Foto: Nikolaj Lund /adamfischer.at
Seit einem halben Jahrhundert gehört der ungarische Dirigent Ádám Fischer zur Weltspitze seines Fachs. Mit seinen gefeierten Opern- wie Konzertdirigaten war er bereits an allen wichtigen Häusern der Welt zu Gast, darunter bei den Bayreuther Festspielen, an der Mailänder Scala und an der Wiener Staatsoper, wo er seit 2017 Ehrenmitglied ist.
Im ersten Teil unseres Interviews spricht er über Mozart-Raritäten und die Kunst, im Operngraben die richtige Lautstärke zu finden. Auch für das Philharmonische Staatsorchester findet er viele lobende Worte.
Johannes Karl Fischer im Interview mit Ádám Fischer – Teil 1
klassik-begeistert: Lieber Herr Fischer, Sie dirigieren hier in Hamburg am Sonntag, 28. April 2024, die Premiere von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper La clemenza di Tito. Wie läuft die Probenarbeit und worauf können wir uns besonders freuen?
Ádám Fischer: Bei jeder Neuproduktion ist die Probenarbeit aufregend, sie ist immer voller Hoffnung, kleinen Enttäuschungen und am Ende doch viel Freude, das gehört alles einfach dazu. Und nach der Premiere ist man dann erlöst. Ich glaube, dass wir eine sehr gute und sehr fertige Produktion anbieten können. Titus an sich ist eine schöne wie große Herausforderung für uns alle, aber ich hoffe, dass wir da das maximale erreichen können.
klassik-begeistert: Sie dirigieren an diesem Haus jetzt die dritte Mozart-Neuproduktion in Folge. Was ist das Besondere, an der Staatsoper Hamburg Mozart zu dirigieren?
Ádám Fischer: Ich hatte mit dem Direktor vereinbart, dass ich eine Serie von einem Komponisten machen würde. Mozart ist natürlich ein Hausgott, aber es hätte auch ein anderer Komponist sein können. Es ist mir sehr wichtig, dass wir auf die Erfahrung der vorherigen Produktionen bauen können. Ich kenne das Orchester, ich kenne den Chor, ich weiß, was dort möglich ist, und ich kann auf die Erfahrung der vorherigen zwei Produktionen bauen.
klassik-begeistert: In der nächsten Spielzeit machen Sie ja auch Mitridate, Re di Ponto. Kommt da noch ein weiterer Mozart-Zyklus?
Ádám Fischer: Mitridate nächstes Jahr ist für mich natürlich etwas sehr Wichtiges, es ist ein Versuch, diese Oper neu zu präsentieren. Mozarts Opera seria – Opere serie in der Mehrzahl – sind weniger populär als Don Giovanni, Le nozze di Figaro, Così fan tutte, oder auch die deutschen Opern wie die Entführung aus dem Serail oder die Zauberflöte. Aber Titus ist ein derartiges Meisterwerk und steht für mich – besonders jetzt, wo ich in der Oper drin bin – den bekannteren Mozart-Opern um nichts nach.
Das erfordert eine konzentrierte und fantasievolle Interpretation, damit das Publikum das auch merkt. Es klingt vielleicht falsch, aber bei Titus muss ich mir noch viel mehr Gedanken machen, wie ich eine Phrase präsentiere, damit die Wirkung, die ich erreichen möchte, da ist.
klassik-begeistert: Die Zauberflöte gehört zu den meistgespielten Opern der Welt und auch die da Ponte Opern stehen sehr häufig auf dem Spielplan. Aber schon La clemenza di Tito ist ja deutlich weniger bekannt. Woran liegt das?
Ádám Fischer: Das ist eine andere Gattung. Die Opera seria [Anm.: Zu der La clemenza di Tito und Mitridate, Re di Ponto gehören] ist eine ganz andere Art von Musik als die Zauberflöte oder Don Giovanni. Da ist die Abfolge der Musiknummern anders, die Figuren sind anders und auch die Handlung besteht nicht aus einer theatralischen Geschichte, sondern aus einzelnen Augenblicken. Das entspricht halt weniger den Erwartungen des heutigen Publikums. Aber es ist unsere Aufgabe, diese Erwartungen zu steigern.
Ich habe auch schon ein paar Mal Lucio Silla und Ascanio in Alba dirigiert, die noch seltener als Mozarts andere Opere serie gespielt werden, und ich bin seit vielen Jahr dafür, dass man Mozarts Opere serie – also wortwörtlich die ernsten Opern — wieder entdeckt. Deshalb ist diese Mitridate-Produktion nächstes Jahr für mich so besonders. Wenn wir die richtige Form finden, wird das Publikum das Stück verstehen, und dann kriegt die Oper den Erfolg, den sie verdient.
klassik-begeistert: Das hoffen wir sehr. Es gibt ja noch viele andere Mozart-Opern, die so gut wie gar nicht gespielt werden, würden Sie die auch noch machen wollen?
Ádám Fischer: Also für Mozart bin ich zu jeder Schandtat bereit! Ich bin in der – sagen wir mal luxuriösen – Position, das wollen zu können, was ich will, und ich habe diese Musik sehr gerne. Aber wie man eine Produktion in einem Spielplan unterbringt, wie ein Stück sich verkauft, wann die Sänger alle Zeit haben, das sind Dinge, um die ich mich Gott sei Dank nicht kümmern muss. Es hängt also nicht von mir ab.
Ich wäre bereit, so lange ich lebe, immer wieder Mozart-Opern zu machen. Aber ob sich das verwirklichen lässt, kann ich nicht sagen. Das ist nicht meine Sache.
klassik-begeistert: Was ist das Besondere an Mozart speziell?
Ádám Fischer: Das kann ich nicht so genau sagen… Ich habe 30 Jahre lang ein Haydn-Festival in Eisenstadt geführt, da war Haydn der größte Komponist und dann habe ich ein eigenes Wagner-Festival in Budapest, dort ist Wagner der größte Mann. Es ist erstmal sehr aufregend für mich als Künstler, mich so eingehend mit dem Werk eines einzelnen Komponisten zu beschäftigen. Da entdecke ich auch nach vielen Jahren immer wieder Neues, das ist eine großartige Erfahrung. Aber meine Liebe zur Oper als Gattung hängt auch mit Mozart zusammen. Mit 12 Jahren habe ich den dritten Knaben in der Zauberflöte gesungen, seitdem bin ich dem Theater verfallen und seitdem bin ich Mozart verfallen.
klassik-begeistert: Das freut uns sehr. Stichwort Wagner-Festival: Mozart und Wagner sind ja musikalisch erstmal nicht so nah beinander…
Ádám Fischer: …also das ist eine andere Zeit, ein anderer Stil, aber man kann auch Goethe und Shakespeare nicht vergleichen.
klassik-begeistert: Genau. Aber Sie haben an der Wiener Staatsoper 2002 eine Produktion von Le nozze di Figaro dirigiert, wo u.a. Ricarda Merbeth die Contessa und Michael Volle den Conte gesungen haben. Mit beiden haben Sie jetzt hier den Holländer gemacht…
Ádám Fischer: Ach so, ja, das stimmt…
klassik-begeistert: Kann man so eine Entwicklung ahnen, gibt es da eine Kontinuität?
Ádám Fischer: Bei den Sängern ist die musikalische Vorliebe fast ein Luxus, die haben einfach eine natürliche Entwicklung der Stimme. Es gibt Jahre, wo man noch eine leichtere Stimme hat und Mozart singen kann, Wagner aber noch nicht. Und dann gibt es vielleicht auch eine Zeit, wo man Wagner singen kann und Mozart halt nicht mehr. Deshalb sind wir als Dirigenten deutlich besser dran, weil wir machen können, was uns Spaß macht, und uns nicht auf den Stil, den die Stimme halt gerade hergibt, konzentrieren müssen. Michael Volle hat sich so richtig reingelegt in Wagner. Es wäre eine interessante Frage, ob er in seiner Mußestunde Mozart hört, das weiß ich nicht.
klassik-begeistert: Aber es gibt auch immer wieder Sänger, die machen beides, die ganzen Wagner-Bässe singen eigentlich fast alle noch Sarastro.
Ádám Fischer: Ja, aber das ist wieder eine ganz andere Sache. Die Musik damals wurde für eine andere Zeit geschrieben, jetzt sind die Theater größer und die Orchester mit ihren heutigen Instrumenten viel lauter, da braucht man größere Stimmen. Ich glaube, dass ein Sänger nie schwach singt, sondern nur das Orchester zu laut spielt. Es ist unsere Aufgabe, jemanden zu begleiten, das ist mit den größeren Opernhäusern nicht so leicht. Und es stimmt überhaupt nicht, dass man für Wagner eine so riesige Stimme braucht, nur Durchhaltevermögen. Bei Tristan oder Gurnemanz, da muss man einfach stundenlang singen können.
klassik-begeistert: Bei der Lautstärke des Orchesters spielt ja an vielen Häusern – wie auch hier in Hamburg – der höhenverstellbare Graben eine Rolle. Warum ist der Graben manchmal höher und manchmal tiefer und was für einen Einfluss hat das auf das Musizieren?
Ádám Fischer: Ich habe es viel lieber, wenn der Graben oben ist, dann können die Musiker viel besser kammermusikalisch mit den Sängern interagieren. Dann hören die Sänger die einzelnen Instrumente und die Instrumente hören die Sänger. Im 18. Jahrhundert wäre es undenkbar gewesen, das Orchester so zu versenken. Das kam mit den großen Orchestern der Romantik und vor allem mit Wagner, der bekanntermaßen in Bayreuth den überdeckten Orchestergraben hat bauen lassen.
Meine Erfahrung ist, dass es eine Falle für Dirigenten und Intendanten ist, wenn sie sagen, das Orchester müsse tiefer sitzen, weil es zu laut ist. Weil dann spielen die Musiker auch automatisch lauter. So richtig schön leise können die Musiker spielen, wenn der Graben oben ist, das ist jetzt meine Überzeugung. Und das Hamburger Orchester [Anm.: Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg] hat glaube ich verstanden, was ich mit dem leise spielen meine. Sie können auf jeden Fall sehr schön leise spielen.
klassik-begeistert: Wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.
Johannes Karl Fischer, 225. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Liebe Leserinnen und Leser, Teil 2. des Interviews mit Ádám Fischer können Sie morgen, am Samstag, 26. April 2024 hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at lesen.
Gaetano Donizetti, Don Pasquale Staatsoper Hamburg, 23. April 2024