Tobias Kratzer: „Es interessiert mich mehr, neue Werke zu kreieren, als bestehende Werke zu dekonstruieren“ – Teil 2

Interview: kb im Gespräch mit Tobias Kratzer, Teil II  Hamburgische Staatsoper, 4. Juli 2025

Tobias Kratzer bei der Vorstellung der neuen Saison 25/26; Foto Patrik Klein

Klassik-begeistert im Interview mit Tobias Kratzer, dem künftigen Intendanten der Staatsoper Hamburg, zum Thema Werkbegriff im Orchester und der Oper, Teil II

Tobias Kratzer übernimmt ab der Saison 2025/26 die Intendanz der Staatsoper Hamburg. Bereits während der Probenarbeiten zu dem Saisoneröffnungsstück „Das Paradies und die Peri“ von Robert Schumann, welches im September die neue Saison eröffnen wird, hatten der Herausgeber von klassik-begeistert Andreas Schmidt und die Autoren Jörn Schmidt und Patrik Klein die Gelegenheit, ein paar Fragen an Herrn Kratzer zu stellen.

klassik-begeistert:  Hier haben wir wenig positive Resonanz in unserem Umfeld registriert zu der Idee von Ihrem von der Stadt Hamburg bestimmten GMD, in einem großen klassischen Werk einen Satz auszuklammern und von einem zeitgenössischen Komponisten ersetzen zu lassen: Ein Werk nicht mehr ganz zu spielen, also in Beethovens Klavierkonzert einfach mal den Mittelsatz austauschen. War das Ihre Idee, oder gab es das schon mal?

Tobias Kratzer: Also da bin ich der falsche Ansprechpartner. Omer Meir Wellber verantwortet als künstlerischer Leiter des Philharmonischen Staatsorchester vollständig die Programmatik des Konzertprogramms. Natürlich sprechen wir miteinander darüber, aber er hat in seinem Bereich die künstlerische Verantwortung.

Tobias Kratzer und Omer Meir Wellber; Foto Patrik Klein

klassik-begeistert: Dann würde ich die Frage gerne erweitern und sie auf Ihren Kompetenzbereich fokussieren. Würden Sie vielleicht auch im Musiktheaterbetrieb so weit gehen und Teile von einer traditionellen Aufführung, sagen wir von Wagner, Strauss oder Mozart, einen Akt herausnehmen und diesen durch einen kontemporären Komponisten ersetzen? Könnten Sie sich so etwas vorstellen?

Tobias Kratzer:  Also ich glaube, dass das im Konzertprogramm eine klare und programmatische Aussage ist, die in der Vielfalt ihrer Möglichkeiten sehr spannend ist. Nicht nur als einmaliges Experiment, sondern als konsequente Serie über die gesamte Saison. Ich glaube, so etwas hat noch niemand probiert.

Da schaue ich dann als neugieriger Zuschauer und Zuhörer gerne drauf. Aber in der Oper programmiere ich keine Serien, sondern eine geschickt kuratierte Zusammenstellung von Einzelprojekten. Deswegen finde ich eine kategorische Aussage dazu auch falsch, denn eine solche Entscheidung fälle ja nicht ich generell, sondern das künstlerische Team immer in der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Einzelwerk.

Persönlich bin ich jemand, der sehr stark innerhalb einer Form denkt. Für mich entfaltet sich meine Freiheit als Regisseur stärker innerhalb einer geschlossenen Form. Aber das ist nur meine persönliche Neigung beim Inszenieren.

Wenn es jedoch einem Regieteam geboten scheint, Eingriffe in die Werkstruktur vorzunehmen, ich halte das für künstlerisch nachvollziehbar und die musikalische Leitung trägt das mit, dann ist das natürlich möglich! Es gibt ja keinen Zwang zum integralen Werk.

Sie können das ja auch dem Programm ablesen, das wir machen. Allerdings dekonstruieren wir da nichts, sondern versuchen – im Gegenteil – eine Rekombination von Werken. Ich selbst mache das bei dem Abend „Frauenliebe und -sterben“, bei dem drei Meisterwerke nebeneinander gestellt werden und sich so auch musikalisch neu beleuchten. Ich habe einmal in Berlin dem „Zwerg“ von Zemlinsky ein Orchesterstück von Schönberg vorangestellt. Man hörte beide Komponisten dadurch neu und anders.

Und bei „Die große Stille“ werden Omer Meir Wellber und der Regisseur Christopher Rüping einen ganzen Abend aus unbekannteren Stücken von Mozart zusammensetzen und den Komponisten so neu entdecken. Es muss also schon eine künstlerische Notwendigkeit haben. Aber wie Sie sehen, interessiert es mich momentan mehr, neue Werke zu kreieren, als bestehende Werke zu dekonstruieren. Ich leite daraus aber keine normativen Vorgaben für meine Teams ab.

Tobias Kratzer; Foto Robert Haas

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Im dritten Teil sprechen wir über die Aussage von Tobias Kratzer: „Die Architektur der Hamburgischen Staatsoper ist behördengleich“ und wir erfahren etwas über seine Qualitäten beim Klavierspiel – nachzulesen bei klassik-begeistert.de, klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.ch
am Sonntag, 6. Juli 2025.

Interview: kb im Gespräch mit Tobias Kratzer, Teil I Hamburgische Staatsoper, 2. Juli 2025

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