe von Kyoto. Sein Leben drehte sich immer um Musik, Abenteuer, Reisen und Liebe.
Den entscheidenden Schritt für eine professionelle Musikerexistenz ermöglichten ihm exzellente Mentoren: In Minneapolis betrieb er bei Loren Lund intensive Gesangstudien. Seine „halbstündigen“ Lektionen von jeweils 2 ½ Stunden waren für Joel Frederiksens Entwicklung prägend. Sein Studium der Laute absolvierte er beim „Guru“ Pat O’Brien in New York City. Nach seinem Master in Alter Musik konnte er wählen zwischen einer Promotion an der Indiana University oder professionellen Auftritten als Bass-Sänger mit dem Waverly Consort in New York City. Ein Glück für die Welt: Er entschied sich für die professionelle Laufbahn und er selbst hat es nie bereut.
von Frank Heublein
- Was bedeutet Ihnen Musik?
Freude, Sehnsucht, Schmerz, Erlösung, Komplexität, einfach sein, das Sein, Natur, Ausdruck, empfänglich zu sein, Klang, Vibration, Sensualität, Tiefe, Liebe, Expression, Intimität, Nähe, Virtuosität, England, Italien, Frankreich, Deutschland, Europa, Amerika, Japan, Syrien, Afrika, Rhythmus, Stimme, Wort, Poesie, Kommunikation, Spüren, Fühlen, Geben, Nehmen, Liebe, Liebe, Liebe.
- Gab es so etwas wie einen Weckruf, eine Eingebung, dass Sie sich ausgerechnet der alten Musik verschrieben haben?
Für mich war und ist Musik untrennbar und in erster Linie mit Gesang verbunden. Die Stimme kommt ureigen aus dem Körper und ich war immer sehr körperlich. Ich spiele Gitarre und Laute, um mich als Sänger zu begleiten. Es waren die Lieder von John Dowland und Thomas Campion, die ich mit 18 Jahren gehört habe, die meinen Weg in der Alten Musik bestimmten. Es war und ist Teil von einer größeren Liebe, der Liebe zum Wort verbunden mit Musik, dem unendlichen Spiel. Ich liebe Balladen, Folk Songs aus England, die Geschichten erzählen. Ich sang seit meiner Kindheit in Minneapolis in Chören und später, mit 15 bis 18 Jahren in der „High School“, später im Alter von 18 bis 22 Jahren dann im College, in einem Madrigalensemble, in dem nur die besten Sänger und Sängerinnen des großen Chores aufgenommen wurden.
Im College hatte mein Gitarrenlehrer eine Laute, die er aber nicht gespielt hat. Eine Zeit lang habe ich seine Laute mit mir herumgetragen. Ich habe sie zu diesem Zeitpunkt nicht richtig erlernt, ich fand das Instrument einfach nur cool. Erst in Washington, D.C., als ich an der Library of Congress, Archive of Folk Song ein Praktikum absolvierte, habe ich eine Laute zum ersten Mal live erlebt. Es war magisch. Da spürte ich, ich muss Laute spielen. Es fügte sich gut und ich konnte in diesem Moment ein Instrument preiswert erwerben. Danach zog ich nach New York und habe beim bekannten Lauten-Guru Pat O’Brien studiert. Pat sagte bei der ersten Lautenstunde: „Wir spielen die Laute so… Wir lernen zuerst die französische Tablatur…“, usw. Es war dieses „wir“, damit fühlte ich mich sofort als Mitglied einer exklusiven Gruppe, ich war einer der Eingeweihten. Und doch stand meine Bestimmung, mein Ziel mir immer klar vor Augen: Ich wollte die Kunst des Singens und der Selbstbegleitung mit der Laute wiederbeleben.
- Was macht die sogenannte alte Musik so verführerisch, besonders für Sie?
Wahrscheinlich habe ich irgendwann, viel früher, so etwa um 1300, in Tours, Frankreich, an der Loire gelebt als ein Troubadour! Irgendwas an dieser Stadt zieht mich stark an! Scherz beiseite: Es ist der Klang, es ist die Musik, die Chance etwas von sich selbst einzubringen und immer wieder Neues zu entdecken.
- Ein kleiner Ausflug zur historischen Bedeutung von alter Musik. In welchem Rahmen kam es überhaupt zu Aufführungen? Wer konnte überhaupt musizieren im 16. und 17. Jahrhundert?
Es gab viel Hausmusik im 16.-17. Jahrhundert. Ein Instrument zu erlernen, singen zu können und Musik vom Blatt zu lesen waren Fähigkeiten, die in der gebildeten Bevölkerungsschicht absolut üblich waren. Auf jeden Fall mussten alle Höflinge Musikunterricht nehmen und die Erwartungen an ihre musikalischen Fähigkeiten waren hoch. Gleichzeitig gab es populäre Balladen und Lieder und Musikblätter, die per Hand kopiert wurden. Ab Anfang des 16. Jahrhunderts gab es dann auch gedruckte Noten für Laute und Gesang. Bader boten im Mittelalter allerlei ärztliche Dienstleistungen an. Wir sehen auf Bildern von Geschäften der Bader an den Wänden Lauten und Zittern hängen. Jeder konnte und durfte ein Instrument von der Wand in die Hand nehmen und darauf spielen. „Broadside Ballads“ konnte man in England an vielen Straßenecke erwerben und mit einer bekannten Melodie ausgestattet die aktuellsten Nachrichten oder gruseligsten Geschichten singen und vortragen. Und natürlich gab es Musik am Hof, selbstverständlich in den Kirchen, aber auch einfach beim Haareschneiden!
- Seit 13 Jahren ist eine Art Ankerzentrum Ihres musikalischen Schaffens eine kleine Konzertreihe im Bayerischen Nationalmuseum, benannt nach dem Saal, in dem die Aufführungen (meistens) stattfinden: Zwischen Mars und Venus. Wie kommen Sie auf die vielfältigen Themen? Können Sie den kreativen Entstehungsprozess näher erläutern?
Der Journalist Klaus Kalchschmid von der Süddeutsche Zeitung schrieb, dass unsere Reihe „Zwischen Mars und Venus“ Kult-Status erreicht hätte. Das fand ich schön! Klein und fein? Hoffentlich.
Ich erlaube mir, in München Themen anzugehen die mich schlicht und einfach interessieren. Ich möchte nicht dauernd darauf warten müssen, bis man mich bittet, ein Konzert zu einem bestimmten Thema zu gestalten. Ich entscheide bei meiner Reihe selbst. Ein Programm fängt gelegentlich mit einem ganz besonderen Stück und/oder Komponisten an. Zum Beispiel habe ich jahrelang „O vos omnes“ von Giovanni Felice Sances gesungen. Als ich diese Motette zum ersten Mal in einem Konzert präsentierte, waren die Leute beeindruckt und überrascht. Niemand kannte seine Musik so richtig. Heute ist er schon viel bekannter. Ich wollte seine Motetten für mich selbst besser kennenlernen. So kam es zum Konzertprogramm „Musiker auf Reisen“, wo Sances eine große Rolle spielt. Ich verfolge gerne die musikalische Entwicklung von bestimmten Ländern. Für Frankreich fing ich eine Trilogie von Programmen mit „Paris 1529“ an. In 1529 wurde das erste gedruckte Buch von Chansons des Pierre Attaingnant herausgegeben. Das darauffolgende Programm drehte sich um „Airs de Cour“, das um 1600 komponiert wurde. Das letzte der Trilogie, „Paris 1706“, habe ich nach dem ersten veröffentlichten Band französischer Kantaten von Jean Baptiste Morin benannt.
Ich habe auch eine Trilogie mit Programmen zur Geschichte der amerikanischen Musik gemacht, angefangen bei den Pilgervätern im Jahr 1620 bis zum Bürgerkrieg um 1860. Eines meiner langfristigen Projekte ist es, alle Songs von Thomas Campion, einem meiner Lieblingskomponisten für englische Lautenlieder, zu präsentieren. Bisher haben wir drei seiner fünf Bücher vollständig aufgeführt.
Zu unserem zehnjährigen Jubiläum der Reihe, habe ich mich auf die Musik der damaligen Münchner Hofkomponisten konzentriert, angefangen bei Ludwig Senfl, dann Orlando di Lasso, Michelangelo Galilei (der Bruder des berühmten Galileo). Ich habe einen großen Bogen geschlagen zu modernen lebenden Komponisten. Für das letzte Konzert dieser Reihe haben wir Laurence Traiger aus München beauftragt, ein Stück mit einem Text von Torquato Tasso zu schreiben. Neue Musik gegenüber Alter Musik zu präsentieren, ist mir ein wichtiges Anliegen.
Es gibt manchmal sehr persönliche Programme, wie die elisabethanische Hommage an Nick Drake, „Requiem for a Pink Moon“. Dann wieder gibt es ein Programm, das ich weiterhin mit dem wunderbaren Oud-Spieler und Sänger Rebal Alkhodari aus Syrien aufführe. Ich habe mehr Ideen als ich jemals realisieren werde können!
- Wie finden Sie die „passenden“ Musiker für die Programme?
Obwohl ich gerne mit bestimmten Musikern arbeite, mit manchen seit über 10 Jahren, ist Ensemble Phoenix Munich kein festes Ensemble. Meine Überzeugung war es immer schon, die jeweils besten Musiker auszusuchen, die ich für ein bestimmtes Repertoire eben finden kann. Ich baue sehr gerne Beziehungen zu Menschen auf, die ich mag. Diese Musikerfreunde frage ich immer wieder an, mit mir zusammen zu musizieren. Auf diese Weise haben wir einen sehr großen Pool von Musikern und Sängern aufgebaut. Ich muss gestehen, viele von ihnen haben eine Verbindung zur Schola Cantorum in Basel oder Den Haag, zwei wichtigen Studienzentren für Alte Musik.
- Von außen gesehen erscheinen mir die Musiker der Alten Musik als eine verschworene Gemeinschaft, jede*r hat ganz viele Projekte mit vielen anderen Musikerkolleg*innen laufen. Was macht den künstlerischen Zusammenhalt so intensiv?
Es kann ein bisschen wie ein exklusiver Verein wirken, zum Guten oder zum Schlechten. Wir lernen eine bestimmte musikalische Sprache, wenn wir studieren. Wir lernen aus den Quellen, die überliefert sind, wie die Musik möglicherweise geklungen hat oder wie wir ein Instrument besaiten sollen. Dazu gehören viele weitere Dinge wie etwa die Bauart der Instrumente, die richtigen Bögen und auch welche musikalischen Verzierungen in welchen Epochen und Ländern gängig waren und damit zu einem bestimmten Repertoire passen.
Natürlich braucht es Erfahrung, also suchen wir in der Alten Musik Menschen mit guter Ausbildung, Sensibilität und Ahnung. Das heißt aber nicht, dass wir Fachleute in der Alten Musik immer gleicher Meinung sind! In dieser Nische wollen sich besonders viele persönlich ausdrücken. Daher gibt es viele Einzelgänger, die alle musikalisch etwas zu sagen haben. Es bleibt also spannend!
- Gibt es so etwas wie eine musikalische Sternstunde in Ihrem Leben? So eine Art Energie, die Sie seitdem befeuert?
Sternstunden… Es gab für mich auf jeden Fall einige sehr wichtige Meilensteine in meiner Karriere. Ich erinnere mich, wie ich David Thomas, einen englischen Bass, hörte. Er sang im Radio mit Emma Kirkby Duette. Ich mochte Davids Kunst beim Musizieren – so farbenfroh und ausdrucksstark. Und natürlich war (und bin) ich ein großer Emma-Fan. Ich dachte „wenn ich nur eines Tages mit Emma Kirkby singen könnte“. Viel später zwar, aber ja, ich habe mit ihr gemeinsam musiziert, oft sogar!
Als ich 1990 ausgewählt wurde, dem Waverly Consort in New York beizutreten, war dies ein weiterer wichtiger Moment. Das Waverly Consort war die berühmteste Gruppe für Alte Musik in Amerika. Ich kannte sie gut, bestand das Vorsingen und wurde eingeladen, mich als Bass der Gruppe anzuschließen. Ich war total begeistert!
Dann gab es diesen Moment in Europa, in dem ich unter anderem auch finanziell ein großes Risiko einging und die CD „The Elfin Knight“ selbst produzierte. Ich stand bei keinem CD-Label unter Vertrag, aber mein Traum war es, bei harmonia mundi France herauszukommen. Als das Label 2006 die CD in ihr Programm aufnahm, war ich außer mir vor Freude! Es begann eine großartige Beziehung mit Eva Coutaz, der künstlerischen Leiterin, und ich veröffentlichte vier CDs.
All das waren Momente, die meine musikalische Karriere veränderten und mir große Energie und Hoffnung gaben.
- Gibt es einen Komponisten, den Sie gerne mit einer neuen Komposition für Alte Musik beauftragen würden?
Wenn ich an einen sehr berühmten Komponisten denke, dann vielleicht an Wolfgang Rihm. Ich habe einmal ein Stück gehört, das er für Singer Pur geschrieben hat, es war fantastisch. Er hat sowohl eine Vorstellung von Stimmen als auch von Instrumenten. Es ist in der Tat nicht einfach, an neue Stücke zu kommen, deren musikalische Interpretation für uns Alte Musiker wirklich befriedigend sind. Benjamin Britten schrieb für Julian Bream und Company und er scheint eine Vorstellung von der Laute zu haben. Aber ich habe auch Stücke für mich und die Laute komponieren lassen, die mir am Ende einfach keinen Spaß gemacht haben zu spielen. Dann führt man solche Lieder vielleicht auch nur ein- oder zweimal auf und sie verschwinden im Schrank.
- Welche Art Komposition möchten Sie beauftragen?
Ich mische Gesang mit Instrumenten gerne, also sollte sie beide Elemente beinhalten. Die Laute ist wichtig, und nur wenige Komponisten schreiben idiomatisch für die Laute. Die Besetzung wie am Anfang des Barocks üblich gefällt mir gut: ein bis vier Sänger, zwei Violinen, Theorbe und Orgel. Es darf imaginativ und experimentell sein, zugleich muss es auch Schönheit und Ausdruck haben.
Ganz ehrlich: Wie bei den Produktionen The Elfin Knight, Requiem for a Pink Moon oder Reflektionen (Lieder des Oswald von Wolkenstein) möchte ich weiter eigene Lieder und Arrangements komponieren und produzieren. Ich habe große Lust, ein Buch von 21 Liedern mit meinen eigenen Texten zu verfassen. Mal schauen was dabei rauskommt! Aber erst einmal konzentriere ich mich auf meinen nächsten Auftritt, den ich am 26.07.2020 über den Ensemble Phoenix Youtube Kanal bestreite. Ob Publikum in München live anwesend sein darf, ist noch nicht endgültig entschieden.
Frank Heublein, 03. Juni 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at