Bildquelle: Stephen Gould
Stephen Gould ist Heldentenor, kommt aus Virginia und studierte am New England Conservatory of Music in Boston. 2015 wurde er zum österreichischen Kammersänger ernannt. In Bayreuth debütierte er 2004 als Tannhäuser, danach sang er 2006-2008 den Siegfried im „Ring des Nibelungen“ unter der Regie von Tankred Dorst. 2015 bis 2019 sang er außerdem den Tristan in Katharina Wagners Inszenierung von „Tristan und Isolde“ und jüngst auch die Titelpartie im aktuellen „Tannhäuser“.
Im Interview mit Jolanta Lada-Zielke spricht Stephen Gould über bisherige, bevorstehende und über seine Traumrollen – nicht nur in Wagners Opern.
von Jolanta Lada-Zielke
War es für Sie eine große Herausforderung, dieses Jahr in Bayreuth sowohl den Tristan als auch den Tannhäuser zu singen?
Natürlich ist es eine große Herausforderung, wenn man versucht, zwei dieser sehr großen, fast Shakespeare’schen Partien in derselben Saison zu spielen. Aber ich singe Tannhäuser seit 2001, also seit achtzehn Jahren und hatte meine hundertste Vorstellung dieser Oper gefeiert kurz bevor ich nach Bayreuth kam. Mittlerweile gab es bereits 207 Aufführungen. Und Tristan singe ich auch ein paar Jahre lang. Dieses Jahr war ich ein bisschen besorgt, weil Tannhäuser eher lyrisch, und Tristan dramatischer und höher geschrieben ist. Aber während der Probenzeit stellte ich fest, dass das Singen von Tannhäuser meinen Tristan ein wenig erleichterte. Dieses Jahr versuchte ich, einigen Teilen von Tristan mehr Lyrik zu verleihen. Das konnte ich tun und das war eine großartige Erfahrung. Ich habe von meinen Freunden und Kollegen gute Rückmeldungen zu beiden Rollen erhalten. Natürlich konnte ich nicht alle Auftritte von „Tristan und Isolde“ mitmachen, und Stephan Vinke sang drei davon, weil es physisch unmöglich ist, beide Rollen zu singen, wenn man nur einen Tag Pause dazwischen hat. Das kann die Stimme strapazieren.
Beide Charaktere sind sehr emotional, obwohl sie sich voneinander unterscheiden…
Ich denke, es ist schwierig, einen direkten Zusammenhang zwischen Wagners Denken über Tannhäuser und seinen späteren Überlegungen zu „Tristan“ zu finden. Es gibt eine großartige Sache, die beide teilen, und das ist die Idee: Können zwei Menschen wirklich zusammenkommen und eins in diesem Leben sein? Die Zeit, als Wagner an „Tristan“ arbeitete, war eine metaphysische und spirituelle Zeit seines Lebens. Tannhäuser schwankt zwischen Verpflichtung und wirklicher Freiheit; auch in der Beziehung ist er zerrissen zwischen sinnlicher Leidenschaft und reiner Liebe zu Elisabeth. In der Inszenierung von Tobias Kratzer wollten wir den Venusberg nicht mit nackten Figuren präsentieren, die um sie herum tanzen, im Gegensatz zu einer anständigen Gesellschaft auf der Wartburg. Es war eher die Idee: Was ist die persönliche Freiheit? Tristan war auch nicht frei. Ich meine, das ist der Zusammenhang zwischen den beiden Charakteren.
Waren der Auftritt des Travestiekünstlers „Le Gateau Chocolat“ und der Gedanke einer „doppelten Sexualität“ eine Anspielung auf Tannhäusers inneren Konflikt?
Ja, absolut. Es war die Idee des Regisseurs. Ich bin da eher offen, aber in letzter Zeit haben wir zu viel modernere Regie in Theatern. Die Arbeit mit Tobias Kratzer war jedoch wunderbar, denn vom ersten Tag an diskutierten wir über seine Konzeption. Anfangs war ich etwas skeptisch, aber am Ende des ersten Probentages fühlte ich mich zuversichtlich. Tobias erklärte uns sehr genau, was wir mit dem Stück machen sollen. Er dachte sorgfältig über die Motive und Ideen nach, die Wagner auszudrücken versuchte. Ich finde, Tobias machte das brillant. Er gab allen Charakteren zwei Schichten; manchmal spielen wir einfache Leute, nicht die Charaktere; anstatt ein Charakter zu sein, landen wir im wirklichen Leben. Tannhäuser und Elisabeth waren schon in einer sehr engen, vielleicht auch sexuellen Beziehung, bevor er sie verließ. Elisabeth ist nicht „rein“ im physischen Sinne. Die einzige unveränderte Person in „Tannhäuser“ ist die Venus. Jede andere Figur entwickelt sich, wächst und geht in eine andere Richtung. Nur Venus scheint immer die gleiche anarchistische Machtfrau zu sein, wie im mythologischen Sinne.
Wie interpretieren Sie das Clownskostüm von Tannhäuser? Der Satz von Biterolf „nach seiner Tracht ein Ritter“ klingt in diesem Zusammenhang ironisch.
Ja, natürlich, aber geistig bin ich kein Clown. Biterolf singt es und alle Ritter lachen, weil sie sich über mich lustig machen. Zuerst möchte ich sie nicht ansehen, um nicht erkannt zu werden. Dann drehe ich mich zu ihnen um und sie merken, dass ich Tannhäuser bin. Dieses interessante Detail bringt ein bisschen Humor ins Stück, es ist aber eine bittere, dunkle Art von Humor, keine Komödie oder Slapstick. Meine Verkleidung als Clown soll nicht bedeuten, dass Tannhäuser keine seriöse Person ist. Er versteckt sich hinter diesem Kostüm vor der Gesellschaft. Er denkt, er ist frei, ist es aber nicht.
Viele Zuschauer fanden die Aktion auf dem Video vor dem ersten Akt nicht notwendig und verstanden sie nicht.
Das sollte ihnen helfen zu verstehen, warum Tannhäuser seine Meinung ändert. Ihm macht es nichts aus, dass das Leben in Freiheit andere Menschen irritiert oder ihnen zeigt, wie frei er ist. Sein freies Leben wird tragisch, als Venus den Polizisten überfährt. Das ist der Wendepunkt und auf dem Video ist zu sehen, dass ich Angst bekomme, als ob ich gedacht hätte: „Was haben wir getan? Ist das ein freies Leben? Das will ich nicht! Ich möchte frei sein, aber nicht so!“ Ich weiß nicht, wie der Regisseur das dem Publikum klarer machen könnte. Er hat eine Brutalität von solch unbegrenzter Freiheit gezeigt.
Wir kennen bereits die Besetzung für den „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth für nächstes Jahr. Sie singen Siegfried nur in der „Götterdämmerung“. In der Tankred Dorst-Produktion aus dem Jahr 2006 haben Sie auch den jungen Siegfried gesungen. Finden Sie es richtig, wenn zwei verschiedene Sänger diese Rolle singen?
Ich denke, da gibt es viele Faktoren. Traditionell wurde in Bayreuth „Der Ring“ innerhalb einer Woche gemacht und es gab einen Tag Pause zwischen „Siegfried“ und der „Götterdämmerung“. In der Geschichte der Festspiele gab es zwei große Tenöre: Lauritz Melchior und Max Lorenz. Beim ersten „Ring“ sang Lorenz den jungen Siegfried und Melchior den älteren. Ein Jahr später machten sie es umgekehrt. Nächstes Jahr werden wir auch zwei Besetzungen von Brünnhilde haben und in dieser Produktion versuchen wir, mehr Sänger zu engagieren. Heute haben wir mehr Probleme mit besonderen Arten von Stimmen, denn es gibt mehr lyrische als Heldentenöre, die Siegfried singen. Ein weiteres Problem ist, dass es letztens in ganz Deutschland viele Absagen, Krankheiten oder Umdisponierungen gab. Wenn drei Leute Siegfried und Siegmund in Bayreuth singen könnten, sind wir gut vorbereitet. Die Besetzung könnte auch vom Regisseur abhängig sein. Ich fürchte, ich werde älter, und vielleicht ist das der Grund, dass ich den jungen Siegfried nicht singe? (lacht).
Als wir uns vor vier Jahren unterhielten, sagten Sie mir, Ihre Traumrolle sei Loge. Warum singen Sie nicht Loge in Bayreuth?
Ich sang Loge zuletzt in Japan im New National Theatre of Tokyo. Dort spielte ich drei Rollen – Loge, Siegfried und Siegmund. Loge ist ein sehr interessanter, komplexer Charakter. Es macht viel Spaß, Loge zu singen. Es gibt so viele interessante Farben, die ich in dieser Partie einsetzen kann. Stimmlich ist es auch eine Herausforderung. Einige der großen Tenöre sangen in der Vergangenheit Loge, wie zum Beispiel Max Lorenz oder Siegfried Jerusalem. Nächstes Jahr wird das Stephan Vinke machen und ich finde es sehr gut, dass ein echter Heldentenor zu dieser Rolle zurückkehrt. Ich hoffe, dass ich vielleicht eines Tages die Chance bekomme, Loge und Siegmund in Bayreuth zu singen.
Wie finden Sie Ihre Rolle des Bacchus in „Ariadne auf Naxos“? Die Handlung dieser Oper ist ziemlich lustig, aber sie ist nicht so einfach zu singen.
Man sagt, Richard Strauss hasste Tenöre, aber ich denke, er war insgesamt zu allen Sängern nicht freundlich. Der Bereich jeder Stimme, für die er komponierte, musste sehr breit sein. Aber Bacchus ist eine brillante Rolle. Ich denke, der Teil von „Ariadne“ ist anspruchsvoll, aber es macht Spaß, ihn zu singen. Das Problem mit Strauss war, dass er speziell für Frauen schrieb. Einige seiner Sätze sind für Männerstimmen gleich hoch geschrieben, deshalb ist das Singen nicht einfach. Auch für Baritone komponierte er sehr hoch. Aber für mich ist Bacchus ziemlich lustig. Es ist mir wichtig, Strauss in meinem Repertoire zu haben, weil es meine Stimme an der Spitze hält, und ein gutes Training für mich ist.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Jolanta Lada-Zielke, 30. November 2019, für
klassik-begeistert.de