Bassbariton Oliver Zwarg; Foto Privatarchiv Zwarg
„…Sie bringt Architektur, Schauspiel, Musik, Literatur und Beleuchtung gemeinsam auf die Bühne. Wenn dann noch ein aufmerksames Publikum im Saal sitzt, welches die Energie der Bühne zurückspiegeln kann, dann entwickeln wir uns zu besseren Menschen.“
Patrik Klein sprach mit dem Bassbariton Oliver Zwarg (TEIL 1).
Oliver Zwarg ist ein Vollblutsänger, der an fast allen wichtigen europäischen Opernhäusern gastiert, bei den Festspielen von Salzburg, Edinburgh, Wiener Festwochen und zuletzt auf der Seebühne in Bregenz als Kaspar in der spektakulären Freischützproduktion von Philipp Stölzl (Klassik-begeistert berichtete darüber im folgenden Artikel: Klein beleuchtet kurz 41: Webers Freischütz klassik-begeistert.de, 24. Juli 2024 – Klassik begeistert). Vor allem ist er bei Richard Wagner und Richard Strauss sowie den Expressionisten (Arnold Schönberg, Alban Berg, Alexander Zemlinsky, Walter Braunfels und Franz Schreker) zu Hause. Bei den ausländischen Komponisten dieser Zeit dementsprechend auch bei Leoš Janáček, Claude Debussy und ausgewählten Giacomo Puccini-Rollen.
Klassik-begeistert: Lieber Herr Zwarg, für Sie gibt es neben den vielen Engagements seit Beginn des Wintersemesters eine neue Situation durch eine ordentliche Professur für Gesang fern der Heimat an der Kunstuniversität Graz. Wie kam es dazu?
Oliver Zwarg: Ich habe wirklich schon seit mehr als 20 Jahren Erfahrung als Lehrer, lehren war für mich immer auch Teil meines Berufes. Es war früher schon so, dass ich festgestellt habe: „Wenn du viel unterrichtest, singst du selber auch besser!“ Hinzu kam in der Pandemie eine neue Situation, meiner Berufung (=Beruf) beraubt worden zu sein und gleichzeitig einen unfassbaren Einkommensverlust kompensieren zu müssen.
Ich will jetzt hier nicht zum x-ten Mal die Einzelheiten beschreiben, was wann wie auf die „Unstet Beschäftigten“ eingeprasselt kam, aber ich war am Ende nur noch gefangen in dieser Welt aus Absagen und einer Grundtraurigkeit…
Ich habe damals sehr verzweifelt nach Auswegen gesucht, habe mich allein in Hamburg an die 30mal in Schulen beworben als Quereinsteiger, schließlich hatte ich mal Geschichte und Musik auf Lehramt studiert. Allerdings mit keinem Erfolg, da die Schulbehörde damals noch strikter im Verfolgen von Auflagen war als heute. Nach ungefähr 1,5 Jahren begann das „Geschäft“ langsam wieder anzulaufen, so dass man wieder Hoffnung schöpfte.
Erfolge als Jochanaan in Moskau und Pizarro in Venedig ließen mich glauben, dass der Kurs zur Normalität zurückführe. Wenn ich aber in den Jahren 2022 und 2023 am Ende des Jahres in die Steuererklärung geschaut habe, habe ich festgestellt, dass der Einnahmeverlust im Verhältnis zu „vor Corona“ bei 60 bis 70 Prozent lag. Gründe hierfür waren, dass das Buchungsverhalten der großen Häuser sich verändert hatte. Viele hatten mich gar nicht mehr auf dem Zettel. „Singt der überhaupt noch?“… Es entstand also ein Jahreskalender mit vielleicht 2 oder 3 größeren Jobs und dazwischen Leerstand. Was macht man aber in 4 Monaten Pause. Nicht singen ist keine Option, da verliert man jedes Körpergefühl und Muskeln bilden sich zurück. Also hab ich 4 Monate Pause genutzt, um neues Repertoire zu lernen oder altes zu „putzen“. Ich bin dreimal die Woche zum Repetitor, hab mir eine neue Gesanglehrerin (Gundula Hintz) gesucht, ohne die ich heute nie da stünde, wo ich jetzt stehe. Das war überhaupt nicht kaufmännisch vernünftig, aber gut für meine Seele.
Klassik-begeistert: Wie kam es denn zu der Stelle an der Kunstuniversität in Graz? Der Standort Graz ist ja jetzt auch nicht unbedingt der Nabel der Welt.
Oliver Zwarg: Man könnte jetzt zynisch sein und sagen: klar, der ist frustriert vom Job und will einen Ausweg. Tatsächlich ist es aber so, dass ich sehr gut unterrichte und aus dem Unterricht Kraft schöpfe. Zum einen fürs eigene Singen, zum anderen genieße ich es sehr, jungen Menschen Dinge zu vermitteln, die ich für zentral wichtig halte in unserem humanistisch gesegneten Europa.
So kam es dann dazu, dass ich mich bei der Kunstuniversität Graz bewarb und die Professorenstelle des Flensburger Bassbaritons Ulf Bästlein übernehme. Die Uni hat eine bis ins Jahr 1816 zurückgehende Historie und gilt damit als ältestes Musikinstitut Österreichs. Aufgrund des Datums also mit Sicherheit ein Institut, was zum einen nationalen Strömungen ausgesetzt war (also vor allem gegen Frankreich gerichtet), wie auf der anderen Seite sich mit liberalen Grundwerten beschäftigte. Die Ideen der Französischen Revolution waren ja in ganz Europa Thema des Bürgertums. Und gleichzeitig wieder ein Verweis auf die Jetzt-Zeit ist: nationale wenn nicht sogar nationalistische Strömungen, die im Wettstreit mit den Grundpfeilern unserer Demokratie liegen… Wo wir anfangen, die Werte unseres geeinten Europas zu verteidigen, ist ja egal. Aber es muss getan werden!
Mit über 2000 Studierenden ist Graz die zweitgrößte Kunst- und Musikhochschule Europas.
Die Entscheidung, mehr zu lehren war sicher auch eine aus der oben geschilderten Situation resultierende „Katharsis“-Entscheidung. Wenn ich es schaffe, mir selber den Therapie-Weg zu ebnen, dann kann ich auch anderen helfen. Klingt jetzt melodramatischer als es ist.
Ich glaube tatsächlich an die KUNST, vielleicht nicht ganz so kindlich naiv wie Peter Konwitschny, der mal gesagt hat „Die Oper kann uns alle (unsere Gesellschaft) retten!“ Aber dennoch: ich habe mal in München eine Millionärin kenngelernt, die meinte: „Oper ist die höchste Kunstform: Sie bringt Architektur, Schauspiel, Musik, Literatur und Beleuchtung gemeinsam auf die Bühne. Wenn dann noch ein aufmerksames Publikum im Saal sitzt, welches die Energie der Bühne zurückspiegeln kann, dann entwickeln wir uns zu besseren Menschen…“.
Das ist ein Satz, den ich meinen Studierenden gerne weitergeben möchte.
Klassik-begeistert: Wie sind denn so in den ersten Wochen Ihre Erfahrungen mit den jungen Nachwuchskünstlern, die aus der ganzen Welt nach Europa kommen und hier in den noch breitbandig aufgestellten Kulturbetrieb streben?
Oliver Zwarg: Gesangsunterricht ist ja grundsätzlich nicht so einfach. Anders als beim Klavierspiel oder auf der Geige (was nicht heißt, dass das zwei leicht zu erlernende Instrumente sind), SEHE ich ja nicht, wo das Problem liegt, sondern muss es erhören bzw. „erspüren“. Es reicht eben nicht zu sagen: „Die Intonation liegt im Argen“!
Man muss die Ursache dafür finden und dann entweder ganz technisch analytisch oder mit Bildern einen Weg der Lockerung finden. Das ist sprachlich nie einfach, denn jeder Mensch kommt mit eigenen Vorstellungen und jeder Sänger hat garantiert eine andere Vorstellung VON SICH als die, die außen anders wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass wir ja in der Oper immer international aufgestellt sind. Anders als im Theater, können viele Menschen hier halt (noch) nicht sich der Sprache bedienen, die unsere Basis ist. Das macht es nicht leichter, aber ich hab noch nie in meinem Leben aufgegeben. (…lacht)
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Patrik Klein, 8. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil 2 unseres Interviews mit Oliver Zwarg lesen Sie morgen
(9. Oktober 2024) hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at .