Foto: G. Groissböck © Wilfried Hösl
Interview mit Günther Groissböck von Johannes Karl Fischer – Teil II
von Johannes Karl Fischer
Seit über 20 Jahren gehört Günther Groissböck zu den weltbesten Bässen der Opernszene. Im zweiten Teil unseres Interviews spricht er über seine Paraderolle, den Baron Ochs auf Lerchenau. Günther Groissböck singt den Ochs im März/April (27.3 – 20.4) an der Met in New York. Am 15.4 gibt es eine internationale Liveübertragung, u.a. auch in zahlreichen Kinos in D/A/CH. Zu den Ur-Wienerischen Feinheiten des Rosenkavaliers hat der gebürtige Niederösterreicher ganz besondere Worte.
klassik-begeistert: Herr Groissböck, der Rosenkavalier, also der Baron Ochs, gilt ja als einer Ihrer Paraderollen. Ich habe Sie in den letzten drei Jahren in den drei Inszenierungen von André Heller, Otto Schenk und Barrie Kosky gesehen. Wie nehmen Sie diese doch sehr unterschiedlichen Inszenierungen auf der Bühne wahr? Wenn wir jetzt zum Beispiel Otto Schenk – der ja manchmal als museumsartig kritisiert wird – und Barrie Kosky gegenüberstellen, wie ist das für Sie zum Spielen?
Günther Groissböck: Bei Barrie Kosky muss ich dazu sagen, da bin ich letzten Sommer wirklich über Nacht – im wahrsten Sinne – reingerutscht. Ich hätte 2021 die Produktion damals als Neuproduktion machen sollen, aber das hat aus vielen Gründen nicht so geklappt. Als Einspringer ist einfach nicht genug Zeit um sich in die tiefsinnigere Bedeutung der Figur einzuarbeiten, oder mit dem, was man macht, konkret zu beschäftigen. Da geht’s dann einfach um ganz simple „Verkehrsregeln“: Du stehst da, du machst das, du bist zu dem Zeitpunkt dort. Ich habe das lustigerweise – das ist jetzt wieder ein Kreisschluss – damals mit der Samantha Hankey gemacht, die damals auch für Isabel Leonard als Octavian eingesprungen ist. Sie hatte die Barrie Kosky-Produktion damals auch in der Premiere gemacht und hat mich dann in München quasi wie ein Blindenhund über die Bühne geführt. Das hat super funktioniert. Da habe ich einfach nur versucht, so viel wie möglich an dem Vorgegebenen zu erfüllen und so wenig wie möglich Chaos zu stiften – abseits des Charakters natürlich. So viel zum Thema Barrie Kosky-Produktion.
Bei der Schenk-Inszenierung in Wien habe ich mich relativ lange gesträubt, weil ich dachte, ich passe da eigentlich nicht rein. Aber dann habe ich das 2016 zum ersten Mal in München gesungen – in der alten Produktion, die auch von Schenk war, und habe gemerkt, das funktioniert. Und dann habe ich mich dazu überreden lassen, das auch in Wien zu singen. Wir haben das dann 2020 für die Fernsehaufzeichnung das erste Mal gemacht. Jetzt habe ich, muss ich sagen, eigentlich Spaß an dieser Rolle und Inszenierung, weil das gar nicht so museal und verstaubt ist, wie manche Leute behaupten. Das hängt immer einfach von der Darstellung ab. Bei diesen Produktionen, die im Prinzip in der Struktur richtig und gut sind – ob jetzt in Wien die alte Wallmann-Tosca oder eben der Schenk-Rosenkavalier – kann man, glaube ich, doch relativ lebendiges Theater gestalten, wenn man „moderne“ Charaktere reinstellt. Das ist das Schöne bei Repertoire. Jemand von heute, der vielleicht andere Ansprüche [Anm.: an die Regie] hat, geht auf jeden Fall nicht gelangweilt nach Hause.
klassik-begeistert: Meine Auffassung ist, dass diese alten Inszenierungen vor allem vom Publikum immer noch sehr, sehr gut aufgenommen werden. Die Kritik kommt doch eher aus den künstlerischen Kreisen.
Günther Groissböck: Ja, eher so ein bisschen aus dem modernen Feuilleton-Kreisen. Da sage ich, ja Kinder, was wollt ihr eigentlich, es muss einfach ein gut ausgewogenes Mahl serviert werden. Es ist schon wichtig, dass es gelegentlich auch mal ältere Inszenierungen, die den Leuten mal wieder einen Einblick in eine andere Lesart geben, gibt. Und wenn man dann merkt, dass es die Leute nicht mehr interessiert, muss man das erneuern. Aber man muss nicht auf Krampf irgendwie sagen, das ist nicht mehr zeitgemäß und das passt nicht. Das Publikum entscheidet das eh. Ich glaube, das Theater läuft, was das betrifft, sehr demokratisch, Gott sei Dank.
klassik-begeistert: Ich würde nochmal gerne zum Ochs zurückkommen. Der österreichische Dialekt ist ja sehr eng verbunden mit dieser Rolle, das habe ich gerade bei Ihren Interpretationen – im Vergleich zu anderen Aufnahmen – sehr stark wahrgenommen. Was für einen Dialekt spricht denn eigentlich der Ochs als Charakter, unabhängig vom Interpreten?
Günther Groissböck: Für diesen Baron hatte Hofmannsthal natürlich ein historisches Vorbild, das er da im Prinzip persifliert. Diese Vorbilds-Person kommt wahrscheinlich aus niederösterreichischen Gefilden. Das ist im Prinzip mein Dialekt. Aber es geht jetzt gar nicht nur um die sprachliche Färbung, vom Idiom oder vom phonetischen, sondern das betrifft auch die Marschallin, auch Faninal ein bisschen – um diesen Subtext, der die ganze Zeit mitschwingt. Speziell zwischen Marschallin und Ochs läuft einfach dieses zutiefst Wienerische, dass man Dinge sagt und Anderes meint. Einfach mit einer leicht höfischen Note mit anderem Inhalt. Das ist letztendlich das Geheimnis, letztlich ja immer die Würze und das, was dann einen Rosenkavalier zu dem macht, was er auch sein kann. Man hört und spürt einfach immer etwas mitschwingen. Letztendlich klingt das auch in der Musik immer wieder an. Dieses ganze Orchester ist ja wahnsinnig fein und super erzählerisch, mit ganz viel Hinweisen geschmückt und beladen. Das ist so wie das Grinsen der Mona Lisa. Niemand kann es beschreiben , aber es ist einfach da. Und wenn das richtig und im richtigen Licht präsentiert wird, ist jeder verzaubert. Das ist die Kunst des Rosenkavaliers und vom Ochs speziell.
klassik-begeistert: Diese ur-Wienerischen Feinheiten verbinden ja viele Leute mit dem Rosenkavalier. Wie ist das, wenn Sie das jetzt in New York aufführen? Verstehen die Leute dort das so, wie wenn man das in Wien aufführen würde?
Günther Groissböck: A bisserl anders. Aber – und das ist das Wesen von großer Kunst, egal ob darstellende oder Musik – die ewige Message und das große Geheimnis vermittelt sich immer und überall. Vielleicht gerade bei gewissen Gags nicht gleich so unmittelbar und so direkt wie jetzt in Wien. Und in New York haben Sie ja immer das Problem, dass sehr viele Leute an den Übertiteln hängen – jede Sitzreihe da hat ja dieses Übertitelsystem. Da hat man oft Dinge auf der Bühne, wo niemand lacht, wenn der Gag gerade passiert. Da wundert man sich natürlich als Darsteller und denkt sich „Moment, das war ja eigentlich lustig und keiner lacht.“ Und dann lacht das Publikum mit einer Verzögerung von ein paar Sekunden, weil das erst dann beim Publikum im Übertext erscheint. Da lachen die Leute dann an Stellen, wo nix passiert. Aber im Wesentlichen kommt die Message durch. Vielleicht nicht ganz so fein wie in Wien, aber im Prinzip ja.
klassik-begeistert: Das heißt, Sie würden sagen, dass man diese ganzen Feinheiten und diese Message auch übersetzen kann, wenn wir davon ausgehen, dass viele Leute das vielleicht in der Originalsprache nicht verstehen?
Günther Groissböck: Vielleicht nicht sprachlich unbedingt im Detail. Aber wie sagt man so schön, der Ton macht die Musik. Das ist die Kunst bei Strauss und Hofmannsthal und ganz besonders beim Rosenkavalier. Da sind viele kleine Stilelemente, die er verwendet. Ich erkläre das immer gerne mit diesen Triolen, die der Ochs verwendet. Das ist einfach diese unfassbare Präpotenz, da muss man das Wort – im sprachlichen Sinne – gar nicht verstehen. Aber man versteht den Sprechduktus und den Rhythmus, in dem er spricht. Da kommt man letztlich auch an die Essenz der Musik. Was vermittelt Musik eigentlich? Es ist auf jeden Fall viel mehr als Sprache. Das reine, plakative Übersetzen eines Wortes bedeutet noch nicht, dass man den tieferen Sinn erfasst hat. Das ist eben die Kunst und das macht Strauss und Hofmannsthal als Duo auch so herausragend, so genial.
klassik-begeistert: Ich habe tatsächlich einmal in San Francisco die Zauberflöte auf Englisch gesehen. Seitdem ist die Frage, ob man das überhaupt übersetzen kann, für mich ein sehr interessantes Thema. Die Zauberflöte wird ja – glaube ich – auch an der Met zum Teil immer noch auf Englisch aufgeführt.
Günther Groissböck: Ja, die englische Version gibt es, aber jetzt kommt wieder eine auf Deutsch. Hofmannsthal, das ist Weltliteratur, das ist wirklich ganz was Großes. Die Zauberflöte oder auch Fidelio, sind in der Poesie jetzt nicht gerade das, wo man die große Labung in den Worten finden würde. Da kann man auch darüber diskutieren, ob man das jetzt in der Originalsprache aufführt oder übersetzt, um den Leuten den Zugang zu ermöglichen. Aber trotzdem, für uns, die wir mit der entsprechenden Sprache aufgewachsen sind , ist das natürlich schwer verdaulich. Ich weiß nicht, wie es Ihnen dabei geht, aber ich empfinde das so.
klassik-begeistert: Zauberflöte und Fidelio sind auch keine Fledermaus, wo man diese ganzen Späße im dritten Akt nicht mehr übersetzen kann, weil sie einfach nicht übersetzbar sind.
Günther Groissböck: Das ist das absolute Limit, das ist klar. Das ist dann die Grenze. Aber Fidelio und die Zauberflöte, die kann man schon übersetzen.
klassik-begeistert: Das ist generell ein schwieriges Thema. Bis vor kurzem wurden Opern oft in der Landessprache gespielt, auch die ganzen italienischen samt Verdi und Puccini. In Hamburg gab es noch 2019 eine Nase auf Deutsch, also nicht in der Originalsprache.
Günther Groissböck: Wir haben in München Die verkaufte Braut auch auf Deutsch gemacht. Da ist ein interessanter Sonderfall, weil das ja auch auf Deutsch vorgesehen war. Aber es gibt Dinge, wo man merkt, dass die übersetzte Sprache in der Sanglichkeit wieder Grenzen schafft. Gerade im Italienischen wird der klassisch italienische Legato-Fluss durch die deutsche Sprache einfach irritiert. Aber das ist je nach Stück sehr unterschiedlich. Manche Stücke vertragen es, bei anderen geht’s halt gar nicht.
klassik-begeistert: Eine Frage, die unsere Leserinnen und Leser interessieren würde: Haben Sie denn eine Lieblingsmarschallin?
Günther Groissböck: Das ist eine ganz, ganz schwere Frage. Qualitativ kann ich das auf keinen Fall sagen, weil ich wirklich sehr viele tolle Interpretationen erlebt habe und diese auf keinen Fall vergleichen möchte. Zum Beispiel in Wien im Dezember letztes Jahr habe ich den Rosenkavalier wieder zum ersten Mal mit Krassimira Stoyanova gesungen. Mit ihr habe ich damals in Salzburg 2014 debütiert. Wir haben insofern eine sehr verbindende Geschichte, weil wir im Frühling vorher – also im Winter vor diesem Debüt 2014 – Rusalka gemeinsam in Wien gemacht hatten. Wir haben beide parallel den Rosenkavalier auch studiert. Wenn man so will, ist das eine Studienpartnerin, und wenn man die dann nach acht Jahren wieder trifft, mit der gleichen Rolle, ist das einfach – rein von der menschlichen Seite, aber auch vom biographischen – eine sehr schöne Wiederbegegnung. Das hat jetzt nichts mit Lieblingsmarschallin zu tun, das ist einfach nur so ein besonderes Wiedersehen.
klassik-begeistert: Wir danken sehr herzlich für das Gespräch.
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Wir laden Sie herzlich zum 3. Teil des Gesprächs mit Günther Groissböck am Mittwoch, 29. März 2023 hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at ein.
Interview mit Günther Groissböck, Teil 1 klassik-begeistert.de, 23. März 2023
Exklusivinterview mit Petra Lang – Teil 1 klassik-begeistert.de 19. September 2022
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