Dr. Regina und Dr. Andreas Ströbl führten ein Interview in drei Teilen mit der legendären Mezzosopranistin und Regisseurin Brigitte Fassbaender am 12. Dezember 2023 in Lübeck.
Lesen Sie heute den 2. Teil dieses Interviews aktuell bei uns:
klassik-begeistert: Kommen wir jetzt zur Lübecker Elektra. Wie ist diese Zusammenarbeit mit Lübeck entstanden?
Brigitte Fassbaender: Durch Stefan Vladar, der mich gefragt hat, ob ich hier mal was machen würde. Ich kenne ihn von früher als jungen, aufstrebenden Pianisten durch Helmut Deutsch, mit dem er befreundet war. Und da ich Strauss sowieso immer liebend gerne inszeniere, habe ich freudig zugesagt.
Lübeck hat ja, besonders seit Vladar hier ist, einen guten Ruf. Es ist eine sehr gute und interessante Besetzung, mit wunderbaren Rollendebütanten. Ich bin froh und dankbar, hier und mit Stefan Vladar Strauss’ „Elektra“ erarbeiten zu können.
klassik-begeistert: Welchen Stellenwert nimmt gerade diese Oper in Ihrer Karriere für Sie ein und wie unterscheidet sich Ihre eigene damals dargestellte Klytemnästra von der, die Sie jetzt hier inszenieren? Hat sich Ihre Auffassung der Rolle verändert?
Brigitte Fassbaender: Es kommt natürlich auch auf den Typ an. Ich hab’ hier einen sehr „dramatischen“ Typ, der gern aus dem Vollen schöpft. Da möchte ich reduzieren und sensibilisieren. Die Klytemnästra hat ein ungeheures Schicksal, sie ist eine tief verletzte, verwundbare Frau.
Ich arbeite daran, dass große Operngesten bewusst gezügelt werden und wir uns nicht in äußerer Gestik verlieren, sondern dass wir aus dem inneren Geschehen arbeiten. Die Klytemnästra, die ich gewöhnt bin, war die ganz Übliche auf den großen Bühnen. Ich hab’ sie in Wien, an der Met, in München und in Salzburg gesungen. Die große Geste und der dramatische Ausdruck standen im Vordergrund.
Da hat sich schon einiges geändert, auch was Maske und Ausstattung angeht. Ich habe zuerst die erste Magd gesungen und mich langsam hochgedient zur Klytemnästra. Ich habe alle großen Elektras meiner Zeit erlebt: Die Varnay, die Nilsson, die Inge Borkh. Die sind alle an mir vorbeigerannt: „Habt Ihr gesehen, wie sie uns ansah?“ singt die erste Magd.
Die Elektra, die Klytemnästra und die Chrysothemis waren fast immer identisch in ihrer Ausdrucksskala. Aber man muss versuchen, da durchzubrechen, den Text hinterfragen und Persönlichkeiten kreieren, die nicht schon hundertfach erlebt worden sind, sondern auch neue Charakternuancen zeigen. Die Kolleginnen hier sind sehr offen dafür, ich fühle mich voll verstanden. Das Damentrio ist in jeder Beziehung ein Glücksfall.
klassik-begeistert: Stichwort Birgit Nilsson: Die durfte ich ja vor vielen Jahren in einer ihrer letzten Vorstellungen überhaupt nochmal in Hamburg als Elektra sehen, das war ein unglaubliches Erlebnis.
Brigitte Fassbaender: Ja, großartig. Das war für mich eine der ganz, ganz Großen, auch menschlich war sie wunderbar. Sie war eine tolle Frau, humorvoll, voller Selbstironie, Klugheit und Witz. Auf der Bühne war sie unglaublich und hat immer hinreißend gesungen. Ich habe sie sehr verehrt, sie war eine tolle Kollegin. Inge Borkh war natürlich auch eine große Elektra, ich habe alle erlebt, die das damals gesungen haben. Als Klytemnästra habe ich das dann mit der Behrends, der Marton und Gott weiß wem gesungen.
klassik-begeistert: Das sind auch in meiner Erinnerung die ganz großen, einzigartigen Stimmen. Findet man diese spezielle Elektra-Stimme, die dieser Partie wirklich ganz gewachsen ist, heute noch?
Brigitte Fassbaender: Eine richtige Elektra-Stimme, die wächst über Jahre, eine Frauenstimme ist ja nicht sofort dafür parat, die muss sich durch vorsichtiges Herangehen an das dramatische Fach entwickeln. Und diese Zeit wird heute oft nicht gelassen. Darum gibt es so wenig Langzeitkarrieren.
Es gibt immer mehr und mehr Kurzzeitkarrieren, die ein paar Jahre in Hochform singen und dann ist es vorbei. Es gibt doch kaum noch Sänger, die 20, 30, 40 Jahre auf der Bühne stehen und immer noch in Vollkraft arbeiten. Dass eine Nilsson mit Mitte 50 noch eine Elektra in Topform gesungen hat, das hatte sie ihrem eigenen Verantwortungsbewusstsein, ihrer Klugheit und vor allem ihrer großartigen Technik zu verdanken. Sie ist gezielt und vorsichtig in dieses Fach hineingewachsen, Anfangs hat sie viel Mozart gesungen, das ist die höchste Schule für die Stimmkultur.
Es liegt auch daran, dass es kaum noch Intendanten gibt, die wissen, wie man eine Stimme aufbaut. Die meisten Intendanten haben heutzutage einen casting director, weil sie von Stimmen gar nichts mehr verstehen und keine Oper mehr besetzen können. Dazu brauchen sie jemanden, der ihnen das erklärt und abnimmt. Ich glaube, dass es oft daran liegt, dass man heute eine zum Dramatischen tendierende Stimme viel zu früh schwere Rollen singen lässt. Hauptsache jung, laut und hoch. Es gibt natürlich Fälle, wo Sängerinnen sich überschätzen und längst vor der Zeit solche Partien probieren. Dann sind sie in dem Fahrwasser und kommen nicht wieder heraus, weil sie nur noch dafür engagiert werden.
Immer wieder höre ich Ruinen und frage mich, was da passiert ist und wie diese Stimmen überfordert wurden. Ich denke an die mittleren und kleineren Theater in Deutschland, wo die Ensembles immer kleiner werden und ein paar Sänger die ganze Last eines Repertoires tragen müssen. Sie gehen von einer Inszenierung in die andere, dazu kommen Abendvorstellungen und der ganze Probenbetrieb, also, die haben pausenlos zu arbeiten und kaum noch Zeit, durchzuatmen. Da hat ein Sänger kaum Ruhe zur Entwicklung und das ist so, weil alle mühelos ersetzbar sind.
Verschwindend gering ist der Anteil an deutschem Nachwuchs in den Ensembles. Es gibt kaum noch deutsche Namen in den Besetzungen. Aus dem asiatischen Raum kommen ganz tolle Stimmen, die haben eine großartige Früherziehung. Die italienischen Stimmen kommen heutzutage aus Korea. Und es gibt herrliche chinesische Stimmen, Soprane zum Niederknien, Tenöre, auch aus China, immer wieder, die haben so eine innere Ruhe, ein Zentrum.
Aber sie haben es schwer, vom Publikum angenommen zu werden. Man denkt, sie könnten sich aufgrund ihrer Kultur auf der Opernbühne nicht so emotional äußern, wie wir das erwarten. Das können sie absolut, aber es kommt bei unserem Publikum nicht an, das habe ich oft erlebt. Viele koreanischen Tenöre, Baritonstimmen und auch Bässe haben traumhaft schöne Instrumente. Aber irgendwie schaffen es nur ganz wenige, sich zu einem Sänger mit Weltgeltung hochzuarbeiten, obwohl die Stimmen Weltklasse sind.
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Regina und Andreas Ströbl, 21. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Liebe Leserinnen und Leser, wir laden Sie herzlich zum 3. Teil des Gesprächs mit Brigitte Fassbaender am Samstag, 23. Dezember 2023, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at ein.
Interview mit Brigitte Fassbaender – Teil 1 klassik-begeistert.de, 20. Dezember 2023
Interview mit Hans Martin Gräbner von Dr. Andreas Ströbl klassik-begeistert.de, 13. August 2023
Vielen Dank für dieses schöne, sehr informative Interview mit Brigitte Fassbaender. Ich habe diese großartige Sängerin 1968 in München mehrfach erleben dürfen, und zwar als 1. Magd in Elektra, als Gymnasiast in Lulu, aber auch als gesanglich maßstabsetzende Eboli sowie als Octavian im Rosenkavalier. 1982 sang sie den Octavian auch in Hamburg.
Ralf Wegner
Den Octavian sang sie in Hamburg schon 1977. Die Marschallin war Gundula Janowitz, die Sophie Helen Donath. Ja, das waren noch Zeiten an der Hamburgischen Staatsoper!
Mit freundlichen Grüßen,
Hartmut Funke