Foto: Lena Belkina, © A. Bofill
Interview mit der ukrainischen Mezzosopranistin Lena Belkina über Kunst in Zeiten der Bedrohung
von Dr. Lorenz Kerscher
klassik-begeistert: Sie sind Staatsbürgerin der Ukraine und dort aufgewachsen, bis Ihre internationale Karriere Sie bald in westliche Länder führte. Wie geht es Ihnen jetzt, wenn Sie an Ihre bedrohte Heimat denken?
Lena Belkina: Es gibt keinen Grund und keine Rechtfertigung für die Tötung von Zivilisten, insbesondere von Frauen und Kindern. Putin nennt den blutigen Krieg in der Ukraine eine „spezielle Entnazifizierungsoperation“. Es wurde nachweislich das Theater in Mariupol bombardiert, in dem sich Frauen und Kinder vor den Bomben schützten. Das Theater wurde sogar mit dem Begriff „Kinder“ gekennzeichnet, damit dies für die Angreifer ersichtlich ist. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Das ist also keine „Entnazifizierung“, sondern Völkermord.
Das Problem der Bewohner des kriegführenden Landes und ihres Präsidenten ist, dass sie die Ukraine als Staat ablehnen, sie wollen uns zu einem Teil ihres Landes machen. Jeder Ukrainer, der kämpft und sein Recht verteidigt, in einem freien Land zu leben, ist ein Held. Leider ist diese Freiheit mit einem sehr hohen Preis verbunden. Unsere Soldaten riskieren ihr Leben für die Zukunft unserer Heimat.
Dieser Krieg, den Russland grundlos begonnen hat, wird auf vielen Ebenen geführt. Die gesamte westliche Welt hat – mit ein paar wenigen Ausnahmen – historisch einzigartige Sanktionen gegen den Aggressor beschlossen. Es ist daher mittlerweile auch ein Wirtschaftskrieg. Ich fühle mich sozusagen als ein „Soldat an der Kulturfront“.
klassik-begeistert: Was sind Ihre Gefühle, wenn Sie Nachrichten von Freunden und Verwandten aus der Heimat erhalten?
Lena Belkina: Ehrlich gesagt kann ich diese Gefühle nicht in Worten beschreiben. Es dürfte nicht sein, dass auch nur einer meiner Freunde und Verwandten in Gefahr ist! Es sind alle tolle Künstler. Dennoch sitzen sie jetzt in Bombenschutzkellern und kochen und singen für ihre Landsleute. Es ist eine Mischung aus Angst und Trauer um meine Freunde und Verwandten einerseits und Wut andererseits. Wut über das russische Volk, das scheinbar unreflektiert die russische Politpropaganda für wahr erachtet.
Ich persönlich helfe derzeit insbesondere Studenten meiner Musikakademie. Es tut mir sehr weh zu sehen, wie das Zuhause, die Träume und die Zukunft von Millionen von Ukrainern zerstört werden. Das ist eine eklatante Ungerechtigkeit.
klassik-begeistert: Kurz nach Putins Angriff auf die Ukraine haben sich beim Schlussapplaus nach einer Aufführung von Aida in Neapel die ukrainische Sopranistin Liudmyla Monastyrka und die russische Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova lange und herzlich umarmt. Dies in einem Video zu sehen, hat mich sehr bewegt. Können Sie sich vorstellen, dass öffentliche Freundschaftsgesten zwischen Angehörigen der beiden Völker zu Frieden und Entspannung beitragen können?
Lena Belkina: Das war kurz nach der Invasion. Ich denke, dass beide Kolleginnen damals noch keine Zeit hatten zu realisieren, was passiert ist. Je länger dieser Krieg andauert, desto schwieriger sind derartige Gesten. Voraussetzung dafür ist aber, dass diese Geste von den jeweiligen Angehörigen der beiden Völker als deutliches Zeichen gewünscht ist, dass diese den jeweiligen Krieg auch ablehnen und sich entsprechend deutlich vom Krieg distanzieren. Man kann sich nicht gleichzeitig „völkerverbindend“ umarmen und den Krieg befürworten.
klassik-begeistert: Wie bewerten Sie es, wenn jetzt von russischen Künstlern öffentliche Stellungnahmen zum Krieg und zum System Putin gefordert werden und als Entscheidungskriterien für Engagements dienen?
Lena Belkina: Ich denke, das ist richtig. Es geht nicht um politische Ansichten oder „Parteipolitik“. Russland hat die Ukraine grundlos angegriffen und ein derartiger Angriffskrieg ist meines Erachtens mit den westlichen Werten nicht vereinbar. Es gibt viele tolle Künstler auf dieser Welt. Opernhäuser werden zumeist von der öffentlichen Hand subventioniert. Es ist daher wohl auch die Pflicht eines solchen Opernhauses bei der Auswahl der Künstler darauf zu achten, dass diese den entsprechenden Wertvorstellungen des Landes entsprechen.
klassik-begeistert: Verändert diese Krise Ihre künstlerische Tätigkeit, zu der in letzter Zeit auch die Zusammenarbeit mit einer russischen Pianistin an ihrem wunderbaren neuen Album „Spring Night“ und Engagements in Russland zählten?
Lena Belkina: Ich habe sämtliche Auftritte in Russland am Tag der russischen Militärinvasion in der Ukraine sofort abgesagt. Der größte Teil des russischen Publikums ist von meiner Entscheidung enttäuscht. Aber ich bin noch mehr enttäuscht, dass eine so große Zahl von Menschen den Krieg unterstützt. Was mein Album angeht, habe ich zunächst mit der Superstar-Pianistin Anna Fedorova aus Kiew vereinbart, diese Lieder aufzunehmen, aber leider konnte sie aufgrund von Covid-Beschränkungen nicht nach Wien fliegen. Natalia Sidorenko lebt in Wien und ist eingesprungen. Eine weitere Zusammenarbeit ist aber unmöglich.
klassik-begeistert: Leonard Bernstein sagte, die Antwort auf Gewalt müsse sein, Musik noch intensiver, schöner und hingebungsvoller zu gestalten als je zuvor. Können Sie sich diese Idee zu Eigen machen?
Lena Belkina: Bestimmt. Ich sehe es als meine Mission, für die Ukraine zu singen! Ich singe auch viele Benefizkonzerte wie zuletzt im Goldenen Saal des Musikvereins, wo mir bei der Generalprobe am Konzerttag die Tränen kamen. Dann erinnerte ich mich an den Satz von Meryl Streep: „Take your broken heart, make it into art“.
klassik-begeistert: Machen Sie sich Gedanken, ob Sie ihr Repertoire stärker darauf ausrichten wollen, Botschaften von Frieden und Versöhnung weiterzugeben?
Lena Belkina: Jeder Mensch, jedes Kind hat das Recht auf ein glückliches Leben, und Künstler können nur in freien Ländern arbeiten, wo Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit existieren. Acht Jahre lang, seit Beginn des Krieges in der Ostukraine dachte ich, dass die Auftritte ukrainischer Künstler in Russland zur Versöhnung beitragen könnten und wir in Frieden leben könnten. Am 24. Februar 2022 wurde diese Hoffnung auf Versöhnung zunichte gemacht, weil Russland einseitig durch einen Angriffskrieg den Frieden beendete. Jetzt ist meine Botschaft eindeutig: Ich will zwar weiterhin Frieden, aber primär den Sieg der Ukraine.
klassik-begeistert: Die kulturelle Bedeutung der Ukraine wurde bislang in der westlichen Welt kaum wahrgenommen. Als Reaktion auf Putins Angriff setzt man nun Werke ukrainischer Komponisten auf die Konzertprogramme. Wollen auch Sie Ihr Repertoire in dieser Richtung erweitern?
Lena Belkina: Ich habe in meinen Konzerten immer schon ukrainische Volkslieder als Zugaben gesungen, sie sind wunderschön. Trotz der Umstände freut es mich daher, dass nunmehr die ukrainischen Komponisten bei uns an Bedeutung gewinnen. Die Aufführung von Werken ukrainischer Komponisten war an der Kiewer Musikhochschule als auch an der Nationalakademie, wo ich studierte, selbstverständlich. Ich habe daher hier bereits ein großes Repertoire, werde dieses aber natürlich noch erweitern.
Liebe Frau Belkina, vielen herzlichen Dank für Ihre offenen und überzeugenden Antworten! Wir können jetzt nur hoffen und beten, dass sich diese schlimmen Ereignisse für die Ukraine und damit auch für die ganze Menschheit noch zum Guten wenden.
Dr. Lorenz Kerscher, 5. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lena Belkina, Benefiz / CD-Präsentation „Spring Night“, Mozarthaus, Wien, 19. März 2022
Sehr gutes Interview mit den richtigen Fragen. Darum waren auch die Antworten bewegend. Danke Lorenz. Das war sehr professionell.
Lena ist schon seit Jahren mein Favorit und ich wünsche mir sie mal live zu erleben.
Bernhard Schoppmann