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Interview mit der Sopranistin Camilla Nylund
Camilla Nylund kam am 11. Juni 1968 in Vaasa, Finnland, zur Welt. Ihre Muttersprache ist Schwedisch. Sie hat sich auf Rollen in Werken von Richard Wagner, Ludwig van Beethoven, Giuseppe Verdi und Richard Strauss spezialisiert. Ihr breites Repertoire umfasst auch Partien in den Opern Mozarts, Tschaikowskys und Dvoraks. Sie gastiert regelmäßig auf den berühmtesten Opernbühnen und in den namhaftesten Konzerthäusern der Welt wie der Semperoper Dresden, der Staatsoper Hamburg, der Staatsoper Unter den Linden, dem Opernhaus Zürich, dem Royal Opera Haus in London, der Wiener Staatsoper, dem Grand Théatre de Geneve, dem Théatre des Champs Elysees, dem Liceu in Barcelona, dem New National Theatre Tokyo und bei den Bayreuther und Salzburger Festspielen. Zu den Dirigenten, mit denen Camilla Nylund zusammenarbeitet, zählen Daniel Barenboim, Marek Janowski, Fabio Luisi, Yakov Kreizberg, Ingo Metzmacher, Kent Nagano, Andris Nelsons, Sir Simon Rattle und Christian Thielemann. Sie ist mit dem holländischen Tenor Anton Saris verheiratet. Mit ihm und den beiden gemeinsamen Töchtern lebt sie im Dresdener Stadtteil Weißer Hirsch.
von Jolanta Lada-Zielke
In Ihrer Biographie steht, dass Sie lyrisch-dramatischer Sopran sind. Meiner Erfahrung nach werden diese zwei Stimmfächer getrennt genannt.
Im deutschen Sprachraum bezeichnet man so eine Stimme als „jugendlich dramatisch“ und in Italien als „lirico-spinto“. Die Stimme hat eine lyrische Farbe, aber auch viel Kraft, und es gibt einige Partien, wo man diese zeigen muss. In der „Ariadne auf Naxos“ gibt es zum Beispiel schöne, lyrische Passagen, aber an manchen Stellen muss man mehr Kraft haben. Auch die Wagner-Partien sind nicht nur lyrisch, sondern verfügen über eine gewisse Dramatik. Dazu gehören auch die Leonore von Beethovens „Fidelio“ und Arien aus italienischen Opern.
Kann man die beiden Aspekte bei Oratorien umsetzen?
Ja. Es ist natürlich eine Wandlung, die man als Sänger durchmacht. Meine Stimme war lange Zeit sehr lyrisch, dann kam die Zeit, ein bisschen mehr Lautstärke zu zeigen, insbesondere wenn man mit einem großen Orchester singt. Aber ich singe jetzt jahrelang und versuche, diese lyrische Farbe zu bewahren. Das ist mir wichtig, weil ich als Sopran fast immer die Rollen der jungen Mädchen singe.
Ist Richard Wagner in Ihrer Heimat populärer als Verdi oder Puccini?
Ja, in Finnland stehen die Musikliebhaber sehr auf Wagner. Natürlich gibt es Aufführungen der italienischen Opern, aber Wagner gibt es auf jeden Fall. In Helsinki läuft jetzt gerade der „Ring des Nibelungen“ und alle Vorstellungen wurden sehr schnell verkauft.
Sie verfügen über ein breites Repertoire. Hat man möglicherweise versucht, Sie nach Ihrem Debüt als Elisabeth 2011 in Bayreuth in eine Schublade mit der Aufschrift „Wagner-Sängerin“ zu stecken?
Ich persönlich habe so etwas nicht erfahren. Nur, dass ich natürlich als Sängerin für das deutsche Repertoire gesehen werde. Einerseits bin ich froh, dass meine Stimme für Wagners Partien geeignet ist, weil nicht alle Sopranistinnen Wagner singen können. Dafür muss man auch die deutsche Sprache gut genug beherrschen. Es gibt Wagner-Sänger, die kein Deutsch sprechen, ihn aber trotzdem singen. Ich will aber richtig verstehen, was ich singe, weil die Sprache auch für Wagner wesentlich und wichtig war. Er hat ja seine Texte selbst geschrieben. Leider stecken Leute Sänger gerne in solche „Schubladen“, die Sie erwähnt haben. Vor dreißig Jahren war das nicht so, damals hat man alles gesungen und man hat dem Sänger kein Etikett angeklebt. Birgit Nilsson hat zum Beispiel neben Wagner viel Mozart und italienische Oper gesungen. Heutzutage trennt man gerne Sänger nach dem Repertoire und das finde ich schade.
Sie scheinen aber kein Problem damit zu haben, neben Wagner auch Mozart, Strauss oder auch Dvorak – und zwar auf Tschechisch – zu singen.
Ich singe nicht viel in slawischen Sprachen, habe aber Tatiana in „Ewgenij Oniegin“ von Tschaikowsky auf Russisch aufgeführt. Ich mache mir Mühe, damit mein Gesang natürlich klingt, auch wenn ich die Sprache nicht kenne. Deswegen arbeite ich viel mit einem Vocal-Coach, der oder die die Sprache wirklich gut kennt. Es geht auch um die Gesangssprache, die ein bisschen anders als die normale klingt. Das liegt mir am Herzen, dass ich die Aussprache gut beherrsche. 2008 habe ich zum ersten Mal „Rusalka“ gesungen, und die Tschechen haben meine Aussprache gelobt.
Sie haben auch in Beethovens „Missa Solemnis“ in der Hamburger Elbphilharmonie gesungen. Letztes Jahr hatte sich bei einem Solo-Konzert von Jonas Kaufmann herausgestellt, dass die dortige Akustik nicht immer mit den Solisten mitspielt. Wie war Ihr Eindruck?
Man fragt mich sehr oft danach (lacht). Das Konzert mit der „Missa Solemnis“ hat in der Eröffnungswoche stattgefunden, mit der Begleitung der Hamburger Sinfoniker, die zum ersten Mal in der Elbphilharmonie aufgetreten sind. Das Gefühl, in einem solchen Raum zu singen, war natürlich fantastisch. Übrigens kenne ich persönlich den Akustiker Herrn Toyota, und zwar aus Katowice, wo er auch den Konzertraum entworfen hat. Ich war sehr gespannt, wie sich das in der Elbphilharmonie anfühlt. Vor dem Konzert haben wir viele Aufstellungen ausprobiert. Dann hat Jeffrey Tate, der leider ein paar Monate später gestorben ist, entschieden, dass die Sänger hinter dem Orchester stehen sollen. Hinter uns stand zudem ein riesiger Chor, das war nicht leicht zu singen.
Später hatte ich in der Elbphilharmonie ein Konzert mit Henzes Oratorium „Das Floß der Medusa“ mit dem SWR Orchester unter der Leitung von Peter Eötvös. Dabei habe ich hinten und seitlich auf einem Podest gestanden. Nach dem Konzert habe ich ein paar Leute aus dem Publikum gefragt, ob sie mich gut hören konnten. Helle Stimmen sind dort sehr gut hörbar. Das schlimmste ist, dass man in diesem „erbarmungslosen“ Raum wirklich alles hört, das heißt die einzelnen Töne, Stimmen und Instrumente. Es ist sehr schwierig, einen gemeinsamen Klang zu schaffen, schwieriger als in einem klassischen Konzertsaal.
Wie waren Ihre Erfahrungen in Katowice?
Ich finde es gut, dass man in relativ kurzer Zeit so einen tollen Konzertsaal mit einer tollen Akustik bauen konnte. In Katowice habe ich zweimal gesungen, einmal in der 8. Sinfonie von Gustav Mahler und mit den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss. Ich habe auch mal im Zuschauerraum bei einem Konzert gesessen. Das muss ein großer Gewinn für die Stadt Katowice sein. In Polen habe ich die „Vier letzten Lieder“ ebenfalls in Warschau gesungen. Vor vielen Jahren hatte ich auch ein Konzert in Wroclaw. Der Dirigent war Jan Ślęk, der damals mit einem Preis von der Stadt Wroclaw ausgezeichnet wurde. In Polen habe ich auch meinen Mann zum ersten Mal getroffen. Damals war er noch Bariton, dann hat sich seine Stimme Richtung Tenor entwickelt. Im Januar 1998 fand in Zabrze ein großes Konzert mit Weihnachtsliedern statt. Dort gibt es auch einen interessanten Konzertraum, wo in den Neunzigern Monserat Caballé und José Carreras gesungen haben. Als dieses Weihnachtsliederkonzert stattgefunden hat, war Polen noch kein EU-Mitglied, aber Sänger aus allen EU-Ländern haben daran teilgenommen. Ich habe Finnland, mein Mann hat Holland vertreten und so haben wir uns kennengelernt.
Und jetzt zum Thema „Ariadne auf Naxos“, die Sie in der Staatsoper Hamburg singen. Wenn man das Libretto liest, bekommt man einen Eindruck, dass das eine leichte Musik sein könnte. Sie ist aber alles anderes als leicht.
Sie ist wirklich sehr anspruchsvoll, weil man die ganze Stimmbreite benutzen muss. Ich meine, die Partie von Ariadne hat eine gewisse Dramatik und was sie singt, klingt sehr ernst. Nachdem Theseus sie verlassen hat, will sie sterben und wartet auf einen Todesgott. Die Rahmenhandlung ist aber lustig, weil nicht Thanatos sondern Bacchus zu ihr kommt. Er glaubt, Ariadne ist Circe und den Dialog zwischen den beiden muss man ein bisschen mit Augenzwinkern betrachten. Wir sind quasi „Oper in der Oper“, die zwei Figuren werden von Primadonna und Tenor gesungen, und das macht den beiden viel Spaß, dieses Missverständnis zu spielen.
Wie oft treten Sie mit Ihrem Mann zusammen auf?
Ab und zu machen wir gemeinsame Konzerte zu bestimmten Themen, wie z. B. „Ewige Liebe“ und wählen verschiedene Stücke aus, die dazu passen. Das sind Arien, Duette, Lieder in verschiedenen Stilrichtungen. Die Auftritte sind für Leute bestimmt, die nicht oft Konzerte der klassischen Musik besuchen, ihre Reaktionen sind aber äußerst positiv. So ein Konzert haben wir letzten Sommer zusammen gemacht. Manchmal teilen wir Liederabende auf. Im November singen wir zusammen in Finnland den zweiten Teil aus „Ariadne auf Naxos“. Ich komme aus Vaasa, wo es auch ein tolles musikalisches Leben gibt. In jeder großen Stadt Finnlands gibt es professionelle Orchester und Ensemble. Obwohl Finnland nicht viele Einwohner hat, konzentriert sich das musikalische Leben nicht nur auf Helsinki.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Jolanta Lada-Zielke, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at