Interview mit dem Bariton Erik Sohn zu Benjamin Brittens War Requiem
Erik Sohn, Sänger, Dozent, Coach und Chorleiter, ist insbesondere für seine Auseinandersetzung mit der modernen Vokalmusik bekannt. Der Professor für Populäre Vokalmusik an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln kann auf eine Karriere als international gefragter Bariton zurückblicken. Zu seinem Repertoire zählen neben barocker, klassischer und romantischer Literatur auch Pop und Jazz. In einem Exklusivinterview zur Aufführung von Benjamin Brittens War Requiem mit dem Bundesjugendorchester in der Kölner Philharmonie erzählt der Crossover-Künstler klassik-begeistert.de, wie er sein Mitwirken in der umfangreichen Projektarbeit rund um die Aufführung betrachtet, welchen besonderen Blick er durch seine Solistenrolle auf die aktuelle, politische Lage gewinnt und welchen Unterschied das Alter für die Rezeption eines solchen musikalischen Monuments macht.
Interview: Daniel Janz
klassik-begeistert.de: Herr Sohn, Sie sind maßgeblich in die Aufführung von Benjamin Brittens Kriegsrequiem in diesem April in Köln, Breslau und Berlin involviert. Als Bariton und Begleiter des umfassenden Begleitprojektes tragen Sie nicht nur gesanglich eine der Hauptrollen. Was bedeutet diese Rolle für Sie im Speziellen?
Erik Sohn: Bemerkenswert ist die Zusammensetzung des Stücks aus alten Requiemvertonungen und den Kriegsgedichten von Wilfried Owen, gepaart mit diesen ganzen sehr eindrücklichen Begleitprojekten, die gerade stattfinden. Ich finde, was auch immer man für eine Botschaft aus dem Werk ziehen will, dass gerade dieses praktische Weitergeben der Geschichte und die Sensibilisierung dafür einen sehr, sehr hohen Stellenwert haben. Da finde ich neben der Aufführung eines solchen Werkes in gleicher Weise auch wichtig, was zum Beispiel die Schüler dazu beigetragen haben.
Sie sind im Vorfeld ja an viele Schulen gegangen, haben neben ihrer solistischen Vorbereitung auch Vorträge und Gesangsvorführungen gegeben, und es wird öffentliche Proben mit dem Bundesjugendorchester geben. Inwiefern hilft dieser praktische Aspekt einerseits der Vermittlung der Musik und andererseits dem Verbinden von Menschen über Generationen und womöglich sogar Kulturen hinweg?
Erik Sohn: Einerseits glaube ich, dass das Live-Musizieren immer noch eine andere, direktere Ansprache hat, als davon zu lesen, darüber zu reden oder es vom Band zu hören. Gerade auch die Schülerinnen und Schüler würden sich im Alltag diese Musik wahrscheinlich nicht vom I-Pod anhören. Deswegen glaube ich, dass ihnen dieser direkte Kontakt aus der Live-Situation die Thematik noch besser vergegenwärtigt. Und dazu kommt, dass diese Arbeiten, die in den Schulen angefertigt werden, die unterschiedlichsten Themenschwerpunkte berühren, sodass man ganz verschiedene Sichtweisen präsentiert bekommt.
Unterschiedliche Sichtweisen wie zum Beispiel?
Da gibt es die Sicht der Soldaten, die auch solistisch zu füllen ist. Da gibt es die Botschaft an die Jugend von heute, sich nicht für totalitäre Ideologien einspannen zu lassen, auch wenn scheinbar noch so verlockende Versprechungen gemacht werden. Die Ansprache der Jugendlichen und auch der Austausch verschiedener Herangehensweisen miteinander ist immer ein spannendes Feld. Das selber zu erleben in diesen Tagen, in denen ich mich musikalisch und natürlich inhaltlich vorbereite, ist sehr inspirierend.
Als Dozent für Populäre Vokalmusik und als Leiter des Jazz-Pop-Chors der Musikhochschule Köln haben Sie da sicher noch einmal eine ganz andere Herangehensweise an diese Musik. Würden Sie sagen, dass die „moderne“ Musik einen solchen Ausdruck, wie ihn das Kriegsrequiem leistet, problemlos nachstellen kann? Oder sehen Sie da gravierende Unterschiede, womöglich sogar Mängel?
Erik Sohn: Das finde ich schwer zu beurteilen. Es handelt sich hierbei letztendlich um sehr unterschiedliche Anlagen der Musik. Auch in der Pop-Musik gibt es sehr politische Musik. Wenn wir nur betrachten, was jetzt gerade in den USA passiert und was da für Größen auftreten und was für Songs entstehen. Die schaffen vielleicht nicht diesen großen Bogen, wie so ein Requiem. Doch sie gehen mit ihrer Aussage ebenso tief und bieten dadurch auch wieder eine andere, vielleicht für manche direktere Ansprache. Trotzdem würde ich mich ganz stark davor hüten, es in irgendeiner Form zu vergleichen. Auch jetzt bei der Projektarbeit war es so, dass es bei aller Sperrigkeit mit der Musik wirklich immer eine sehr große Aufmerksamkeit von Seiten der Schüler gab. Man hat gespürt, dass es wirklich einen Punkt gab, an dem sie die Ernsthaftigkeit der Musik erkannt haben. Das Werk, obwohl es so alt ist und die beiden Weltkriege schon so lange zurückliegen, hat nach wie vor eine Bedeutung.
Würden Sie sagen, dass bei der Art der Herangehensweise auch der Altersunterschied eine Rolle spielt?
Erik Sohn: Sicherlich. Ich kann mich und meine Generation glücklich schätzen, keinen Krieg miterlebt zu haben. Meine Großeltern haben das noch – mein Großvater war sogar an der Front. Meine Eltern haben als kleine Kinder die Flucht miterlebt. Wenn man das Glück hat, in einem Land zu leben, das nicht von Kriegswirren bedroht ist, ist es umso wichtiger, die Scheuklappen nicht davor zu verschließen. Man muss bei uns nur buchstäblich um die Ecke schauen. Ich denke da an die Kriegswirren in der Ukraine oder in der Türkei und Syrien. So haben natürlich auch die Jugendlichen eine ganz aktuelle Auseinandersetzung mit dem Thema. Vielleicht gehen Jugendliche damit offener um, weil sie über soziale Netzwerke noch viel direkter mitkriegen, was gerade weltpolitisch passiert. Manche Erwachsene entwickeln Ängste, vielleicht weil sie dieses Glück, nicht in einem Krieg gelebt zu haben, für sich einfrieren wollen.
Ist denn die Aufführung des War Requiems auch eine politische Botschaft?
Erik Sohn: Mit Sicherheit. Aber es ist wichtig, im Blick zu behalten, dass bei allen Anklagen und bei aller Kritik, in welche Richtung auch immer, es doch diese Hoffnung gibt. Dass man etwas erreicht, wenn man gemeinsam für eine Sache, für den Frieden streitet. Dann kann man innerhalb einer kleinen Gruppe etwas erreichen, man kann innerhalb der Länder etwas bewirken und man kann innerhalb großer politischer Konstellationen etwas verändern. Umso wichtiger ist, dass man sich auch selber klar ist, dass man Einfluss leisten kann. Dass eben nicht der Eindruck entsteht, als kleiner, unbedeutender Mensch hätte man nichts damit zu tun. Denn letztlich entstehen solche Strömungen ja nicht, weil einer „da oben“ entscheidet, sondern durch Bereitschaft, Toleranz und Akzeptanz oder vielleicht auch nur durch einen aus irgendwelchen Ängsten geschaffenen Nährboden.
Also ein Nährboden, den man dann eigentlich gar nicht zulassen darf?
Erik Sohn: Ja, oder vor dem man zumindest gefeit sein muss, weil es immer leicht zu sagen ist, dass so was nicht an einen rankommt. Ich glaube, jeder ist in irgendeiner Form dafür anfällig. Und es gilt, Aufmerksamkeit dafür zu schaffen – auch durch so eine Aufführung.
Dazu passt, dass Sie bereits 2008 die Kriegsgedichte aus dem Requiem in einer englisch-deutschen Produktion performt haben. Würden Sie sich denn inzwischen als einen Veteran im Umgang mit dieser Art der Musik betrachten?
Erik Sohn: Das würde ich ganz bestimmt nicht von mir behaupten. Ich glaube, dass gerade so ein Werk auch nie zur Routine wird. Einerseits von der Musik und andererseits auch von der Werkkonstellation, wie die vielen Chöre, wie das Orchester und das zusätzliche Kammerorchester da mit eingewoben sind. Das ist immer etwas Besonderes. Auch bei drei Konzerten hintereinander bringt jedes einzelne eine gewisse Einmaligkeit mit sich.
Eine Einmaligkeit, die sicher auch jeder Aufführungsort mit sich mitbringt. Es ist ja sicher etwas Besonderes, dieses Werk in so kurzer Zeit auch über Ländergrenzen mit internationaler Beteiligung hinweg aufführen zu können?
Erik Sohn: Ja, auch diese von Britten vorgeschriebene internationale Besetzung ist außergewöhnlich. Ich finde das sehr faszinierend, dass man bei solchen Konzerten auch die Möglichkeit hat, sich mit den Leuten auszutauschen und die Meinung anderer zu der Musik aber auch zu der Tragweite des Inhalts zu erfahren.
Aber prallen da nicht auch Welten aufeinander, wenn so viele Menschen mit so unterschiedlichen Hintergründen daran beteiligt sind? Führt das nicht zu Schwierigkeiten?
Erik Sohn: Schwierigkeiten habe ich in dem Sinne noch nie erlebt. Ich glaube, dass auch alle Beteiligten dem Inhalt des Requiems entsprechend auf der hoffnungsvollen Seite stehen. Ansonsten wäre es auch schwer, so etwas auf die Bühne zu bringen. Ich denke, dass so was eher die Gelegenheit ist, diesen Austausch zu haben. Wenn es Diskussionen gibt, dann umso besser. Es ist doch auch wichtig zu merken, wie viele Gemeinsamkeiten man hat und wo es Übereinstimmung gibt.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Daniel Janz, 5. April 2018
für klassik-begeistert.de
Benjamin Brittens War-Requiem wird am 6. April in der Kölner Philharmonie aufgeführt. Darüber wird auf klassik-begeistert.de berichtet werden. Zusätzliche Aufführungen finden am 8. April in Wroclaw (Breslau) und am 10. April in Berlin statt. Die Aufführung in Berlin wird ferner live im Internet übertragen.