Das begeisterte Publikum dankte den Künstlern mit anhaltendem großen Beifall, mit vielen Bravorufen für die Sänger, den Chor, das Orchester und den Dirigenten und mit Standing ovations. Eine der folgenden Vorstellungen in Dessau sollte man sich nicht entgehen lassen. Hier stimmte in dieser Repertoire-Vorstellung einfach alles!
Anhaltisches Theater Dessau, 22. Februar 2020
Jacques Offenbach, Hoffmanns Erzählungen (Les Contes d’Hoffmann)
Foto: Anhaltisches Theater Dessau, wikipedia.de (c)
Fantastische Oper in fünf Akten. Libretto von Jules Barbier
von Guido Müller
Am Anhaltischen Theater Dessau feiert die musikalisch herausragende, in der Inszenierung stringente, emotional stark berührende wie auch humorvolle Produktion der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach einen großen Publikumserfolg. Das gilt seit der Premiere am 25. Oktober 2019 auch für die in teilweise neuer Besetzung am 22. Februar 2020 gegebene Vorstellung.
Da die Oper vor dem Tode Offenbachs nicht bühnenreif vollendet war, steht jedes Opernhaus vor der Frage der zu spielenden Fassung. Dessau greift erfreulicherweise auf die umfangreiche Oeser-Fassung in französischer Fassung mit ein paar kleineren Umstellungen zurück. Das bedeutet gute zweieinhalb Stunden Opernglück in dem großen Opernhaus, einem Riesenbau von 1938.
Kein Moment der Langeweile kommt auf in dieser zudem vor originellen, fast immer werkimmanenten Einfällen sprühenden Inszenierung Roman Hovenbitzers. In dieser Fassung kommt der Rolle der Muse des Dichters E. T. A. Hoffmann eine besondere inhaltliche und vor allem auch musikalische Bedeutung zu. Immer wieder greift die Muse in das Geschehen ein, kommentiert und begleitet den Dichter als Studentenfreund Niklausse.
Glanzvoll und mit enormer Bühnenpräsenz wird die Muse dargestellt von der jungen kanadischen Mezzosopranistin Mireille Lebel (Gast am Hause), zunächst als Putzfrau auf der Theaterhinterbühne, dann als verkleideter Student. Schließlich spielt der erste Akt teilweise in einem Opernhaus, in dem die vom Dichter Hoffmann verehrte Sängerin Stella die Donna Anna in Don Giovanni singt. Frau Lebel gewinnt als Muse mit großer Ausstrahlung, Präsenz und Herzlichkeit schnell die Zuneigung des Publikums. Sie erringt für ihre erste Arie schon gleich den ersten Applaus des Publikums. Mit dem warmen Schmelz und zugleich einem enormen feinen Ausdrucksspektrum ihrer Stimme überzeugt sie mühelos in jedem Moment der Aufführung.
Mit schmetternder heldentenoraler Kraft lässt daneben der polnische Tenor Dominic Sutowicz (ebenfalls Gast) als Hoffmann und stimmlicher Kraftprotz zunächst befürchten, wir befänden uns in einer Wagner-Oper und nicht in dem mit diversen musikalischen Farben fein ziselierten, schillernden Werk Offenbachs aus der späten Belle Epoque. Doch Sutowicz steht nicht nur die äußerst anspruchsvolle Partie kraftvoll und mühelos bis zum Ende durch und beeindruckt damit durch Stimmpracht. Im Verlauf der Oper zeigt Sutowicz außerdem auch seine Fähigkeit zu lyrischem und zartem Ausdruck auch in der von ihm mühelos bewältigten Höhe der gefürchteten Partie. Damit stellt Sutowicz den Hoffmann als Charakterstudie eines an seiner Umwelt und seinen Träumen zunehmend zerbrechenden, gleichsam implodierenden romantischen Dichters auch gesanglich eindrucksvoll dar. Es bleibt zu hoffen, diesen in Polen sehr präsenten Tenor auch häufiger an deutschen Opernhäusern erleben zu dürfen.
Sein Alter Ego wird in einer plausiblen Idee des Regisseurs Roman Hovenbitzer durch einen Schauspieler gespielt und auch schon mal als Konkurrenten humorvoll konterkariert, quasi als nicht immer ganz ernst zu nehmende Spaltung der einen Persönlichkeit der Oper zwischen dem Dichter und dem Sänger. Tino Kühn stellt ihn mit Zitaten E.T.A. Hoffmanns dar. Damit bleibt der epische Charakter der Oper durchgehend präsent. Musik und Oper werden immer wieder durch diese sprachlichen Elemente gebrochen und gespiegelt. Als Zuschauer kommt man mit diesem guten Einfall der Sprache und Stimmung E.T.A. Hoffmanns näher als sonst.
Die Rahmenhandlung des ersten und des fünften Aktes stellt die Eingangssituation und den Ausgang der dazwischenliegenden drei Frauenakte mit den drei Liebesgeschichten des Dichters dar. Drei Frauen, die im Kopf wie in den Sinnen und schließlich im Werk des Dichters Facetten der angebeteten Opernsängerin Stella verkörpern. Die Puppe Olympia im zweiten Akt, die Sängerin Antonia im dritten Akt und die venezianische Kurtisane Giulietta im vierten Akt.
Im ersten Akt singt der Dichter Hoffmann vor seinen studentischen Freunden bei einem Trinkgelage zunächst auf deren Wunsch das Spottlied des verkrüppelten Klein-Zack (hier im Donald Duck Kostüm). Doch während des Vortrags überkommt ihn die Erinnerung an das Gesicht Stellas gefolgt vom Spott der Anwesenden über den Liebenden und unverstandenen Außenseiter. Hoffmanns Rivale ist im ersten Akt der reiche Stadtrat Lindorf, der mit einer Intrige Stella von Hoffmann abzuwenden versteht. In unterschiedlicher Verkörperung kehrt der teuflische Widersacher in den drei folgenden Akten wieder.
Diesen Bösewicht spielt und singt der argentinische Bariton Matias Tosi (als Gast) mit allen Verführungskräften des Körperlichen seiner enormen Bühnenpräsenz ebenso wie mit seiner faszinierenden Bandbreite der Facetten einer sehr schön in allen Lagen klingenden Stimme. Auf den ersten Eindruck ein südamerikanischer Macho wie aus dem Bilderbuch. Doch weit darüber hinaus überzeugt Tosi restlos mit großer Eleganz, Intelligenz und Präsenz seiner strahlenden Stimme. Tosi singt auch an großen Häusern wie der Württembergischen Staatsoper in Stuttgart. Er betätigt sich zudem seit einigen Jahren als Kulturmanager des Hundertwasser-Hauses in Magdeburg. Daher singt er zum Ausgleich nur noch in zwei bis drei Produktionen jährlich. Das macht sich an seiner ausgeruhten und bis ins Detail sorgfältig geführten Stimme bemerkbar. Ein Haus wie das Anhaltische Theater Dessau kann sich glücklich schätzen solche Gäste zu verpflichten.
Ein jugendlich wirkender Tausendsassa also nun auf der großen breiten Bühne in Dessau. Tosi nimmt man sofort ab, wie er alle Anwesenden nicht nur mit seiner großen körperlichen Gewandtheit, sondern besonders auch mit der erotischen Strahlkraft seiner Stimme um den Finger wickelt. Mühelos entpuppt er sich sofort als ernstzunehmender Rivale Hoffmanns. Da macht das Böse musikalisch und schauspielerisch einen Riesenspaß schon lange vor seiner berühmten Paradearie, der kraftvoll männlich gesungenen Diamantenarie im Giulietta-Akt in Venedig. Seine Kostüme stechen auch durch besondere Farbenpracht und Einfallsreichtum hervor (Kostüme: Judith Fischer).
Die anspruchsvollen vier Frauenrollen verkörpert die damit bereits von anderen Bühnen her gut vertraute Netta Or (als Gast), die zunächst die halsbrecherischen Koloraturen der mechanischen Puppe Olympia sowohl mit großer körperlicher Artistik ebenso wie mit stimmlicher Beweglichkeit und gestochener Präzision darstellt. Ihre bizarre starke erotische Wirkung auf die beiden Hoffmanns gestaltet Hovenbitzer mit viel körperlichem Witz zu kleinen erotischen Paradestückchen von Vergewaltigungsversuchen einer Maschine ohne Herz und Gefühle, die doch nie peinlich wirken.
Ebenso vermag Netta Or den lyrischen und hochdramatischen Momenten der Sängerin Antonia im dritten Akt berührenden Ausdruck zu schenken. Ihrem Vater Crespel gibt Don Lee eine glaubwürdige Figur und Rita Kapfhammer strahlt als Mutter in den hochdramatischen Ensembles dieses Aktes. David Ameln singt die vier verschiedenen Rollen in allen Akten wie hier den Diener Franz zuverlässig. Eine köstliche Charakterstudie liefert Leszek Wypchlo als Cochenille mit seiner hier zwischen den dritten und vierten Akt eingeschobenen Arie eines an sich zweifelnden Sängers, die er zur Überbrückung des Umbaus vor dem Vorhang singt.
Schließlich überzeugt Netta Or in ihrer intelligent angelegten Stimmökonomie über die sehr unterschiedlichen Stimmfächer und Charaktertypen der Akte hinweg besonders mit der großen Verführungskraft der Edelkurtisane im vorletzten Akt. Sie erscheint in einem hochglitzernden, enganliegenden Kleid in dem mit sinnvollen Videoeinblendungen (Sabine Graichen) kitschfrei inszenierten Venedig-Akt, der auch knisternde Erotik andeutet.
In diesem Akt zeigt der Regisseur zudem die stärksten Übernahmen aus unserer heutigen Welt der Bauinvestoren und Partypeople zugleich mit Assoziationen an die Zwanziger Jahre. Als modernes City Center schiebt sich die aktuelle Welt vor die Venedig-Kulissen und die wandlungsfähigen Teile eines logenbestückten Opernhauses (praktikabel und zugleich schön anzusehen die Bühne Hermann Feuchters). In den Rausch Hoffmanns, der ihn fast um den Verstand bringt und schließlich zum mehrfachen Mörder macht, versetzt ihn Giulietta mit Hilfe von einer Injektion aus der Hand Dapertuttos. Die Halluzinationen Hoffmanns lassen durchaus an die Folgen heutigen Drogenmissbrauchs denken. Die Muse rettet ihn schließlich aus dieser kriminellen und die Realität in Halluzinationen auflösenden Unterwelt.
Als im letzten Akt die Sängerin Stella schließlich zu Hoffmann kommt, findet sie ihn als betrunkenen Verwahrlosten vor. Daraufhin verlässt sie an der Seite Lindorfs das Theater. Die Studenten und die Festgesellschaft wenden sich vom Künstler ab. Nur die Muse tröstet ihn und fordert ihn auf, von nun an ganz auf die Kunst zu vertrauen. Im großen Schlussensemble mit dem kraftvollen präsenten Opernchor und dem Extrachor des Anhaltischen Theaters Dessau (Leitung Sebastian Kennerknecht) wird die Liebe und das den Menschen aber noch größer machende Leid hymnisch besungen.
Die Anhaltische Philharmonie Dessau glänzte unter der Leitung des Kapellmeisters Wolfgang Kluge in jedem Moment mit großer Farbpalette, präzise und packend in den großen ebenso wie in den zarten lyrischen Momenten. Die reiche Partitur Offenbachs schillerte verschwenderisch mit diesem Orchester in allen hochromantisch-dramatischen Ausbrüchen ebenso wie in den feinen Nuancen, die den Impressionismus vorweg zu nehmen scheinen, und auch an den witzig-pointierten Stellen. Offenbach fordert allen Künstlern auf der Bühne wie auch im Orchester rasche Beweglichkeit und Detailhingabe ab, damit das Werk seinen genialen Zauber ganz entfalten kann. Das gilt ebenso für den großen und überwältigenden Klang des ganzen Orchesters wie etwa für das anrührend aufblühende virtuose Violinsolo des Konzertmeisters Gregory Maytan im Antonia-Akt. Hier erlebt man Orchesterkultur auf allerhöchstem Niveau in Dessau.
Das begeisterte Publikum dankte den Künstlern mit anhaltendem großen Beifall, mit vielen Bravorufen für die Sänger, den Chor, das Orchester und den Dirigenten und mit Standing ovations. Eine der folgenden Vorstellungen in Dessau sollte man sich nicht entgehen lassen. Hier stimmte in dieser Repertoire-Vorstellung einfach alles!
Dr. Guido Müller, 24. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at