James Ross: „Man sollte die alte Queens Hall einfach wieder aufbauen“

Interview: Dirigent James Ross – Teil 2  klassik-begeistert.de, 15. Februar 2025

Foto: Kent Sinfonia with James Ross – Les Musicales de Redon concert France 2022 (c) Francis Poyal

Der Dirigent James Ross studierte Geschichte und Musik in Oxford und arbeitete seitdem mit Orchestern in aller Welt zusammen. Sein äußerst umfangreiches Repertoire von über 1.500 Werken reicht von Barock bis Boulez und umfasst Chor- wie Orchesterwerke und Opern. Im zweiten Teil unseres Interviews sprachen wir über künstlerische Kreativität, Shakespeare und natürlich über die viel diskutierten Pläne für das neue Londoner Konzerthaus.

Johannes Fischer im Gespräch mit James Ross – Teil 2

klassik-begeistert:  Herr Ross, wäre Vaughan Williams’ Musik besser in einer Kirchenakustik als im Konzertsaal aufgehoben?

James Ross: Manche Werke, wie zum Beispiel die Tallis-Fantasia, sicher schon, die ist ja auch für drei Streichergruppen geschrieben und hat seinen sehr besonderen, kontemplativen Charakter. Aber die Sinfonien sicherlich nicht, da würde man zum Beispiel beim Scherzo der fünften Sinfonie [summt eine rhythmisch sehr bewegte Melodie] die Hälfte verlieren. Diese Musik hat einen anständigen Konzertsaal verdient! Wobei auch nicht alle Säle immer ideal sind, da muss man ein bisschen nehmen, was man kriegt. Die meisten Musiker haben eben nicht immer die Wahl zwischen der Elbphilharmonie und dem Musikverein. Aber auch das gehört dazu, wie wir arbeiten und Musik aufführen.

klassik-begeistert: Gibt es einen für Vaughan Williams besonders geeigneten Konzertsaal?

James Ross: Nein, diese Musik spiele ich doch gerne immer und überall! Vielleicht würde „The Lark Ascending“, wo die Solo-Geige sehr viel einfach nur für sich spielt,  in einer sehr trockenen Akustik nicht sehr gut funktionieren. Aber ansonsten geht eigentlich alles.

klassik-begeistert: Wie gehen Sie mit der Akustik eines Saals um, wenn Sie dort zum ersten Mal spielen?

James Ross: In jedem neuen Saal versuche ich immer mir ein Konzert oder mindestens eine Probe anzuhören. Dann kann ich mir schonmal ein Bild machen, wie das akustisch alles funktioniert und wie meine musikalische Vision in die Realität dieses Saals passt. Das geht natürlich nicht immer, gerade auf Konzertreisen müssen wir uns mich manchmal mit einer kurzen Anspielprobe zufriedengeben, Dann muss ich sehr schnell arbeiten, hoffentlich auch mit einem Kollegen, der den Saal und die Akustik kennt. Wenn ich dann nur eine oder anderthalb Stunden habe, muss ich einfach genau wissen, welche Stellen ich unbedingt proben muss, damit das alles funktioniert.

klassik-begeistert: Gibt es irgendwelche besonders herausfordernden Säle?

Ion Pop and James Ross – Maramures Romania Foto privat

James Ross: In England haben wir einige künstlerische Mehrzweckzentren, wo ein einziger Saal für Sprechtheater, Filme und auch Konzerte konzipiert ist. Am Ende funktioniert sowas einfach für keine der Sparten, weil ein Konzert einfach eine ganz andere Akustik braucht als zum Beispiel Sprechtheater. Man kann nicht einfach einen Raum für alles bauen um ein bisschen Geld zu sparen. Dann kommt einfach was raus, womit einfach niemand zufrieden ist und am Ende reißt man das Ganze dann wieder ab. Für uns Musiker ist die Akustik dort oft zu trocken. Aber auch damit müssen wir einfach klarkommen, wir müssen mit dem Arbeiten, was wir kriegen.

Ausgerechnet in London gibt es leider seit den 1940er Jahren keinen wirklich erstklassigen Konzertsaal, das ist sehr frustrierend. Der aktuell beste Konzertsaal in London ist eigentlich das Watford Colosseum, wo zum Beispiel auch Herr der Ringe eingespielt wurde. Aber diesen Saal hat in der Klassikszene leider kaum jemand auf dem Schirm.

klassik-begeistert: Die Causa Londoner Konzertsaal war ja auch einer der Gründe, warum Rattle dann nach München gegangen ist. Gibt es eine Perspektive für einen guten Konzertsaal in der britischen Hauptstadt?

James Ross: Im Moment halt ich das für sehr unwahrscheinlich, da wird sich nix tun. Meiner Meinung nach sollte man einfach die alte Queens Hall wieder aufbauen. Da steht gerade ein hässlicher Nachkriegsbau mit Hotel, aber das wird man eh abreißen müssen, wenn der Beton verfällt. Das würde den Architektinnen zwar nicht gefallen, aber eigentlich sollte ein Konzertsaal auch in erster Linie für die Musik da sein und nicht für irgendwelche architektonischen Show-Off-Statements! Ehrlich gesagt halt ich die Idee eines neuen Konzertsaals neben dem Barbican Center ziemlich schwachsinnig, das ist die völlig falsche Lage. Meiner Meinung nach sollte ein Konzertsaal im Herzen der Stadt liegen, die Queens Hall ist gleich direkt neben der Oxford Street. Hamburg hatte eine ziemlich einmalige Gelegenheit, einen modernen, fantastischen Konzertsaal in Form der Elbphilharmonie zu bauen. Aber das haben wir in London einfach nicht.

klassik-begeistert: Haben Sie schonmal in der Elbphilharmonie gespielt?

James Ross: Nein, aber das steht defintiv auf meiner Wunschliste! Mir ist auch der Saal weniger wichtig als das Publikum. In einem prestigeträchtigen Saal haben die Hörer natürlich hohe Ansprüche, aber dann ist es auch einfacher, ihnen ein richtig gutes, besonderes Konzert zu geben.

klassik-begeistert: Aber gerade die Elbphilharmonie hat ja einen Ruf, viele Leute dort kämen nur für den Saal, einige sind schon mitten in Konzerten gegangen, weil ihnen die Musik egal ist. Wir würden Sie diesen Leuten ihre Musik kommunizieren?

James Ross: Die Liebe zur Orchestermusik ist nur einer der vielen Gründe, warum jemand ins Konzert geht. Das war schon immer so, auch zu Liszts oder Paganinis Zeiten kamen die Leute nicht nur für deren Musik. Sobald die Leute ihren Platz im Saal einnehmen, geht die Verantwortung an uns als Musiker, sie in die Welt dieser Musik zu bringen und sie für diese Kunst zu gewinnen. Ganz egal, ob’s eine Date-Night ist, ob man Business-Kontakte pflegt oder diese Musik als Ausgleich für den stressigen Alltag braucht: Wenn wir das richtige Programm in der richtigen Qualität spielen, dann werden die Leute den Saal nicht verlassen und die Musik lieben. Als Kind, da war ich vielleicht drei oder so, hörte ich beim Einschlafen Platten mit Smetanas Moldau. Ich hatte damals noch keine Ahnung von Musiktheorie und wie das alles funktioniert, aber die Musik sprach zu mir und ich habe sie schon damals geliebt. In meiner Schulzeit habe ich dann auch schon in recht guten Orchestern gespielt und es hat immerhin für Bruckner 7 gereicht. Das ist einfach eine andere Welt,  wenn man in einem solchen Adagio inmitten der Streicher sitzt.

James Ross Foto privat

klassik-begeistert: Was erwarten Sie von Ihrem Publikum? Stört es Sie, wenn zwischen den Sätzen geklatscht wird?

James Ross: Nicht unbedingt, ich erwarte nur, dass das Publikum sich irgendwie in einen musikrezeptiven Zustand versetzt und für sich bestmögliche aus der Musik rausholt! Da steckt einfach viel aufmerksame Probenarbeit dahinter und wir tun alles, um ihnen das bestmögliche Konzerterlebnis zu geben. Wenn die Leute beim Konzert auf ihrem Handy rumtippen, finde ich das ein bisschen respektlos, aber allgemein schätze ich es sehr, wenn sie aus Begeisterung eher mehr als weniger klatschen! Sowas kommt auch ein bisschen aufs Werk an. Wenn man zum Beispiel nach dem ersten Satz von Dvořák 8 klatscht, stört das ehrlich gesagt kaum. Bei Bruckner 9 ist das ein bisschen eine andere Geschichte, da sind die Leute nach dem ersten Satz hoffentlich nicht in Applausstimmung! Manchmal hat man auch ein bisschen das Gefühl, die Komponisten haben hier und da auch schon mit Applaus gerechnet. Also wenn nach dem ersten Satz im Mendelssohn-Violinkonzert die Leute anfangen zu klatschen, würde ich das Fagott einfach ein bisschen länger spielen lassen, dann passt das schon.

Es gibt natürlich auch Werke, wo dauernd an der „falschen Stelle“ geklatscht wird, zum Beispiel Tschaikowsky 5 oder 6. Da gehört der Applaus fast schon dazu! Speziell bei Tschaikowsky 6 wirkt die Musik fast noch mächtiger, wenn nach dem dritten Satz geklatscht wird und man sich dann direkt in das Finale stürzt. Es motzt ja auch niemand über das Wiener Neujahrskonzert-Geklatsche beim Radetzky-Marsch.

klassik-begeistert: Herr Ross, vielen Dank für das Interview!

Johannes Fischer, 15. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

London Symphony Orchestra, Alison Balsom,Trompete, Sir Antonio Pappano, Dirigent Köln, Philharmonie, 23. April 2024

Carte blanche Nr. 1, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Sendesaal Bremen, 15. März 2024

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