Star-Bass Günther Groissböck im Exklusiv-Interview: „Man kann halt überall Probleme finden, wo sie eigentlich nicht sind“

Interview mit Günther Groissböck, Teil 1  klassik-begeistert.de, 23. März 2023

Foto © Dominik Stixenberger

Interview mit Günther Groissböck von Johannes Karl Fischer – Teil I

Seit über 20 Jahren gehört Günther Groissböck zu den weltbesten Bässen der Opernszene. Groissböck wurde in Waidhofen an der Ybbs in Niederösterreich geboren  und hat an fast allen bedeutenden Häusern der Welt – darunter die Wiener Staatsoper, die Metropolitan Opera und natürlich bei den Bayreuther Festspielen – gesungen. Sein breit gefächertes Repertoire umfasst Wagner-Stammrollen wie Gurnemanz (Parsifal), Verdi-Schlager wie König Philipp (Don Carlos) oder auch Schostakowitsch-Partien wie Boris (Lady Macbeth von Mzensk). Im ersten Teil unseres Interviews spricht er über den aktuellen Lohengrin an der Metropolitan Opera in New York, in dem er den König Heinrich singt. Auch zur „Führer“-Diskussion findet er klare Worte. 

klassik-begeistert:  Herr Groissböck, in diesen Wochen singen Sie den König Heinrich und den Baron Ochs an der Met. Wie geht es Ihnen und wie läuft die Probenarbeit?

Günther Groissböck: Naja, beim Lohengrin sind wir schon in der Mitte der Vorstellungsserie, am Dienstag haben wir sozusagen Halbzeit. Da ist ja auch schon diese Notfalls-Aufzeichnung, für die Kino-Aufzeichnung, die Samstag stattfindet, live, dann. Das heißt, der Lohengrin geht eigentlich schon auf die Zielgerade. Und parallel dazu wird eben der Rosenkavalier geprobt, da geht’s halt auf die Bühne. Ich bin jetzt mit Ausnahme von heute  – es ist der erste freie Tag seit längerem – jeden Tag zu mindestens einfach besetzt im Einsatz.

klassik-begeistert:  Das klingt nach einem sehr anstrengenden Programm. Was läuft denn bei dieser Notfallübertragung anders als sonst? Normalerweise ist doch die Kinoübertragung live…

Günther Groissböck: Da wird einfach zur Sicherheit was mitgeschnitten, damit, wenn am Samstag bei der Liveübertragung wirklich was eklatant schief gehen sollte, man was im Kasten hat.  Aber im Prinzip – soviel ich weiß, und der Rosenkavalier ist ja immerhin schon meine sechste Liveübertragung – ist das schon live-live. Und es läuft in dem Sinne nichts anders ab als bei einer normalen Vorstellung, außer, dass speziell die Abteilungen Maske und Kostüm nochmals in einem höheren Alarmmodus sind. Da wird noch einmal genauer und detaillierter hingeschaut. Zum Beispiel haben wir unsere Maskenzeit, die beim König Heinrich wegen dieser „lebenden“ Glatze mit eineinhalb Stunden sowieso schon sehr großzügig anberaumt ist, jetzt auf zwei Stunden ausgedehnt. Somit können die  Maskenbildner wirklich alles ganz super detailliert fixieren, sodass keine Klebestellen zu sehen sind und so weiter. Es ist noch einmal eine Version, wo man genau weiß, die Kamera kommt ganz nah ran. Wir versuchen halt so filmtauglich wie möglich zu sein.

klassik-begeistert:  Wenn Sie jetzt vor dem Publikum im Fernsehen, möglicherweise auf der ganzen Welt, singen, ist das für Sie anders, als wenn Sie für das reale Publikum im Saal, das Sie sehen können, singen?

Günther Groissböck: Das ist schon ein Unterschied. Man versucht das natürlich selbst schön zu reden, dass man sagt, das ist eigentlich nur Probe mit Publikum. Aber das sind natürlich nur psychologische Tricks, die man sich selber zurechtlegt, damit man nicht besonders nervös wird. Man versucht, wie es im Rosenkavalier heißt, bonne mine à mauvais jeu. Zum Glück ist das ja meistens ja kein mauvais jeu, aber man versucht, vielleicht einen Millimeter fernsehtauglicher zu singen. Das heißt, dass man einfach ein bisschen bewusster ist, was das betrifft. Musikalisch natürlich sehr sauber, weil  – Sie wissen ja, wie es heutzutage ist – manche Leute irgendwelche Dinge einfach aufnehmen.  Also man versucht so sauber wie möglich, aber trotzdem für das Publikum so spannend wie möglich, zu singen. Die Kunst für uns Sänger ist, die Aufführung, die man zu dem Zeitpunkt schon vier oder fünf Mal oder öfters abgespielt hat, noch einmal zu liefern als wäre es das erste Mal. Und zwar so, dass man halt einfach weiß, das ist zumutbar für die Kino-Besucher.

klassik-begeistert: Der König Heinrich ist einer Ihrer Stammrollen, von denen Sie viele haben. Wie ist es für Sie, wenn Sie diese Rolle nach unzähligen Malen wieder singen? Wird das nicht irgendwann langweilig?

Günther Groissböck: Beim König Heinrich ist die Gefahr insofern schon ein bisschen in diese Richtung gehend, weil das eine Stehpartie – wie man so schön sagt – ist, wo der Sänger sehr viel zuhören muss. Man muss sich permanent frisch halten und jedes Mal neu motivieren, so dass man für sich selber das Gefühl hat, ich höre diese Geschichte zum ersten Mal. Die Geschichte vom Lohengrin ist natürlich – wenn man das tiefer sieht, spirituell oder gar philosophisch oder religiös – auch sehr interessant und sehr tiefgehend. Aber die Story im oberflächlichen Sinne ist relativ einfach: Der König, jetzt gerade im ersten Akt, muss die Geschichte erst einmal aus dieser sehr nüchternen Perspektive zur Kenntnis nehmen. Der kommt ja eigentlich für seinen Kampf gegen die Ungarn, um die Truppen zu rekrutieren. Und dann kommt er eben in diese Stammesrede. Da muss ich mich jedes Mal immer wieder neu reinlassen in dieses Gefühl, als wenn ich das das erste Mal hören würde. Das erfordert schon eine gewisse Arbeit, dass man nicht irgendwann sagt, „ich kenne die Geschichte, ja Elsa, ja Telramund.“ Langeweile ist vielleicht der falsche Ausdruck, aber  man muss sich geistig immer wieder neu frisch machen.

„Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss am 18.12.2020 in der Wiener Staatsoper, Günther Groissböck © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Beim Rosenkavalier ist das natürlich ganz anders, da hältst du [Anm.: als Baron Ochs] das Stück am Laufen. Da bist du quasi der Motor. Wie gesagt, Langeweile ist der falsche Ausdruck, aber der König Heinrich erfordert schon eine gewisse Vorbereitung um frisch zu bleiben im Kopf. Und vokal ist das von der Menge her zwar nicht allzu viel. Aber im ersten und auch im dritten Akt gibt es einige Stellen, die wirklich schwer sind. Da muss man auch immer wieder wie so ein Sprinter jederzeit zum Kaltstart bereit sein und seine Vokale wirklich jederzeit abrufbar machen. Das ist halt einfach diese Mischung aus Neugierde, das Stück immer wieder zu kreieren, und einfach immer allzeit bereit sein, die Töne raus drücken zu können.

klassik-begeistert:  Wenn man im dritten Akt zuhört, wird ja im Original auch das Wort Führer gesungen, was in letzter Zeit für viel Diskussion gesorgt hat. In Bayreuth wurde das kontrovers diskutiert, in München vor drei Monaten wurde da wieder der Originaltext gesungen. Wie wird das in New York aufgenommen?

Günther Groissböck: Es gibt viele Dinge, die hier leider Thema sind, wo man sagt, das ist übertrieben.  Aber das ist hier kein Thema, Gott sei Dank. Hier wird, soweit ich es  richtig gehört habe, textgetreu das Wort „Führer“ gesungen. Man kann halt überall Probleme finden, wo sie eigentlich nicht sind. Das ist ganz normal.

klassik-begeistert:  Das ist auch sehr interessant, dass das gerade in New York – wo ja viele Debatten geführt werden, die in Europa weniger präsent sind – kein Thema ist.

Günther Groissböck: Nein, das ist hier kein Thema. Ich habe bis jetzt drei Mal zugehört und bin ganz erstaunt, die singen wirklich „Führer“. Piotr Beczała singt das ganz bestimmt so und ich bin gespannt, vielleicht ändert er das am Samstag. Aber bis jetzt ist das kein Thema. Ich habe da schon einige verrückte Sachen erlebt, aber das ist keine Sache gewesen, bis jetzt zumindest nicht.

klassik-begeistert:  Wobei die Amerikaner – oder zumindest viele von ihnen – im Zweifel das erstmals gar nicht verstehen oder vielleicht nicht so wahrnehmen, weil sie mit der deutschen Sprache nicht so vertraut sind.

Günther Groissböck: Genau, ich glaube, daran liegt’s auch. [lacht]

klassik-begeistert:  Ich bin schon sehr gespannt, wie Piotr Beczała das im April im Wien singen wird. Da hat das wieder eine ganz andere Dimension. Aber ich wollte auch nochmal zurück zur Met an sich, wo wir schon mal dabei sind. Nach einigen Medienberichten soll die neueste Ring-Inszenierung zwischen 17 und 40 Millionen Dollar gekostet haben – die genauen Zahlen will natürlich keiner nennen. Aber die Met ist ja so oder so berüchtigt oder bekannt – je nachdem, wie man das sieht – für ihre finanziell sehr aufwendigen Inszenierungen. Hat das eine Auswirkung auf die Zusammenarbeit an der Oper, auch auf zwischen Ihnen und der Regie?

Günther Groissböck: Nein, nicht direkt. Wenn Sie jetzt diese Zahlen nennen, muss ich sagen, ich höre diese zum ersten Mal. Es gibt immer Gerüchte. Man sagt zum Beispiel, dieser Lepage-Ring, den ich 2019 als Fasolt und Hunding auch machen durfte, hat so und so viel gekostet, da werden halt irgendwelche Zahlen herumgeworfen und kolportiert. Ich muss dazu sagen, weil ich kaum Vergleichswerte aus Europa habe, das sind irgendwelche Variablen, mit denen man als normaler Sänger, der sich durchaus ein bisschen interessiert für den Gesamtbetrieb des Theaters, relativ wenig anfangen kann, vor allem in Relation dann zum Gesamtbudget. Das sind Informationen ein bisschen wie Hausnummern, da kann ich nicht viel damit anfangen. Und Finanzierung ist dann sowieso wieder so ein Thema. Das läuft hier ja ganz anders als in Europa. Wir wissen, auf welch dünnen Beinen eigentlich die Finanzierung bei vielen amerikanischen Häusern steht. Die sind sehr viel von Privatgeldern abhängig. Und von großen Mäzenen, die die Oper schätzen. Da kann man einfach nur hoffen und beten, dass das noch lange so bleibt.

klassik-begeistert:  Da haben Sie Recht, Zahlen sind natürlich immer so eine Sache. Aber es gibt übereinstimmende Medienberichte, dass für den Lepage-Ring extra ein Teil des Gebäudes strukturell umgebaut werden musste, weil das sonst unter der Last der Bühnentechnik zusammengebrochen wäre. Das ist in Bayreuth oder Wien schwer vorstellbar.

Günther Groissböck: Naja, das mit der Architektur ist ein grundsätzlich amerikanisches Phänomen. Die meisten Opern- und Konzerthäuser sind ja schon allein von der Bausubstanz her jünger [Anm.: als in Europa]. Das ist nicht so wie das Bayreuther Festspielhaus, das seit 1876 zumindest im Kern so steht wie jetzt, natürlich mit allen möglichen Renovierungsarbeiten und Umbauten. Im Vergleich dazu ist die neue Met am Lincoln Center ein relativ junges Haus und hat andere architektonische Möglichkeiten. Oder ein Haus wie die Bastille jetzt in Paris, die 1989 eröffnet wurde, da gibt es für diese ganz großen, schweren technischen Umbauten natürlich andere Ressourcen, zum Beispiel in Bezug auf die Unterbühne. Ich glaube, jede Zeit versucht, das Limit der technischen Möglichkeiten auszureizen. Und offensichtlich hat der Lepage-Ring auch versucht, da an die Grenzen zu kommen und sie anzukitzeln. Das ist eigentlich eine normale Entwicklung, glaube ich.

klassik-begeistert:  Das werden wir auch beim Bayreuther Parsifal sehen, wie das verläuft. Da werden auch ganz neue technische Möglichkeiten erprobt.

Günther Groissböck: Ganz genau.

klassik-begeistert: Wir danken sehr herzlich für das Gespräch.

+++

Wir laden Sie herzlich zum 2. Teil des Gesprächs mit Günther Groissböck am Montag, 27. März 2023 hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at ein.

Exklusiv-Interview Georg Zeppenfeld Klassik-begeistert.de

Tomasz Koniecznys Wagner-Festspiele Interview

Interview, Piotr Beczała, Bayreuther Festspiele 2019

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