Axel Ranisch gestaltet „Il trittico“ in Reverenz an Chiara De Tanti

Italienische Opernwochen 2023, Giacomo Puccini „Il trittico“  Staatsoper Hamburg, 31. März 2023

Foto: Gianni Schicchi, Narea Son und Roberto Frontali © Dr. Holger Voigt

Ein wunderschöner Opernabend – endlich wieder einmal in Parität von Musik und Inszenierung, nahm in verdientem Applaus sein Ende. Wer „Il trittico“ noch nie gesehen hat, sollte das umgehend nachholen. Und es gilt ja für diese Oper „pay one – get three“, da ist man immer auf der Gewinnerseite.

Italienische Opernwochen 2023

Giacomo Puccini „Il trittico“

Das Triptychon (1918)

Gianni Schicchi
Il tabarro
Suor Angelica

Staatsoper Hamburg, 31. März 2023

von Dr. Holger Voigt

Schock, Entsetzen und tiefe Trauer brechen sich Bahn: Die begnadete Schauspielerin Chiara De Tanti, erst jüngst bei den Filmfestspielen für ihre Rollengestaltung der Giorgetta in „Il tabarro“ in Cannes mit einem Preis bedacht, ist tot. Viel zu früh ist sie gegangen und hinterlässt eine kaum zu schließende Lücke. In zahlreichen Video-Interviews mit Weggefährten, Schauspielerkolleginnen, Regisseuren, aber auch ihrer Managerin und ihrer Schwester bringen diese ihre tiefe Betroffenheit zum Ausdruck. Zug um Zug vervollständigt sich das Bild, und es zeigt sich im beruflichen wie im privaten Bereich Chiara De Tantis eine Persönlichkeit, die neben öffentlicher Bewunderung auch ihre Tiefen und Abgründe hatte. Wir lernen, dass ihr Tod ein selbstgewählter war, eine Folge ihrer traumatischen Erfahrung, als sich ihr geliebter Sohn im Alter von nur 16 Jahren das Leben nahm.

Chiara De Tanti ist eine frei erfundene, fiktive Figur des Regisseurs Axel Ranisch, die diese Schauspielerpersönlichkeit durch die drei getrennten Anteile des Triptychons „Il trittico“ führt und damit verknüpft. Ranisch tut dieses aber nicht linear, sondern mehrdimensional in Raum und Zeit. Er lässt die Impersonation Chiara De Tantis selbst als Darstellerin einer Darstellerin auftreten und erzeugt dadurch einen anhaltenden Spannungsbogen, der sich wie ein roter Faden durch das Gesamtwerk hindurch zieht. Das dramaturgische Stilmittel „Szene in Szene“, schon des öfteren in Oper und Ballett verwendet („Spiegel in Spiegel“, „Theater in Theater“, „Bild in Bild“), lässt den Zuschauer unablässig rätseln, ob bzw. ab wann welche Realität verarbeitet wird. Das ist Axel Ranisch ganz hervorragend gelungen, auch wenn es nicht den Geschmack aller Zuschauer zu treffen vermag. Auf diese Weise kommt eine richtig „große Oper“ auf die Bühne, die als Einheit wahrgenommen werden kann, was sie kompositorisch eigentlich nicht ist.

Auf dem Boden des Sinnzusammenhanges „Tod“, der ebenfalls alle Teile von „Il trittico“ miteinander verknüpft, wird – in Abänderung der ursprünglichen Reihung – die Opernfolge mit einer vor Witz und Spielfreude strotzenden Erbschleicher-Komödie („Gianni Schicchi“) eröffnet. Musikalischer Höhepunkt ist die Sopran-Arie der Lauretta (ganz hervorragend: Narea Son) „O mio babbino caro“. Mit diesem anrührenden Gesang versucht sie, Gianni Schicchi zu bewegen, bei dem Erbschleicher-Plot mitzuwirken, dessen Hintergrund für sie ihre Liebe zu Rinuccio (tadellos und stimmgewaltig: der ukrainische Tenor Oleksiy Palchykov) ist, den sie ehelichen möchte und von dem sie in wenigen Monaten ein Kind erwartet.

 „Il tabarro“ ist ein melodramatischer Psychothriller, der alle Elemente einer Tragödie aufweist. Aus Trauer über den frühen Tod ihres Kindes zerbricht die Beziehung zwischen Michele (Roberto Frontali, Bariton) und Giorgetta (Elena Guseva, Sopran), die sich mit einem anderen Mann einlässt – Luigi (Najmiddin Mavlyanov, Tenor). Aus Wut und Eifersucht tötet Michele ihn und bedeckt die Leiche mit seinem Mantel (tabarro), den er erst wieder aufdeckt, um Giorgetta den toten Rivalen zu zeigen. Dramatisch bis zum Anschlag ertönt hier die Musik Giacomo Puccinis, die voll im Verismo-Klangmeer schwelgt, musikalisch ein richtiges Meisterstück des Komponisten.

„Suor Angelica“ ist die bittertraurige Lebensgeschichte einer jungen Fürstentochter, die ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hat und deswegen von ihren Eltern in ein Kloster verbannt wurde, ohne zu erfahren, was aus ihrem Kind geworden ist. Stück um Stück zerbricht sie an dem schwelenden inneren Konflikt, der sie nicht eine Sekunde lang zur Ruhe kommen lässt. Als sie schließlich von der als Kindesvormund beauftragten Tante (Katja Pieweck) im Zuge von Erbschaftsregelungen erfährt, dass ihr Kind bereits zwei Jahre zuvor verstorben ist, bricht sie endgültig zusammen und begeht Selbstmord. Und plötzlich – fast wie eine Entpuppung wirkend – wird aus Schwester Angelica die Schauspielerin Chiara De Tanti, deren Schicksalsstränge denen Schwester Angelicas zu gleichen scheinen. Beide Personen verschmelzen miteinander: Auch Chiara De Tanti befindet sich an dieser Weggabelung zwischen Berufung/Beruf und der Realität erlebter Leiderfahrung. Auch sie entscheidet sich für den Freitod. Kaum hat sie das Gift geschluckt, er„lebt“ sie, wie alle Beteiligten der vorangegangenen Opernanteile an ihr Grab treten und als Zeichen ihrer Liebe Blumen ablegen.

Elena Guseva © Dr. Holger Voigt

Die Musik Giacomo Puccinis hat einen hohen Wiedererkennungswert – Puccini klingt doch zumeist eben wie Puccini (während die Musik Giuseppe Verdis schon einmal mit der Vincenzo Bellinis verwechselt werden kann). Gleichwohl ist die Musik Puccinis ungemein packend und entfaltet eine atmende emotionale Sogwirkung, die sie unvergleichlich macht. Dazu gehört ein brillantes Orchester, das genau diesen einzigartigen Klang zu erzeugen versteht. Maestro Giampaolo Bisanti ließ das Philharmonische Staatsorchester Hamburg im veristischen Klangmeer geradezu schwelgen und packte das Publikum in crescendierenden Zuspitzungen, so dass man das Gefühl hatte, tatsächlich in einem italienischen Opernhaus zu sitzen.

Die Chöre des Abends – der Chor der Staatsoper Hamburg  (Leitung: Eberhard Friedrich) nebst den Alsterspatzen, dem Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper (Leitung: Luiz de Godoy), zeigten sich auf höchstem Niveau. Gleiches gilt auch für die Sängerinnen und Sänger, von denen insbesondere Roberto Frontali, Bariton, Elena Guseva, Sopran, Najmiddin Mavlyanov, Tenor, Narea Son, Sopran, und Oleksiy Palchykov, Tenor, in ihren Rollen brillierten.

Und noch ein Wort zu den wunderschönen Bühnenbildern (Falko Herold). So stellt man sich „große Oper“ vor, hier ist nichts übertrieben oder allzu reduziert. Quirlig die geradezu singspielartige Szenenplatzierung in „Gianni Schicchi“, düster die Tristesse auf dem Lastkahn bei Paris, verklärt und transzendierend die Schlußsequenz in „Suor Angelica“ – gleichsam einem atmosphärischen Wandlungsprozess der inneren Befindlichkeiten entsprechend.

Ein wunderschöner Opernabend – endlich wieder einmal in Parität von Musik und Inszenierung, nahm in verdientem Applaus sein Ende. Wer „Il trittico“ noch nie gesehen hat, sollte das umgehend nachholen. Und es gilt ja für diese Oper „pay one – get three“, da ist man immer auf der Gewinnerseite.

Dr. Holger Voigt, 31. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Leitung: Giampaolo Bisanti
Inszenierung: Axel Ranisch

Chor der Hamburgischen Staatsoper
Leitung: Eberhard Friedrich

Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper, Alsterspatzen
Leitung: Luiz de Godoy

Bühne, Video und Projektionen: Falko Herold

Gianni Schicchi

Gianni Schicchi: Roberto Frontali
Lauretta: Narea Son
Zita: Katja Pieweck
Rinuccio: Oleksiy Palchykov
Gherardo: Peer Fürwentsches
Betto di Signa: David Minseok Kan
Simone: Tigran Martirossian
Marco: Alexey Bogdanchikov
La Ciesca: Ida Aldrian
Maestro Spinelloccio: Han Kim
Ser Amantio di Nicolao: Mateusz Lugowski
Pinellino calzolaio:  Michael Reder
Guccio tintore: Kauta Räsänen

Il tabarro

Michele: Roberto Frontali
Luigi: Najmiddin Mavlyanov
Il Tinca: Tigran Martirossian
Giorgetta: Elena Guseva
La Frugola: Katja Pieweck
Un venditore di canzonette: Florian Panzieri
Due amanti: Nareda Son, Oleksiy Palchykov

Suor Angelica

Suor Angelica: Elena Guseva
La zia Principessa: Katja Pieweck
La badessa: Renate Spingler
La suora zelatrice: Hellen Kwo
La maestra delle novizie: Priscila Olegário
Suor Genovieffa: Narea Son
Suor Osmina: Olivia Boen
Suor Dolcina: Kady Evanyshyn
La suora infermiera: Ida Aldrian
Cercatrice 1: Soomin Lee
Cercatrice 2: Luminita Andrei
Una Novizia: Marina Ber
Due Converse: Jin-Hee Lee, Clara Kunzke
Due Suore: Marina Ber, Daniel Panchevska

Giacomo Puccini, Tosca Staatsoper Hamburg, 30. März 2023

Giacomo Puccini, Il trittico Staatsoper Hamburg, 21. März 2023

Giacomo Puccini, Il trittico, Premiere Staatsoper Hamburg, 15. März 2023 PREMIERE

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