„Es gab für mich nichts anderes als diesen Beruf!“ – Teil 1

Interview mit Brigitte Fassbaender – Teil 1  klassik-begeistert.de, 20. Dezember 2023

Brigitte Fassbaender © Marc Gilsdorf

Kammersängerin Brigitte Fassbaender führt Regie in Lübeck! Kurz nach Probenbeginn in der Hansestadt hatten Dr. Regina und Dr. Andreas Ströbl die Gelegenheit, mit der legendären Mezzosopranistin und Regisseurin ein Interview zu führen, bei dem sie auch schon einen kurzen Einblick in die anstehende Elektra-Produktion gewährte.

Lübeck, 12. Dezember 2023

klassik-begeistert: Ihr Berufsweg war durch Ihre künstlerisch tätigen Eltern und Ihre große Begabung vorgegeben. Aber durch Ihre Eltern haben Sie auch die Nachteile und Schwierigkeiten eines Künstlerlebens erfahren. Haben Sie zu Beginn Ihrer Ausbildung durch Ihren Vater jemals gedacht, das ist doch nichts für mich, ich möchte lieber Ärztin, Anwältin, Lehrerin oder was auch immer werden?

Brigitte Fassbaender: Als Kind wollte ich gerne Tierärztin werden, oder Schriftstellerin oder Schiffsjunge… Aber im Grunde gab’s nichts anderes als die Bühne, von Anfang an.

klassik-begeistert: Haben Sie den Entschluss auch später nie bereut?

Brigitte Fassbaender: Doch, ich habe oft gedacht, warum mache ich das! Daran war das übergroße Lampenfieber schuld, das mich ein Leben lang nicht verlassen hat. Dann wollte ich lieber Hühner züchten oder sowas. Aber das war nie ernsthaft, es gab für mich nichts anderes als diesen Beruf.

klassik-begeistert: Sie haben als Sängerin alles erreicht, was man sich nur wünschen kann. Gibt es eine Rolle in Ihrem Fach, die Sie gemieden haben, weil sie für Sie inhaltlich oder stimmlich nicht zu erschließen war, gab es eine Angstpartie?

Brigitte Fassbaender: Ja, die Ortrud und die Kundry wurden mir mal angeboten, die habe ich nicht angenommen. Da fühlte ich mich zu der Zeit einfach überfordert; es war, fand ich, zu früh. Und ich habe immer darauf aufgepasst, dass ich in meinem Fachbereich blieb. Nur einmal habe ich einen Ausflug ins Sopranfach gemacht und die Wozzeck-Marie gesungen.

Die Partie wird ja auch manchmal von einem Mezzo gesungen. Also, das hab ich mal ausprobiert, aber ich bin sonst meinem Fach ganz bewusst immer treu geblieben. Ich wollte meine Stimme so lange so frisch wie möglich erhalten und mich nicht überfordern, weil ich ja sehr viel Lied und Konzert gesungen habe. Die Liedertätigkeit war für mich das Allerschönste. Wenn man so viel Oper singt und zu oft die großen, dramatischen Rollen, dann leidet die Stimme allmählich doch darunter, der Schmelz, die Frische gehen verloren. Darum habe ich auf Partien verzichtet, von denen ich genau wusste, dass sie meine angestammte Tessitura übersteigen.

klassik-begeistert: Da komme ich gleich zur nächsten Frage, in Anlehnung an die Biographie von Christa Ludwig, „Ich wäre so gern Primadonna gewesen“. Gibt es eine Rolle jenseits Ihres Fachs, die Sie gern gesungen hätten?

Brigitte Fassbaender: Ja, ich hätte gerne die Leonore im Fidelio und die Tosca gesungen. Das waren meine Traumrollen. Die Christa hat ja die Leonore versucht und gemacht, hat mir aber erzählt, wie sie damit gekämpft hat. Sie war sich sehr bewusst darüber, dass sie damit ihre Grenzen erreicht hatte. Das hab’ ich nie gewagt. Ich habe nur mal die Arie probiert und das ging, aber eine Oper besteht ja, wie wir wissen, nicht nur aus einer Arie, sondern da muss man auch die Ensembles und Finali bestreiten… Das waren Traumrollen, ja, aber unerfüllbare Träume muss es geben.

Theater Lübeck, Foto: Olaf Malzahn

klassik-begeistert: Als Sie am Morgen nach Ihrem Rücktritt als Sängerin Anfang 1995 aufwachten, waren Sie da komplett mit sich im Reinen oder kam doch ein bisschen Wehmut und Bedauern dazu? Haben Sie manchmal noch gedacht, „ach, mit dem Regisseur oder Dirigenten hätte ich gern nochmal gearbeitet“?

Brigitte Fassbaender: Na sicher gibt es Regisseurinnen bzw. Regisseure und Dirigenten, mit denen ich gerne mal gearbeitet hätte, z.B. Konwitschny, Andrea Breth, oder Thielemann, oder Petrenko. Und wenn ich heute Sachen höre, die ich besonders gerne gesungen habe, da tut sich schon noch was in mir an nostalgischer Wehmut. Aber ich war mir vollkommen im Klaren darüber und insofern mit mir im Reinen, dass es der absolut richtige Zeitpunkt für mich war, aufzuhören.

Dann kam Schlag auf Schlag die für mich logische Entwicklung ins Regiefach, in die Operndirektion und danach in die Intendanz. Da gab’s für mich keinen Grund, irgendwie traurig zu sein. Es ging ja immer weiter für die Bühne. Ich bin jetzt 63 Jahre beim Theater, ich habe mit 21 angefangen; also mir kann beim Theater so schnell niemand was vormachen.

klassik-begeistert: 1989 und 1991 habe ich Sie bei den Gustav-Mahler-Festen in Kassel erleben dürfen; vor allem Ihre Interpretation der „Kindertotenlieder“ hat bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen. Leider wurde die Fest-Idee nicht oder nur reduziert fortgesetzt und einige Mahler-Werke blieben unaufgeführt. „Das klagende Lied“ ist eines der Stiefkinder im Repertoire. Es gibt ja zum Glück eine Einspielung mit Ihnen unter der Leitung von Riccardo Chailly. Warum hört man dieses wunderbare Frühwerk so selten?

Brigitte Fassbaender: Das weiß ich nicht, und ich habe das Stück auch kaum noch in Erinnerung, aber ich werde es mir wieder anhören, danke für die Anregung!

Ich liebe Mahler über alles. Er hat gerade für meine Stimmlage wunderbare Sachen geschrieben, ob im Lied oder in der Symphonik. Das „Lied von der Erde“ und eben „Das klagende Lied“, die 2. und 3. Symphonie, das ist alles herrlich zu singen! Mit Chailly habe ich alles eingespielt und das „Lied von der Erde“ habe ich ja hundertmal gesungen. Ich habe mich jedes Mal gefreut, es zu singen, auch in der von Mahler autorisierten Klavierfassung. Es ist großartig, wenn man einen Pianisten hat, bei dem das Klavier wie ein Orchester klingt. Hier hätte man gleich zwei, die das könnten! Vladar selbst und seine Frau, Magda Amara. Sie begleitet unsere Proben, ein Traum!

klassik-begeistert: Mahlers Fehler des Lebens war sicher, seiner Frau Alma das Komponieren zu verbieten. Viel zu spät hat er die Qualität ihrer Lieder bemerkt und die massiven Ehekonflikte lagen sicher auch in dieser Macho-Geste eines eigentlich Hypersensiblen begründet. Was hätte aus Alma Mahler als Komponistin werden können, wenn ihr Mann sie einfach hätte weiterkomponieren lassen?

Brigitte Fassbaender: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich kaum etwas von Alma Mahler kenne oder gesungen habe. Ich habe ihre Lieder sicher schon gehört, aber nicht so im Ohr oder im Kopf, dass ich Ihnen das beantworten kann. Ich fand, was ich über Alma Mahler weiß und gelesen habe, dass sie doch eine sehr merkwürdige Person war und wer weiß, wie sehr sie Mahler auf die Nerven gegangen ist. Das hatte vielleicht nicht nur mit ihrem Komponieren zu tun, das war sicher anders als bei Clara und Robert Schumann, wobei ich mir vorstellen könnte, dass Claras Qualität als Komponistin besser war als Almas. Ihre Lieder werden auch relativ selten von ernsthaften Liedersängern gemacht, Alma Mahler kommt so gut wie gar nicht vor im Repertoire. Wenn die Lieder mir mal begegnen, werde ich sie ganz bewusst hören.

klassik-begeistert: Wo wir bei den Liedern sind, vor vielen Jahren haben Sie hier in Lübeck einen Liederabend gegeben. Sie erschienen in einem weißen, langen Kleid, ganz gebückt und gebeugt und schlichen sich so an den Flügel.

Dort hielten Sie sich fest und wurden mit einem massiven Hexenschuss angesagt. Sie haben einen wunderbaren Liederabend gemacht, stark durch Schmerzen in Haltung und Bewegung eingeschränkt. Jeder hätte es verstanden, wenn Sie abgesagt hätten. Trotzdem sind Sie gekommen und haben das Konzert gesungen. Meine Frage zielt dahin: wir lesen ja in dieser Zeit sehr viel über die Generation Z und über die „Work-Life-Balance“, über sehr viel Freizeit und weniger arbeiten und sehr viel „social media“.

Aus Ihrer Erfahrung mit den jungen Sängern – Sie geben ja auch viele Meisterkurse – gibt es so eine Entwicklung auch in diesem Beruf? Ich kann mir vorstellen, dass das eigentlich nicht funktioniert, denn wenn ich singe, dann singe ich und wenn ich Erfolg haben möchte, muss ich etwas dafür tun. Dann kann ich ja nicht hinkommen und sagen…

Brigitte Fassbaender: …Freizeit ist mir wichtiger. Da haben Sie vollkommen recht.

klassik-begeistert: Oder ist es so: ich lese das oft, dass Sänger heute sehr viel früher wegen deutlich weniger dramatischen Dingen absagen. Haben Sie sowas in der Art beobachtet?

Brigitte Fassbaender: Also, es gibt notorische Absager unter Sängern, die bei jeder kleinsten Kleinigkeit schon absagen, die sind aber auch ziemlich bald deswegen verschrien und haben einen zweifelhaften Ruf, auf die kann man sich eben nicht verlassen. Aber ganz generell haben Sie vollkommen recht, diese ungeheure Freizeitmanie, die es heutzutage gibt, die sollte man eigentlich in diesem Beruf nicht kennen. Entweder man hat sich ihm 1000% verschrieben oder man soll’s lassen. Also, das, was heutzutage an Freizeit gefordert wird, das kenne ich nicht und habe auch nie so gelebt.

Natürlich braucht ein Sänger, braucht eine Stimme Ruhe und Regenerationsmöglichkeiten, aber man brennt eben für den Beruf, dann will man auch dauernd dabei sein, so ist es mir gegangen. Ich war von morgens bis nachts im Theater. Wir haben uns nicht von Proben freigesagt, weil wir abends Vorstellung hatten, sondern wir haben trotzdem unsere Proben vormittags gemacht. Und wenn man abends eine Hauptrolle sang, hieß es „mit freundlichem Ersuchen“.

Brigitte Fassbaender © Foto: Marc Gilsdorf

So blieb es in der eigenen Entscheidung, ob man zur Probe ging oder nicht. Aber ich bin halt immer gegangen. Diese dauernden Freizeitbestrebungen gab es zu meiner Zeit nicht. Und eine Intendanz z.B. ist ein Fulltimejob, da können Sie eigentlich 24 Stunden nicht abschalten.

klassik-begeistert: Es ist ja auch ein sehr öffentliches Leben bei vielen Künstlern gerade auch über die sozialen Kanäle, man muss hier posten und da dauernd Bilder in einer Story zeigen.

Brigitte Fassbaender: Diese Selbstvermarktung, die durch die Social Media möglich ist, die entzieht dem Sänger sicher viel Kraft. Man sieht sie ja auch ständig nur mit Handy oder Laptop unterwegs, auch während der Proben, wenn sie nicht dran sind. Das gab’s ja alles Gott sei Dank noch gar nicht und heute gehört es dazu, damit muss man sich abfinden.

Aber es gibt auch ein paar, die vernünftig geblieben sind und nicht permanent auf einer Tastatur herumtippen, sondern sich das für die Pause aufheben. Ich bitte auch öfters bei Proben darum, das Handy wegzustecken. Ich empfinde es als Respektlosigkeit vor den arbeitenden Kollegen. Aber es gehört heute so zum Leben, das kann man kaum verhindern.

klassik-begeistert: Aber es ist doch auch eine Konzentrationsfrage, wenn ich dauernd ’rumdaddele, dann kann auch nicht alles hören.

Brigitte Fassbaender: Natürlich, total! Oder nachts wird dann auch noch im Internet gesurft und gegoogelt und ge-ebayt oder was alles, da kommt man nicht zur Ruhe und zum Wesentlichen. Ich merke es oft an der mangelhaften Vorbereitung der Sänger, die zum Teil nicht so sattelfest in ihren Rollen sind, wie man sich das für Proben wünscht. Ich denke, mit Schuld daran sind die vielen Ablenkungen, denen man heute ausgeliefert ist.

klassik-begeistert: Wenn ich in der Vergangenheit ein bisschen herumgucke – die meisten haben das auch gar nicht nötig gehabt. Sie sind doch auch ohne Instagram und Facebook berühmt geworden. Vielleicht umgab sie deswegen ja auch noch eher so etwas wie eine geheimnisvolle Aura. Es muss doch nicht immer, auch nicht von einem Sänger, alles verbreitet werden.

Brigitte Fassbaender: Finde ich auch und diese Facebook-Manie mache ich persönlich nicht mit. Ich wundere mich immer über das Bedürfnis, alles aus seinem Leben preiszugeben und sich so wichtig zu nehmen. Die jungen Sänger glauben eben, dass die Selbstvermarktung für sie eine Chance ist. Durch die Globalisierung strömt die Konkurrenz aus allen Ecken und Enden. Konkurrenz gab’s immer, darüber brauchen wir nicht zu reden. Es ist meistens nur eine Handvoll, die es ganz nach oben schafft. Aber der Rest will auch leben und das Größtmögliche erreichen. Fast jeder träumt von der großen Karriere. Und da werden heutzutage eben die Möglichkeiten ausgeschöpft.

Damals hat man monatlich große Publicityfirmen bezahlt. Ich habe das zwar nie mitgemacht, aber ich weiß von Kollegen, die monatlich ein paar tausend D-Mark bezahlt haben, um ihre Annoncen auf der Straßenbahn, oder Gott weiß wo zu haben. Oder es stand z.B. bei den Festivals in jedem Wurstladen ein Sängerbild. Das waren die Möglichkeiten damals…

klassik-begeistert:  Wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.

Regina und Andreas Ströbl, 20. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Liebe Leserinnen und Leser, wir laden Sie herzlich zum 2. Teil des Gesprächs mit Brigitte Fassbaender am Donnerstag, 21. Dezember 2023, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at ein.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert