Foto: Zoltan-Almashi, (c) Ivanko Dovhanyk
Gespräch mit Zoltan Almashi (Золтан Алмаші) Ukrainischer Komponist und Cellist
In Zoltans Werken spüre ich die Ukraine – die, die ich in meiner Kindheit aus Romanen des 19. Jahrhunderts oder aus Dumki (ukrainische Volkslieder) kennengelernt habe. In dieser Musik steckt eine tiefe, herzzerreißende Sehnsucht und gleichzeitig eine beruhigende Süße. All dies entdeckte ich, als ich zum Beispiel seine Symphonie Nr. 2 „Die Insel“, „Die vier Jahreszeiten“ für Klavier, Violine und Violoncello, oder das Konzert für Kontrabass und Streichorchester höre.
Am 24. Februar sollte ich mit ihm ein Interview über die aktuelle Situation von Komponisten und Musikern in der Ukraine durchführen. Wir haben uns erst drei Tage später unterhalten, als Zoltan aus Kiew nach Lemberg (Lviv) verreist ist.
von Jolanta Łada-Zielke
klassik-begeistert: Wie war der 24. Februar für dich?
Zoltan Almashi: Ich bin aufgewacht und habe Dutzende verpasster Anrufe von Freunden gesehen… Schock, und Verwirrung. Ja, meine Reaktion war vor allem Verwirrung.
klassik-begeistert: Konntest du dich mit deiner Familie schnell an einen sicheren Ort begeben?
Zoltan Almashi: Wie sich herausstellte, haben wir in der Nähe viel Platz um uns zu verstecken. Und in meinem Haus gibt es einen Keller und einen Tiefparkplatz in der Nachbarschaft. Die U-Bahn ist nicht in meiner Nähe, aber ich habe sie trotzdem erreicht. Natürlich ist die U-Bahn der sicherste Ort. Was mir aufgefallen ist – wie viele wunderbare Menschen leben in meiner Stadt! Im Alltag ist es nicht so offensichtlich.
klassik-begeistert: Wie sieht das aus?
Zoltan Almashi: Alle helfen einander, sowohl psychisch als auch finanziell. Ich beobachte einen seltsamen Zusammenhalt der ukrainischen Nation (das gilt natürlich nicht für prorussische Sympathisanten, Provokateure und geheime Feinde). Alle Missverständnisse und Streitigkeiten lassen wir für später. Die Regierung, der Präsident und die Stadtverwaltung verhalten sich richtig und mutig. Ich glaube, wir werden siegen! Aber vor allem mit Hilfe der ganzen Welt, vor allem der Vereinigten Staaten und der europäischen Länder.
klassik-begeistert: Wie bist du nach Lviv gekommen? Und mit oder ohne deinem Cello?
Zoltan Almashi: Am 26. Februar bin ich nach Lviv mit dem Zug angereist. Alle Züge in westlicher Richtung nahmen alle Passagiere möglichst umsonst mit, natürlich vor allem die Frauen und die Kinder. Das Cello ist leider in Kiew geblieben… Wie ich meinen Freunden scherzhaft sagte – „ich werde endlich ein „reiner“ Komponist!“ Solch traurige Witze helfen uns ein wenig.
klassik-begeistert: Planst du, die Ukraine zu verlassen oder hier zu bleiben?
Zoltan Almashi: Im Moment habe ich keine Pläne, denn alles ändert sich sehr schnell. Ich habe nicht vor, die Ukraine zu verlassen, ich glaube an ihren Sieg! Es gibt keine andere Lösung! Entweder siegt die Ukraine oder die Welt steht vor sehr dunklen Zeiten!
klassik-begeistert: Die aktuelle Situation ist ungünstig für das Komponieren. Aber vielleicht hast du schon eine Idee für ein Antikriegsstück, das von den aktuellen Ereignissen inspiriert ist?
Zoltan Almashi: Mein kreatives Denken ist jetzt völlig gelähmt. Aber ein Antikriegswerk wird definitiv erscheinen!
klassik-begeistert: Man hat jetzt das kulturelle Leben in der Ukraine beiseitegeschoben. Aber vielleicht kann man zumindest kleine Konzerte organisieren? Die Musik gibt Kraft, Hoffnung und stärkt das Gefühl der nationalen Einheit, und das ukrainische Publikum braucht sie sicherlich.
Zoltan Almashi: Jetzt gibt es nirgendwo in der Ukraine ein kulturelles Leben. Im Moment entscheidet sich allgemein das Schicksal unserer Existenz, nicht mehr und nicht weniger. Viele haben keine Ahnung, was für ein schreckliches Monster Putins Russland ist. Putins Russland gleicht sowohl Hitlers Deutschland als auch Stalins UdSSR. Deshalb reden wir jetzt nicht über die Konzerte. Es gibt aber spontane musikalische Manifestationen, zum Beispiel, wenn ein Trompeter in Sumy (eine Stadt im Nordosten der Ukraine) die Nationalhymne der Ukraine auf der Straße spielt.
klassik-begeistert: Kann man euch in künstlerischer Hinsicht helfen, indem man die Konzerte für die Ukraine in Europa und auf der ganzen Welt organisiert?
Zoltan Almashi: Natürlich werden wir dafür sehr dankbar sein! Tatsächlich sind uns bereits Vorschläge gemacht worden, und meine Kollegen und ich versenden die Noten.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Jolanta Łada-Zielke, 27. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Zoltan Almashi (geb. 1975 in Lviv) ist zeitgenössischer ukrainischer Komponist, Cellist, Pädagoge, Musikaktivist, Gründer und künstlerischer Leiter des Levko Revutskyi String Quartet (seit 2018) sowie Mitgründer und Manager des klassischen und zeitgenössischen Kammermusikfestivals Gulfstream.
Er abschloss das Cello- (1998) und das Kompositionsstudium (1999) an der Mykola Lysenko National Music Hochschule in Lemberg. Von 1999 bis 2002 arbeitete er bei Yevhen Stankovych an der Kompositionsabteilung der Nationalen Tschaikowsky-Musikhochschule der Ukraine in Kiew. 2008 erhielt er ein Stipendium „Gaude Polonia“ in Polen, was ihm die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Aleksander Lasoń ermöglichte. Seit 2001 gehört Almashi zu der National Union of Composers of Ukraine. Im Jahr 2000 wurde er Solist des National Solistenensemble von Camerata Kiew, des Ensembles für zeitgenössische Musik Ricochet, und arbeitete mit der Musikgruppe Neue Musik in der Ukraine zusammen.
Zoltan Almashi hat über 70 Werke komponiert, darunter Sinfonien sowie zahlreiche Kammermusik- und Instrumentalstücke sowie die Oper „Penita“. Er war Preisträger beim internationalen Serhij-Prokofjew-Wettbewerb in Mariupol in den Kategorien Cello und Musikkomposition. Zu seinen Auszeichnungen gehören auch der Revutskyi-Preis (2003) und der Liatoshynskyi-Preis (2013).
Die Videos zu den Aufführungen Zoltans Werken:
Zoltan Almashi – Konzert für Kontrabass Solo und Streichern
https://www.youtube.com/watch?v=942LiFYXHx4
Zoltan Almashi – Symphonie Nr. 2 „An Island“
https://www.youtube.com/watch?v=ywM7Z3X_-Ds
Zoltan Almashi – „Die vier Jahreszeiten“
https://www.youtube.com/watch?v=wVrz0PgqIb4
Interview: Frieder Bernius, Chorleiter, Gastdirigent und Dozent klassik-begeistert.de