Das Theater Freiburg überzeugt mit „Hoffmanns Erzählungen“ – und macht Lust auf mehr

Jacques Offenbach, Hoffmanns Erzählungen, Theater Freiburg

© Tanja Dorendorf / T+T Fotografie
Jacques Offenbach, Hoffmanns Erzählungen
Theater Freiburg, 22. Oktober 2017

von Leah Biebert

Mit dem vorletzten Oktoberwochenende hat das Theater Freiburg einen späten Saisonstart gewählt. Der neue Intendant Peter Carb will das Musiktheater in der Spielzeit 2017/18 in die Gegenwart versetzen. Dazu holte er auch das französische Künstlerkollektiv Clarac-Deloeuil > le lab nach Freiburg, das die Oper in erster Linie als politische Kunstform versteht. Seine Inszenierung von Hoffmanns Erzählungen ging als letztes Stück an diesem Eröffnungswochenende auf die Bühne.

Hoffmanns Erzählungen ist nach Carmen das wohl populärste Werk im französischen Opernrepertoire. Protagonist ist der Dichter E.T.A. Hoffmann. Die Geschichten, die erzählt werden, stammen alle von ihm selbst – er wird zum Protagonisten seiner eigenen Werke. Die Liebesabenteuer um die Puppe Olympia, die Sängerin Antonia und die Kurtisane Giulietta, die die drei Hauptakte der Oper bilden, sind eigentlich die Erzählungen Der Sandmann, Rat Krespel und Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild. Hoffmann durchlebt somit die Geschichten, die er selbst geschrieben hat. Es geht um menschliche Konflikte und Probleme, die heute noch genauso aktuell sind wie in Zeiten des Librettisten Jules Barbier und des Komponist Jacques Offenbach.

Der Operettenkomponist Offenbach starb nur vier Monate vor der Uraufführung von Hoffmanns Erzählungen im Oktober 1880. Das Regiekollektiv Clarac-Deloeuil > le lab hat auf der Grundlage seiner Kompositionen eine ganz eigene Oper für das Theater Freiburg entwickelt, die unter dem Leitspruch und Hölderlin-Zitat „Wozu Dichter in dürftiger Zeit?“ steht.

Die verschiedenen Bühnenbilder der Inszenierung lassen sofort erkennen, dass dies eine moderne Interpretation der phantastischen Oper ist. Gekachelte Wände bilden die Grundlage, der Besucher findet sich in Räumen wieder, die an das Theater selbst erinnern: einen Umkleideraum mit Kleiderstangen, einen Proberaum mit Notenständern und Instrumenten und schließlich den Theatersaal selbst. Die moderne Umsetzung der Oper funktioniert an sich gut; sie wirkt niemals zu bizarr oder abstrakt. Das Setting ist wunderbar der Geschichte angepasst und mit kleinen Details versehen, die diese in den Raum Freiburg verorten. So tragen die Chormitglieder als Studenten die T-Shirts der Universität, und Schlemihl wird von Hoffmann mit dem Mast eines der in Freiburg beliebten Spielzeugboote erstochen. Diese Liebe zum Detail fällt auf und kommt bei den Besuchern gut an.

Was allerdings der Aufführung die Intensität nimmt, sind die vom Regieteam eingeschobenen, gesprochenen Passagen. Texte von Hölderlin, Breton und sogar Bob Dylan werden von den Schauspielern Stefanie Mrachacz und Thieß Brammer zwischen den Musiknummern und zu Beginn der einzelnen Akte rezitiert. „Die Poesie wird im Bett gemacht wie die Liebe/Dessen zerwühlte Laken sind die Morgenröte der Dinge/Die Poesie wird in den Wäldern gemacht“, lautet einer dieser irritierenden Bemerkungen. Es geht um die Freiheit der Kunst und die Bedeutung der Poesie in unserer Gesellschaft.

Dass Hoffmann diesen Fragen in der Oper nachgeht, reicht vollkommen. Die Einschübe werden so pathetisch vorgetragen, dass sie seltsam fehl am Platz wirken. Sie rücken die Aufführung in den Kontext des Gegenwarttheaters, aber die Oper benötigt sie nicht, um zu funktionieren.

Die moderne Auffassung der Hoffmann-Figur ist durch und durch gelungen. Sébastien Guèze, der die Partie des Hoffmann kurzfristig anstelle des erkrankten Rolf Romei singt und in Frankreich schon mehrmals in die Rolle des Hoffmann schlüpfte, hat zunächst noch ein paar unsaubere Schlenker in der Stimme, überzeugt aber sowohl als extrovertierter Superstar als auch als schüchterner Liebhaber. Vor allem das Lied vom missgebildeten Zwerg Klein-Zack trägt er mit einer solchen Lässigkeit und Starappeal am Mikrofon vor, dass im Theaterraum tosender Applaus aufbraust. Eine grandiose schauspielerische Leistung, die er im Epilog noch einmal beweist, als er das Lied von Klein-Zack auf dem Boden liegend und mit sterbender Stimme zu Ende bringt.

Das emotionale Spiel des Tenors bildet einen wunderbaren Kontrast zum feierlichen Ernst seines Gegenspielers. Juan Orozco, der die Figuren Lindorf, Coppélius, Miracle sowie Dapertutto verkörpert, brilliert durch seine Zurückhaltung. Dies erlaubt es Guèze, sich mit seiner Rolle voll auszubreiten und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Bass liefert vor allem mit Dapertuttos Arie „Scintille, diamant“ eine beeindruckende Vorstellung ab, begleitet von funkelnden Lichtern einer sich drehenden Diskokugel.

Inga Schäfer wiederum verleiht der Muse, die als Hoffmanns Begleiter Niklaus nicht von dessen Seite weicht, eine freche und vorwitzige Art, die sich auch in ihrem Gesang wiederfinden lässt. Neben den starken Männerstimmen und dem dynamischen Orchester wirkt ihr Mezzosopran allerdings dünn und scheint nicht gegen die Lautstärke des Orchesters und des Chors anzukommen. Deshalb schafft es Schäfer nicht, im Duett mit Guèze mit „Une poupée aux yeux d’émail“ zu überzeugen – schade, denn ihr Spiel an sich ist auf eine kesse Art hervorragend.

Samantha Gaul als Olympia ist die erste der drei Geliebten Hoffmanns, allesamt Sopranistinnen, denen dieser in der Erzählung seiner Liebesabenteuer begegnet. Mit klarer Stimme und sauberen Koloraturen singt sie „Les oiseaux dans la charmille“, eines der Highlights der Oper, zur wunderschönen Harfenbegleitung und im Einklang mit der Flöte.

Die Darstellerin der Antonia, Solen Mainguène, setzt im folgenden Akt noch eins obendrauf. Mit einer unglaublichen Kraft und Sanftheit in der Stimme versteht sie es, die gesamte Bandbreite der Gefühle auszudrücken, und begeistert vor allem im Duett mit Anja Jung, die der Mutter der Antonia ihre Stimme leiht. Nach der Pause wird es für Giulietta-Darstellerin Juanita Lascarro schwer, an die Vorstellung Mainguènes anzuknüpfen. Ihr Spiel ist gut, aber nicht überragend. Im Vergleich zu den anderen Darstellerinnen wirkt sie nicht ganz so leidenschaftlich und die Verkörperung ihrer Figur nicht so recht gelungen.

Mit seinem Schauspiel und seinem Witz sorgt Roberto Gionfriddo in der Nebenrolle des tollpatschigen Cochenille für das komödiantische Element in der Oper. Aber auch mit der Verkörperung des Andrès, des Franz und des Pitichinaccio beweist der in Hamburg geborene Tenor, welch ungemein großen Stellenwert Nebenrollen in einer Oper einnehmen können.

Die musikalische Begleitung liefert das Philharmonische Orchester Freiburg, das im Jahr 1887 gegründet wurde. Dirigent und Generalmusikdirektor Fabrice Bollon weiß das Orchester punktgenau zu führen. Schon das kurze Präludium zu Beginn der Oper ist dynamisch und schwungvoll. Die Musiker unterstützen die Sängerinnen und Sänger in all ihren Eigenheiten, vom zarten Liebesgesang (Akt 3, „C’est une chanson d’amour“) bis zum zirkushaft anmutenden, rauschenden Trinklied der Studenten (Akt 4, „Glou, glou, glou, glou“).

Hoffmanns Erzählungen begeistert am Theater Freiburg letztendlich mit großartigen Schauspielleistungen und teilweise exzellentem Gesang. Dass Sébastien Guèze erst wenige Tage zuvor zu dem Ensemble gestoßen ist, fällt angesichts seiner überragenden Leistung nicht auf – er geht definitiv als der Star des Abends aus dieser Aufführung hervor. An der Inszenierung des französischen Künstlerkollektivs stört allein die Politisierung. Das pathetische Vortragen von Gedichten und Texten verschiedener Epochen und Künstler ist überflüssig, denn es reißt das Bühnengeschehen auseinander und stört so den Lauf der Geschichte. Abgesehen davon ist dem Theater Freiburg eine wunderbare Saisonstartpremiere gelungen mit einem erstklassigen Ensemble, eindrucksvoller Musik und glaubhaftem Bühnenbild.

Leah Biebert, 23. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de

2 Gedanken zu „Jacques Offenbach, Hoffmanns Erzählungen,
Theater Freiburg“

  1. Hoffmanns Erzählungen, Freiburg:
    Exzellenter Musikgenuss, phantastische Sänger, katastrophale Inszenierung.

    Dr. Andreas Bruder

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