Adam Palma: „Ich gebe hundert und ein Prozent von mir”

Interview: KB im Gespräch mit dem Bass Adam Palka  klassik-begeistert.de, 28. November 2024


Jolanta Łada-Zielke im Gespräch mit dem polnischen Bass Adam Palka, der gerade als Graf Walter in der Wiederaufnahme von Verdis Luisa Miller an der Staatsoper Hamburg unter der Leitung von Lorenzo Passerini auftritt.

klassik-begeistert: Sie sind dem Publikum als Mephisto bekannt geworden, indem Sie die Arie Son lo spirito che nega aus der Oper Mefistofele von Arrigo Boito gesungen haben, von der es eine Aufnahme auf YouTube gibt. Haben Sie keine Angst, dass man Sie deswegen in eine Schublade stecken wird?

Adam Palka: Eine solche Gefahr sehe ich nicht, da mein Terminkalender auch mit anderen Rollen gefüllt ist. Aber die Rolle des Mephisto ist mir ganz nah. In ihr habe ich in Gounods Faust in Stuttgart in einer Inszenierung von Frank Castorf debütiert. Als die Wiener Staatsoper diese Produktion übernahm, war ich darin der einzige aus der Stuttgarter Besetzung. Später sang ich den Mephisto in Madrid, unter der Regie von Àlex Ollé, und in London als Cover für Ildebrando D’Arcangelo.
Ich würde diese Figur mit Don Giovanni vergleichen, denn er ist intelligent genug, und kann sich mit jeder Person, mit der er zu tun hat, unterhalten.

Don Giovanni redet anders mit der Aristokratin Donna Anna als mit Zerlina, und Mephisto benimmt sich ganz anders zu Faust als zu Valentin und noch anders zu Margarete. Dies ermöglicht mir, mit der Stimme und dem Schauspiel, eine ganze Palette von Farben dieses Charakters zu zeigen.

Übrigens ist bei Gounod jede Nummer ein Hit. Den Mephisto in Arrigo Boitos Oper werde ich erst in der nächsten Saison in Prag zum ersten Mal singen. Eigentlich sollte ich in dieser Rolle in Stuttgart debütieren, aber der Ausbruch der Pandemie hat diese Pläne durchkreuzt. Bei der Vorbereitung habe ich die Arie Son lo spirito che nega in mein Solorepertoire aufgenommen.

klassik-begeistert: Sie haben auch Boris Godunow gesungen. Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine gaben viele Theater das russische Repertoire auf oder ersetzten es durch das ukrainische. Haben Sie das auch erlebt?

Adam Palka: Ja, weil man die Neuinszenierung von Boris Godunow im Teatr Wielki in Warschau wegen des Krieges abgesagt hat. Ich war enttäuscht, weil ich dort die Titelrolle singen sollte, außerdem habe ich nur selten die Gelegenheit, in Polen aufzutreten. Einerseits verstehe ich ukrainische Künstler, die alles Russische meiden. Deshalb habe ich die Bitte einer ukrainischen Pianistin erfüllt, die mich während eines Liederabends begleitete, und die Arie des Königs René aus der Oper Iolanta durch ein anderes Stück ersetzt.

Andererseits finde ich das nicht gut, russische Musik aus dem Repertoire zu streichen; denn was haben Tschaikowsky oder Mussorgsky mit der aktuellen Situation zu tun? Ich singe gerne auf Russisch, weil es eine sehr melodiöse Sprache und leichter auszusprechen als Polnisch ist. Und die russische Musik ist nicht nur reich an fantastischen Opern, sondern auch an Liederzyklen, sowie an symphonischen Werken.

Adam Palka als Boris Godunow in Teatro alla Scala, Foto: Privatarchiv des Sängers

klassik-begeistert: Die Russen nennen manche ihre Stücke „duszeszczypatielnyje“ – „herzergreifend“.

Adam Palka: Ich würde diesen Begriff nicht ausschließlich auf russische Musik beziehen, denn die Werke italienischer oder französischer Komponisten können ebenso „herzergreifend“ sein. Was polnische, mit Russland verbundene Komponisten betrifft, so hatte ich die Gelegenheit, in Mieczysław Weinbergs Passagierin unter der Regie von David Pountney aufzutreten. Dort sang ich die Rolle eines der SS-Männer, die den Häftling Tadeusz zwingen, für sie Geige zu spielen, und er führt Bachs Chaconne auf.

Es war eine sehr schöne und bewegende Szene, wie auch die gesamte Aufführung. Bald erfülle ich einen meiner größten Träume und singe den Pimen. Auf meiner Liste stehen auch Kontschak in Fürst Igor und Dosifei in Chowanschtschina, und längerfristig Chowanski selbst.

klassik-begeistert: Welche Rollen aus dem Bereich der westlichen Opernmusik finden Sie interessant?

Adam Palka: Eine davon ist für mich der Graf Walter, den ich gerade in der Luisa Miller in Hamburg singe. Auch er ist eine diabolische und typisch verdianische Figur; ein Vater, der bereit ist, für das Glück seines Sohnes bis zum Äußersten zu gehen. Gemeinsam mit George Gagnidze, der den Vater der Luisa spielt, versuchen wir, den Unterschied zwischen diesen beiden Elternteilen so suggestiv wie möglich zu zeigen.

Nach meiner Mitwirkung in der Hamburger Inszenierung kehre ich nach Stuttgart zurück, um dort den Sarastro zu singen, wovor ich mich wegen der Farbe meiner Stimme lange gescheut habe. Jetzt bin ich so weit, denn in den letzten Jahren wurde meine Stimme tiefer und dunkler. Deshalb musste ich mich auch von der Partie des Figaros verabschieden, die ich früher häufig gesungen habe.

In der nächsten Saison werde ich auch meinen ersten Zacharias singen, wovon ich träume, seit ich den hervorragenden Rafał Siwek in dieser Rolle gehört habe. Später werde ich als Timur in Turandot in London auftreten. Diese Oper gefällt mir wegen ihrer wunderbaren Musik sehr gut. Sie ist ein extrem schwieriges Werk für Sopran und Tenor, und wenn man in ihr singt, hat man in den besten Theatern die Möglichkeit, die Bühne mit den hervorragenden Künstlern der Welt zu teilen.

Ich singe auch Basspartien in Oratorien, zum Beispiel in Verdis Requiem, in der Neunten Symphonie und in Missa solemnis von Beethoven. Passionen hingegen führe ich nicht auf, weil meiner Stimme die für Koloraturen erforderliche Leichtigkeit fehlt. Außerdem plane ich, in Schostakowitschs prachtvoller 13. Sinfonie Babij Yar für Bass und Chor aufzutreten.

Adam Palka als Timur in Gran Teatre del Liceu – Barcelona, Foto: Privatarchiv des Sängers

klassik-begeistert: Es gibt die Meinung, dass das Mundverzerren das Singen bei tiefen Stimmen unterstützt, wie es Ihr ausgezeichneter Kollege Günther Groissböck praktiziert. Aber andere Bässe, die ich kenne, darunter auch Sie, öffnen den Mund senkrecht beim Singen.

Adam Palka: Ich glaube nicht, dass das Mundverzerren hier die Regel ist, aber ich will auch Günther nicht kritisieren, der seinen individuellen Weg gefunden hat. Es ist jedoch nicht gut, wenn das Publikum nur auf seine Mimik achtet und nicht darauf, was und wie er singt. Mich interessiert es nicht, wie er seinen Kiefer bewegt, wenn er dabei schöne Töne erzeugt. Ich will jedoch einen Charakter auf der Bühne sehen, nicht einen Sänger, der die Lippen krümmt.

klassik-begeistert: Was erwarten Sie von Opernregisseuren?

Adam Palka: Ich bevorzuge es, wenn sie einen bestimmten Rahmen für eine Figur vorgeben, mir aber die Freiheit zur Interpretation lassen. Der eine stellt sich Mephistopheles als galant vor, ein anderer möchte ihn lieber „animalisch“ haben. Das reicht mir aus, um in Ruhe über die Rolle nachzudenken und bei der nächsten Probe eine Lösung vorzuschlagen.

Frank Castorf hat uns bei dem Faust viele Freiheiten gelassen. Einmal hat er offen zugegeben, dass die Idee des Kollegen, der die Rolle des Valentin sang, viel besser war als seine eigene, und er hat das Konzept des ganzen Trios dramatisch verändert. Nicht viele Regisseure sind zu so etwas fähig.

Andererseits fühle ich mich unwohl, wenn ein Regisseur jede Geste vorgibt; dann habe ich das Gefühl, dass die Figur, die ich spiele, nicht „meine“ ist.

Ich versuche immer, „hundert Prozent und ein bisschen mehr“ zu geben, wie es der polnische Regisseur Marek Weiss ausdrückte, mit dem ich auch arbeitete. Er pflegte zu sagen, dass er nur dieses „ein Prozent mehr“ verlangt und benutzte einen bildlichen Vergleich: Ein Flugzeug ist bis zu einem gewissen Punkt nur ein Bus, und wenn es dieses „ein Prozent“ bekommt, beginnt es zu steigen.

Ich erinnere mich sehr gerne an die Zusammenarbeit mit Marek Weiss an der Opera Bałtycka. Er war derjenige, der mir die praktische, szenische Seite des Berufs beigebracht hat.

Juan Diego Flórez (Faust), Nicole Car (Marguerite) und Adam Palka als Mephisto an der Staatsoper Wien, Foto: Privatarchiv des Sängers

klassik-begeistert: Welche anderen wertvollen Mentoren haben Sie auf Ihrem künstlerischen Weg kennengelernt?

Adam Palka: In erster Linie meinen Gesangsprofessor Florian Skulski, der den Sinn für Unabhängigkeit bei seinen Studenten förderte. Mein Schauspielprofessor Grzegorz Chrapkiewicz machte mir klar, dass es in der Oper nicht nur Noten, sondern auch einen Text gibt, den man ausdrücken soll. Viel zu verdanken habe ich ebenfalls Francisco Araiza, der mich überredete, meine Ausbildung am Opernstudio in Zürich fortzusetzen, wo er einer der Vocal-Couchs war. Damals gab ich mein Debüt am Teatr Wielki und war gleichzeitig Assistent von Professor Skulski.

Meine Bekannten waren überrascht, dass ich mich entschloss, eine vielversprechende Karriere in Polen aufzugeben und doch wieder zur „Schule“ zu gehen. Ich habe mich für diese Möglichkeit entschieden, weiter zu lernen, und ich glaube, es war die richtige Entscheidung. Francisco Araiza arbeitete mit uns ein ganzes Jahr lang, eine Woche pro Monat, vor allem an der Technik: Atmung, Stellung der Stimme, Körperbewusstsein.

Der Unterricht bei ihm hat mir mehr gebracht als die üblichen einwöchigen Meisterkurse, bei denen die Lehrer aus Zeitmangel nur auf die Interpretation eingehen.

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!

Jolanta Łada-Zielke, 29. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

In Wałbrzych geboren, absolvierte Adam Palka das Gesangstudium an der Musikhochschule in Gdańsk und setzte seine Ausbildung am Opernstudio des Opernhauses Zürich fort. Er ist Preisträger des 2. Preises beim Stanisław-Moniuszko-Gesangswettbewerb und wurde mit dem Titel Kammersänger Baden Würtembergs ausgezeichnet. Bisher sang er unter anderem Boris in Boris Godunov, Commendatore und Leporello in Don Giovanni, Mephistopheles in Faust, Timur in Turandot, Fafner in Das Rheingold, Wassermann in Rusalka, Filippo in Don Carlos, Raimondo in Lucia di Lammermoor, Graf Walter in Luisa Miller, Colline in La Bohème, Don Basilio in Il barbiere di Siviglia und Gremin in Eugen Onegin. Er trat bereits in Deutschland (in Stuttgart, Berlin, München, Düsseldorf und Hamburg), in Italien am Teatro alla Scala und Teatro Massimo di Palermo sowie am Grand Théâtre de Genève, am Royal Opera House, am Teatro Real Madrid, an der Opéra national de Paris und am Gran Teatre del Liceu auf.

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