Interview Eric Cutler: „Das Publikum hat auch ein Recht, sich zu äußern“

Interview: Eric Cutler: „Das Publikum hat auch ein Recht, sich zu äußern“  klassik-begeistert.de, 5. Januar 2024

Eric Cutler © Daniel Kleiter

Der US-amerikanische Tenor Eric Cutler gehört zu den gefragtesten Sängern seines Fachs. Insbesondere mit Partien wie Erik (Der Fliegende Holländer), Bacchus (Ariadne auf Naxos) und Siegmund (Die Walküre) ist er regelmäßig an wichtigen Häusern wie Wien, Zürich oder New York zu Gast.

Im Gespräch mit klassik-begeistert spricht er über Regisseure, Corona-Absagen und natürlich den Fliegenden Holländer.

Das Interview führte Johannes Karl Fischer 

klassik-begeistert: Lieber Herr Cutler, Sie kommen aus dem ländlich-amerikanischen Iowa und singen jetzt Wagner in Hamburg, Bayreuth und New York. Wir kamen Sie aus Iowa zu Wagner?

Eric Cutler: Das war eine lange Reise, die mich über Donizetti, Mozart und viele andere Komponisten geführt hat. 2006 habe ich meine Frau [Anmerkung: Die Sopranistin Julia Kleiter] kennengelernt – wir haben zusammen mit Claudio Abbado die Zauberflöte gemacht – und es war mir klar, dass es hier  in Deutschland mehr Chancen und Möglichkeiten zu singen gibt als anderswo.

klassik-begeistert: Man ist ja doch immer wieder überrascht, wie viele Wagner-Sänger aus dem amerikanischen Midwest kommen – Michael Spyres aus Missouri, James King aus Kansas…

Eric Cutler: …und Deborah Voigt aus Illinois.

klassik-begeistert: Ist das Zufall?

Eric Cutler: Wir haben da schon ein sehr starkes Fundament, weil der Musikunterricht in der Schule und das Singen im Chor mindestens zu meiner Zeit noch sehr wichtig waren. Viele Leute dort sind auch sehr religiös und mit der Kirche aufgewachsen. Aber Wagner, das war für mich eine Überraschung, einfach ein Zufall. Am Anfang meiner Karriere dachte ich, meine stimmliche Entwicklung würde mich vielleicht zu Puccini oder Verdi führen. Man weiß eben nie, wohin die Reise gehen wird…

klassik-begeistert: Stichwort Puccini: Ich habe mir mal Ihren Spielplan angeguckt und der besteht im Moment im Wesentlichen aus Wagner, Richard Strauss, Florestan und dem Rusalka-Prinzen. Könnten Sie sich auch mal einen Calaf oder generell eine italienische Rolle vorstellen?

Eric Cutler: Naja, ich könnte schon vielleicht mal Don Carlo oder Forza del Destino probieren. Aber eigentlich gehört zu diesen Partien doch eine gewisse Stimmfarbe, diese Italianità, die andere Tenöre wie Brian Jagde in ihrer Stimme haben und ich eben nicht. Es geht nicht um Stil, sondern vielmehr um Klangfarbe.

klassik-begeistert: Aber ist Klangfarbe ein Ausschlusskriterium? Gerade Don Carlo ist ja eine Klassiker-Oper für Wagner-Sänger…

Eric Cutler: Früher hat ein Heldentenor auch viele andere Partien gesungen. Aber wir leben in einer Zeit, wo die Opernwelt nach Spezialisierung verlangt. Ganz ehrlich, ich bekomme einfach nicht die Anfragen.

klassik-begeistert: Spezialisierung wird auch immer sehr unterschiedlich diskutiert – früher haben alle alles gesungen und jetzt eben nicht mehr. Ist das eine positive Entwicklung?

Eric Cutler: Nein, gar nicht. Wir sind alle Künstler. Eine Partie spricht zu uns und wir haben manchmal einfach Lust, auch andere Partien zu singen. Zu Hause singe ich auch viele andere Sachen, aber auf der Bühne habe ich meine Karriere und die Partien, die ich singe. Das ist in dem Sinne sehr einschränkend. Aber so ist das halt.

klassik-begeistert: Sie singen hier in Hamburg gerade den Erik im Fliegenden Holländer, den Sie ja schon an fast allen bedeutenden Häusern der Welt – München, New York, Bayreuth – gesungen haben. Wie nehmen Sie diese doch eher abstrakten Inszenierung wahr?

Eric Cutler: [lacht] Es ist immer eine sehr schwierige Aufgabe, mit so wenig Zeit und ohne den Regisseur Wiederaufnahmen zu machen. Ich habe keine Ahnung, was der Regisseur hier wollte, aber ich kann ihn leider nicht fragen, was er damit gemeint hat. Ich gebe mein Bestes. Und bin sehr beschäftigt mit all diesen Seilen…

klassik-begeistert: Da sind wir ganz schnell bei der Regietheater-Debatte, aber es gibt ja auch andere Inszenierungen, wie zum Beispiele Dmitri Tcherniakovs Bayreuth-Holländer, die keinesfalls museal und trotzdem viel weniger abstrakt sind. Wie kann man diese Oper in dieser Hamburger Inszenierung, die optisch im Wesentlichen nur aus Seilen besteht, aus Sicht des Eriks verstehen?

Eric Cutler: Ehrlich gesagt, da habe ich keine Ahnung, das ist eine sehr gute Frage. Tcherniakov ist für mich einer der besten Personenregisseure der Welt – wie auch Christof Loy oder Barrie Kosky. Im Gegensatz dazu geht diese Regie mehr in Richtung Bob Wilson, da fühle ich mich manchmal ein bisschen verloren und habe keine Ahnung, was in dieser Inszenierung gemeint ist. Es war natürlich alles ziemlich kurzfristig, ich bin für Michael Spyres mit wenigen Tagen Vorlauf eingesprungen und das macht es nicht einfacher. Aber es liegt sicherlich auch an der Inszenierung an sich. Ich finde es sehr schade, dass ich beim Schaffensprozess dieser Inszenierung nicht dabei sein konnte, weil ich mir einfach nie sicher bin, was der Regisseur genau gemeint hat.

klassik-begeistert: Würden Sie sich einfach mehr Zeit für die Proben bei den Wiederaufnahmen wünschen?

Contes d’Hoffmann, E. Cutler, P. Petibon © Bernd Uhlig

Eric Cutler: Ich würde mir vor allem Zeit mit dem Regisseur wünschen, seien es drei Stunden, sei es eine Probe. Dann könnte ich ihn einfach fragen und herausfinden, was er in dieser Inszenierung wollte.

klassik-begeistert: Blicken wir einmal auf die eher konservativ angelegte François-Girard-Inszenierung aus New York, in der Sie auch gerade erst vor kurzem als Erik aufgetreten sind. Wie nehmen Sie die Rolle in dieser Inszenierung im Vergleich zu Thalheimers Regie unterschiedlich wahr?

Eric Cutler: Erik ist einfach völlig verzweifelt zwischen Wut und Hass. Ich weiß nicht, ob er richtig in Senta verliebt ist, aber handlungstechnisch hat er einfach keine Möglichkeiten mehr. In der Inszenierung von François Girard kann ich diesen Charakter ganz so und ganz ehrlich spielen. Aber bei Thalheimer ist der Erik brutal, fast schon übertrieben so. Da muss man dann einfach rein springen, aber ich finde das so eigentlich nicht nötig. Der Erik ist kein brutaler Kerl. Ja, er ist ein Jäger, das hat Wagner so geschrieben. Aber er ist vor allem ein Mann vom Dorf, etwas einfach und nicht sehr gebildet. Wagner hat ihm eine unglaublich schöne und liebevolle Musik geschrieben. Das sehen wir in dieser Inszenierung von Thalheimer nicht, da bleibt das alles etwas zweidimensional.

klassik-begeistert: Viele sagen ja, der Erik sei charakterlich eine eher undankbare Rolle. Trifft das auch aus Sicht des Sängers zu?

Eric Cutler: Nein, überhaupt nicht! Ich komme als dem Belcanto-Fach – Rossini, Donizetti, Bellini – und der Erik ist wie Belcanto on Steroids. Für mich muss der Erik stark sein, sonst versteht man nicht, warum Senta so zerrissen ist. Wir brauchen diese Geschichte zwischen Senta und Erik, das macht den Holländer insgesamt viel stärker.

klassik-begeistert: Undankbar soll sich hier natürlich nicht auf die Musik beziehen, eher darauf, dass Erik eben – wie Sie sagten – keine Wahl hat, in die Situation immer einfach ungünstig reingrätscht…

Eric Cutler: Er hat auch nicht so viel zu singen – insgesamt vielleicht zwanzig Minuten. Das ist natürlich kein Lohengrin, kein Tannhäuser und kein Siegmund, eher ein bisschen wie Bacchus oder die ganzen Strauss-Tenor-Partien: Kurz, aber sportlich, wie ein Leichtathletik-Sprint. Und das gefällt mir.

Contes d’Hoffmann © Bernd Uhlig

klassik-begeistert: Da habe ich gerade Tannhäuser gehört, kommt der noch?

Eric Cutler: Ja, in ein paar Jahren.

klassik-begeistert: Apropos Tannhäuser: Sie haben ja wahrscheinlich auch mitgekriegt, dass in New York eine Tannhäuser-Aufführung von einer Klimademo unterbrochen wurde. Wie würden Sie reagieren, wenn das bei einer Ihrer Aufführungen passieren würde?

Eric Cutler: Man muss einfach aufhören und die Vorstellung unterbrechen. Die Leute, die wollen was sagen und das ist in Ordnung. Viel schlimmer ist das vermutlich für die Leute hinter dem Vorhang – in diesem Fall Peter Gelb und die ganze Verwaltung.

klassik-begeistert: Kommen wir nochmal zur New Yorker Holländer-Inszenierung. Wie ist dort das Publikum anders als hier in Hamburg oder in Bayreuth?

Eric Cutler: Ich sehe eigentlich keinen Unterschied zwischen dem Publikum in Bayreuth, München und New York. Die Leute sind einfach begeistert von der Wagner’schen Musik, egal, wie stark oder schlecht die Inszenierung ist. Alle sind von der Musik berührt.

klassik-begeistert: Aber schon die Inszenierungen, die gespielt werden, sind ja sehr unterschiedlich. New York ist ja immer eher konservativ…

Eric Cutler: Ja, generell in Amerika, auch in Chicago…

klassik-begeistert: …und San Francisco genauso! Da nimmt Bayreuth einen ganz anderen Ansatz,  dafür sorgen halt auch die Publikumsreaktionen, wie zum Beispiel bei der aktuellen Götterdämmerung, gerne für Schlagzeilen. Buh-Rufe in dieser Dimension wären selbst hier in Hamburg nicht denkbar.

Eric Cutler: Ich war diesen Sommer nicht in Bayreuth, aber ich habe sowas einmal miterlebt, in Paris bei König Roger [Anmerkung: Król Roger von Karol Szymanowski] in der Regie von Krzysztof Warlikowski. Da war dieser Hass, der vom Publikum kam, sehr stark spürbar. Aber bei Wagner habe ich sowas noch nie erlebt.

klassik-begeistert: Wie nimmt man das als Sänger wahr, wenn die Regie so ausgebuht wird?

Eric Cutler: Natürlich ist das enttäuschend, aber man kann das nicht persönlich nehmen. Das Publikum hat auch ein Recht, sich zu äußern. Manchmal würde ich einen Regisseur gerne fragen: Warum machen wir das? Ist das alles nur für uns? Ich bin da eigentlich nicht so altmodisch, ich habe Kollegen und Freunde, die viel spießiger sind als ich. Aber wenn wir zu weit gehen, dann verlieren wir einen Riesenteil des Publikums. Für mich ist das undenkbar, das können wir nicht riskieren. Manchmal habe ich als Darsteller keine Ahnung, warum wir das eigentlich auf der Bühne machen oder was das alles bedeuten soll. Das macht mich dann ein bisschen nervös.

klassik-begeistert: Im Publikum sind die Lager im Moment auch ziemlich gespalten, fast schon verfeindet. Die einen wollen konservativere Inszenierungen, die anderen Regietheater…

Eric Cutler: Hauptsache, ein Regisseur hat Ideen und bleibt irgendwie beim Libretto. Was ich gar nicht mag ist, wenn die Regie ein Kunstwerk nimmt und das als politisches Statement benutzt. So nach dem Motto: „Das ist mein Werk.“ Das ist für mich schon fast beleidigend. Weil wenn die Regie ein Stück, das sie am Ende nicht geschrieben hat, als politisches Statement nutzt, hat sie das Werk quasi gestohlen. Sowas hat vielleicht auch anderswo seinen Platz, aber ich fühle mich in solchen Inszenierungen nie wohl.

klassik-begeistert: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Eric Cutler: Ich würde gerne mehr Lohengrin singen – den habe ich bislang nur in zwei Inszenierungen gesungen [Anmerkung: zusätzlich zur konzertanten Produktion an der Staatsoper Hamburg im Frühjahr 2022] und ich brauche einfach mehr Zeit mit dieser Rolle. Dann kommt mein erster Versuch mit dem Tannhäuser, da gucke ich mal, wie das läuft.

Vielleicht ist das meine Partie, vielleicht nicht. Ansonsten kommt noch Siegmund, Die tote Stadt, Fidelio, viel Strauss, der Kaiser, der Bacchus, eben die ganzen jugendlichen Heldentenöre. Ich will meine Stimme so hoch wie möglich halten, ein bisschen wie ein Flugzeug. Irgendwann – später – würde ich auch gerne mal den Tristan singen. Von der Zauberflöte zum Tristan, das haben nicht viele geschafft.

klassik-begeistert: Andererseits keine ungewöhnliche Laufbahn, viele Tristane – Andreas Schager, Klaus Florian Vogt, auch Siegfried Jerusalem – haben zum einen oder anderen Zeitpunkt mal den Tamino gesungen…

Eric Cutler: Genau.

klassik-begeistert: Wie war das für Sie, als 2022 der Hamburger Lohengrin pandemiebedingt nur konzertant statt szenisch gespielt wurde?

Eric Cutler: Furchtbar. Wir hatten alle an dieser Konwitschny-Inszenierung sehr hart gearbeitet. Die fand ich auch noch dermaßen genial, das war sehr enttäuschend, als das so reduziert wurde. Aber das war eben diese seltsame Zeit mit Corona und wir waren natürlich alle sehr dankbar, dass wir überhaupt singen durften. Trotzdem war das schade, wir hatten einen Monat lang dafür geprobt.

klassik-begeistert: Also kam die Absage erst, als alles schon geprobt war?

Eric Cutler: Genau, das wurde ein, zwei Tage vor der ersten Vorstellung entschieden.

klassik-begeistert: Und die Auslastung war damals ja auch sehr, sehr niedrig…

Eric Cutler: Als ich damals auf die Bühne gegangen bin, dachte ich, es wären vielleicht 300 Leute oder so im Publikum. Bei der ersten Vorstellung waren es vielleicht 500. Meine Frau hat gleichzeitig auch in Hamburg Così fan tutte gesungen, da war das genauso. Aber das war eben Pandemie.

klassik-begeistert: Lieber Herr Cutler, wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.

Johannes Fischer, 5. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner (1813 – 1883), Der fliegende Holländer  Staatsoper Hamburg, 15. Dezember 2023

Klein beleuchtet kurz 5: Der fliegende Holländer Staatsoper Hamburg, 10. Dezember 2023

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