Beethovenfest: Es ist Quartettspiel in Vollendung

Jerusalem Quartet: Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) – Streichquartette  klassik-begeistert.de, 20. September 2025

In der Kölner Philharmonie findet das erste von zwei Konzerten des Schostakowitsch-Zyklus mit dem Jerusalem Quartet statt.

Köln, Philharmonie, 19. September 2025

Foto: https://www.mphil.de/orchester/musikerinnen-und-musiker/details/dmitrij-schostakowitsch)

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) – Streichquartette Nr. 4 D-Dur op. 83; Nr. 10 As-Dur op. 118; Nr. 15 es-Moll op. 144

Jerusalem Quartet:
Alexander Pavlovsky, Violine
Sergei Bresler, Violine
Ori Kam, Viola
Kyril Zlotnikov, Violoncello

 von Brian Cooper, Bonn

Das Beethovenfest gibt sich in Köln die Ehre. Zwei Konzerte des Jerusalem Quartet finden in der Philharmonie statt, und es zeigt sich einmal mehr, dass das Kölner Kammermusikpublikum, insbesondere das Quartettpublikum, das beste ist, da es meistens besonders aufmerksam lauscht. An diesem Abend lebte grandioses Quartettspiel in Vollendung auch von der Stille im Publikum.

Nun werden die Dauertuschler und die „Ich bin hier, um gesehen zu werden“-Fraktion auch eher nicht an einem Abend erscheinen, an dem drei Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch auf dem Programm stehen. Umso besser. Es war das erste Konzert im Rahmen des Abos „Quartetto“, das mein Vater über drei Jahrzehnte lang hatte.

Der bordunartige Beginn des Vierten Streichquartetts – Grundton D, darüber ein Dialog der beiden Violinen – entwickelte sich zu einem Klangrausch, der süchtig machte, einem Sog, in dem man sich schnell wiederfand. Die Wärme, das Glühen im Spiel der vier Ausnahmemusiker veredelte insbesondere den elegischen langsamen Satz. Im dritten Satz blühte ein herrliches Cellosolo auf; ein berauschendes Unisono im pianissimo ließ das Publikum beglückt zurück. Das für Schostakowitsch so typische „Pferdegetrappel“ machte das Werk zu einem zugänglichen Einstieg in den Abend.

Nur eine einzelne Dame in Reihe 2 hatte nichts Besseres zu tun, als mit ihrem Handy herumzuscrollen. Ob sie nicht weiß, dass die Ausführenden auf der Bühne das mitbekommen? Oder, schlimmer noch: Ist es ihr egal?

Spätestens im Zehnten Streichquartett war klar: Wir sind in einem sehr besonderen Zyklus der 15 Streichquartette des DSCH, plus Streichquintett: Letzteres ist am Dienstag in Köln zu hören, zusammen mit seinem wohl berühmtesten Quartett, dem Achten. Aber auch das Zehnte ist eines der zugänglichsten Werke und bietet alles, was die Kammermusik des Russen ausmacht. Schmerzhaft-schöne Harmonien im Kopfsatz werden von einem kantigen, gar brutalen, Scherzo abgelöst, in dem klare Anklänge an Bartók zu hören sind, vor allem in den langgezogenen Dissonanzen, die an Schreie eines verwundeten Esels gemahnen.

Auch hier gab es im langsamen Satz ein wundervolles Cellosolo. Man wollte am liebsten gleich im Anschluss ein Orchester auf die Bühne zaubern und beide Cellokonzerte mit Kyril Zlotnikov als Solist erleben. Besonders intensives Spiel in Cello und Viola ging auf Kosten zahlreicher Bogenhaare, und die waren nicht das Einzige, das an diesem Abend riss…

Der versöhnliche Ausklang des Werks verebbte in absoluter Stille; einigermaßen beglückt ging man in die Pause.

Wer das Zehnte Streichquartett potenziert hören möchte, dem lege ich das Arrangement Rudolf Barshais für Streichorchester ans Herz, in der Version des Ostrobothnian Chamber Orchestra unter Juha Kangas, erschienen 2001 beim schwedischen Edel-Label BIS.

Das letzte Werk des Abends ist auch das letzte Quartett, das Schostakowitsch komponierte. Ich hatte am Vormittag meinen Freund Gary angerufen, um zu fragen, ob er auch kommen würde. Gary ist emeritierter Professor für Klavier und Liedbegleitung an der Kölner Musikhochschule. Schnell waren wir beim 15. Streichquartett, von dem er damals so geschwärmt hatte. „Weißt Du noch, die Borodins vor etwa dreißig Jahren?“, fragte ich. „Das Kerzenlicht!“, so Gary.

Das Borodin-Quartett hatte damals in völliger Dunkelheit gespielt, Kerzenständer waren an den Notenständern befestigt, und es gab keinen Applaus, bis das Quartett von der Bühne gegangen und wiedergekommen war. Auch das Jerusalem Quartet ließ das Licht im Saal bis zu fast vollständiger Dunkelheit dimmen. Drei der Musiker spielen ohnehin von Tablets, einzig Sergei Bresler spielt aus klassischen Noten, die hier von einem kleinen Lämpchen beleuchtet wurden.

Das aus sechs ineinander übergehende Adagio-Sätzen bestehende Werk ist von Todesnähe gezeichnet. Ein elegischer Beginn in der ungewöhnlichen Tonart es-Moll führt bald in schroffere Gefilde: Besonders eindrücklich sind die langen Crescendotöne, die an der Bogenspitze beginnen und am Frosch – nah am Steg – in purer Hässlichkeit enden. Jeweils ein Musiker spielt und wird von einem Kollegen abgelöst.

Und in diesem zweiten Satz geschah etwas, für das niemand etwas kann, das aber ein wenig die Spannung aus der Musik nahm: Bresler riss bei einem wilden Pizzicato eine Saite. Nach seiner Rückkehr auf die Bühne gab es (leider) kurzen Applaus, und das war die Stunde der Handvoll Huster, die sich in den Saal verirrt hatte und – dessen bin ich sicher – ohne den Saitenunfall still geblieben wäre.

Dennoch war es „ein großer Abend“, wie sich mein Vater mit Wilhelm Hecker, unserem Nachbarn und Garys Vorgänger an der Musikhochschule, einig gewesen wäre. Das Werk endete in absoluter Stille. Sekundenlang verharrten Musiker wie Publikum in den soeben verebbten Klängen.

Dr. Brian Cooper, 20. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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