Hubert Kowalczyk: „Auf der Bühne kann man sich innerlich beschmutzen“

Interview: Der polnische Bass Hubert Kowalczyk  klassik-begeistert.de, 21. November 2024

Hubert Kowalczyk © Natalia Jansen

Jolanta Łada-Zielke im Gespräch mit dem polnischen Bass Hubert Kowalczyk

klassik-begeistert: Was waren Ihre musikalischen Anfänge?

Hubert Kowalczyk: Ich habe mit sechs Jahren mit Klavierunterricht angefangen und später eine Episode mit dem Akkordeon gehabt. Nach dem Stimmbruch, der bei mir überraschend früh eintrat, nahm ich Gesangsunterricht. Zunächst beschäftigte ich mich mit populärer Musik, hauptsächlich mit Liedern, aber mein erster Gesangslehrer behauptete, dass meine Stimme für dieses Repertoire zu schwer sei und riet mir, mit klassischer Musik zu versuchen. Zunächst betrachtete ich das Singen als ein Hobby. Doch dank meines Schauspiellehrers an der Musikschule begann ich mich ernsthaft für Theater und Oper zu interessieren.

klassik-begeistert: Sie haben also bewusst Ihr Studienfach gewählt?

Hubert Kowalczyk: Ja, an der Musikhochschule in Berlin. Ich konnte auch in Danzig oder Lodz studieren, aber unter dem Einfluss meiner Familie habe ich mich für ein Studium im Ausland entschieden. Berlin ist ein starkes Opernzentrum, es gibt dort drei Theater dieser Art. Im zweiten Studienjahr bewarb ich mich an der Opernakademie am Teatr Wielki in Warschau, um mit der polnischen Bühne in Kontakt zu kommen. Dort traf ich wertvolle Menschen, die mir halfen, mich künstlerisch zu entwickeln. Viele Kolleginnen und Kollegen haben mich inspiriert. Drei Jahre lang pendelte ich zwischen Warschau und Berlin, sowie zwischen Pisa und Livorno, wo ich im Rahmen des Erasmus-Programms studierte. Ich war viel unterwegs und zu dieser Zeit entstanden viele Kontakte, die ich heute noch pflege.

klassik-begeistert: Welche wertvollen Erfahrungen haben Sie an jedem dieser Orte gemacht?

Hubert Kowalczyk: Erstens, habe ich meine Fremdsprachenkenntnisse verbessert, was die Vorbereitung jeder Rolle viel einfacher macht. Wenn man sich mit einer Sprache im alltägliche Leben in einem Land vertraut macht, wirkt das effektiver als sie in Kursen zu lernen. Darüber hinaus habe ich in Italien kulinarische Kenntnisse erworben.

Das Studium in Deutschland überbrückt die kulturelle Kluft zwischen Menschen aus Mittel- und Osteuropa und dem westlichen Arbeitsmarkt. Das war auch bei mir der Fall. Während drei Jahren an der Opernakademie in Warschau habe ich eine Art Feinschliff der slawischen Musikalität bekommen, die sich ein wenig von der deutschen Musikalität unterscheidet.

Ich möchte die beiden Welten nicht miteinander vergleichen oder sie gegenüberstellen. Ich denke, sie können voneinander profitieren und sich gegenseitig ergänzen. Wahrscheinlich hätte mein Lebenslauf anders ausgesehen, wenn ich meinen Bachelor in Polen gemacht hätte und für den Master nach Deutschland gegangen wäre.

Hubert Kowalczyk als Haly in Rossinis L’Italiana in Algeri bei den Bregenzer Festspielen © Emil Roijer

klassik-begeistert: Mit welchen Bass-Rollen identifizieren Sie sich am meisten?

Hubert Kowalczyk: Die Liste der Rollen, die ich gerne singen würde, ist lang und es geht nicht nur um die musikalische Seite, sondern auch um die dramatische. Einer der Gründe, warum ich diesen Beruf gewählt habe, ist, dass man sich auf der Bühne „innerlich beschmutzen“ und eine gewisse emotionale Diapason (Spanne) erfahren kann, die man im Alltag normalerweise nicht erlebt. Egal, welche Werte wir privat vertreten, die Bühne ermöglicht es uns, über sie und unsere eigenen Grenzen hinauszugehen. Ich liebe Rollen, die möglichst wenig mit mir als Person zu tun haben. Es faszinieren mich die Charaktere, die sich in moralischen Dilemmas befinden, und zu Schurken werden, wenn die Gesellschaft sie ablehnt. Die Beispiele dafür sind John Claggart in Billy Budd, Mephisto in Faust oder Wagner-Rollen, die ich aus dramaturgischer Sicht sehr interessant finde.

Im Leben eines jeden Basses gibt es auch Rollen, die die Meilensteine in seiner Karriere sein können. Für mich war das mein Debüt in Hamburg vor zwei Jahren als Colline in La Bohème. Jetzt spiele ich Kuno im Freischütz, obwohl es eine eher gesprochene Rolle ist.

Die Leitung der Staatsoper Hamburg hat sie mir anvertraut, was ich als eine Auszeichnung empfinde. Diese ergibt sich daraus, dass ich seit mehr als zehn Jahren in Deutschland wohne und am künstlerischen Leben hier teilnehme. In diesem Jahr singe ich in Hamburg noch Sarastro, Sparafucile und Ferrando. Als Sarastro in einem berühmten deutschen Theater zu debütieren, ist für einen jungen Bass eine gewisse Beförderung und öffnet ihm den Weg zu anderen Bühnen.

Im September sang ich den Truffaldino in einer Neuproduktion von Ariadne auf Naxos in Zürich. Die laufende Spielzeit schliesse ich mit meinem Wagner-Debüt als Fasolt in Basel ab. In ein paar Jahren sehe ich mich als Leporello und Banco. Langfristig möchte ich mich mit dem Wagner-Repertoire verbinden, da dort das dramatische Element stärker im Vordergrund steht.

klassik-begeistert: Stimmen Sie dem zu, was Richard Wagner in Oper und Drama über „Der Freischütz“ schrieb: „Weber erfüllt von unbeugsamem Glauben an die charakteristische Reinheit seiner einen und unteilbaren Melodie, knechtete sich den Dichter mit dogmatischer Grausamkeit und zwang ihn, den Scheiterhaufen selbst aufzurichten, auf dem der Unglückliche, zur Nahrung des Feuers der Weberschen Melodie, sich zu Asche verbrennen lassen sollte. Der Dichter des »Freischützen« war noch ganz ohne es zu wissen zu dieser Selbstmorde gekommen: aus seiner eigenen Asche heraus protestierte er, als die Wärme des Weberschen Feuers noch die Luft erfüllte, und behauptete, diese Wärme rühre von ihm her – er irrte sich gründlich; seine hölzernen Scheite gaben nur Wärme, als sie verrichtet – verbrannt waren: einzig ihre Asche, den prosaischen Dialog, kannte er nach dem Brande noch als sein Eigentum ausgeben“?

Hubert Kowalczyk: Ich denke, Freischütz ist eine interessante Oper wegen seines dramatischen Stoffs. Es wundert mich nicht, dass Wagner es so formuliert hat, denn gewissermaßen hat Weber die Dramaturgie des Librettos zugunsten der musikalischen Ebene geopfert. Ich stimme Wagners Aussage zu, obwohl ich denke, dass sich Weber durch bestimmte Konventionen der Epochen oder damalige Ausdrucksmittel etwas eingeschränkt fühlte. Jedenfalls war er als Komponist seiner Zeit voraus, auch wenn er gezwungen war, sein Werk – sozusagen – in ein frühromantisches Kostüm zu „kleiden“.

Hubert Kowalczyk, William Desbiens und Chor der Hamburgischen Staatsoper im der Neuproduktion von Webers Freischütz © Brinkhoff/Mögenburg

klassik-begeistert: Treten Sie oft in Polen auf?

Hubert Kowalczyk: Dies tue ich gelegentlich. Vor zwei Jahren habe ich während Opera Rara Festival in Krakau an einer Bühnenaufführung von zwei Bach-Kantaten teilgenommen. Im Moment konzentriere ich mich auf den westeuropäischen Markt. Es würde mir jedoch eine große Freude bereiten, in meiner Heimat wieder singen zu können. Leider ist der polnische Markt klein und hermetisch. Man plannt dort jede künstlerische Saison viel kurzfristiger als im Westen. Während man in Deutschland der Veranstaltungskalender für mindestens drei Spielzeiten im Voraus festlegt, ist es in Polen meist ein Jahr oder sogar mehrere Monate im Voraus. Das macht es sowohl für mich als auch für meine Agenten sehr schwierig, etwas gemeinsam mit einer polnischen Institution zu organisieren. Aber ich bin guten Mutes und hoffe, dass sich das in Zukunft ändern wird.

Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!

Jolanta Łada-Zielke, 21. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Der Bass Hubert Kowalczyk absolvierte sein Gesangsstudium an der Hanns Eisler Hochschule für Musik in Berlin bei Prof. Martin Bruns und Prof. Michail Lanskoi. Er setzte seine Ausbildung an der Opernakademie von Teatr Wielki in Warschau fort, wo er bei Eytan Pessen und Olga Pasiecznik studierte. Zu seinen bisherigen Rollen zählen Zuniga an der Staatsoper Berlin unter Bertrand de Billy, Nourabad in Bizets Perlenfischern in Zürich, Collatinus in einer konzertanten Aufführung von Brittens The Rape of Lucretia mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Robin Ticciati, und Haly in Rossinis L’Italiana in Algeri bei den Bregenzer Festspielen. Noch während seines Studiums trat Kowalczyk das Internationale Opernstudio an der Staatsoper Hamburg ein und sang dort Partien wie Alcindoro, Pistola und Montano. Seit 2021 ist er Mitglied des Solistenensembles der Staatsoper Hamburg, wo er bisher als Bartolo, Colline, Crespel, Oroveso und Zuniga unter der Leitung von Giampaolo Bisanti, Daniele Callegari, Kent Nagano und anderen Dirigenten aufgetreten ist. Derzeit spielt er dort Kuno im Webers Freischütz in der Andreas Kriegenburgs Produktion und unter der Leitung von Yoel Gamzou, dessen Premiere am 17. November 2024 stattgefunden hat.

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