In der Kleinen Beethovenhalle in Bad Godesberg findet das dritte von fünf Konzerten des Schostakowitsch-Zyklus mit dem Jerusalem Quartet statt.
Foto: Jerusalem Quartet (c) Nekame Klasohm Hires
Bonn, Kleine Beethovenhalle, 20. September 2025
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) – Streichquartette Nr. 2 A-Dur op. 68; Nr. 7 fis-Moll op. 108; Nr. 9 Es-Dur op. 117
Jerusalem Quartet:
Alexander Pavlovsky, Violine
Sergei Bresler, Violine
Ori Kam, Viola
Kyril Zlotnikov, Violoncello
von Brian Cooper, Bonn
Die Kleine Beethovenhalle im idyllischen Godesberger Ortsteil Muffendorf – ja, er heißt wirklich so – ist ein kleines Juwel. Der Veranstaltungssaal hat eine vernünftige Akustik, und die beiden Gerichte, die zur Pause für kleines Geld angeboten werden, sehen köstlich aus. Kein Wunder, erzählt mir der aus Aachen angereiste Konzertfreund, der schon mal hier war: Eine Restaurantküche ist nebenan.
Normalerweise plädiere ich für die Abschaffung jeglicher Konzertgastronomie. Ich verstehe dieses andauernde Essen und Trinken unter Zeitdruck nicht. Die Leute nehmen ihre Gläser und Flaschen mit in den Saal, wenn man sie lässt, stoßen sie natürlich um, und am Ende geht es zu wie im Kino. Doch beim Anblick der verführerisch aufgereihten Teller mit Reibekuchen und gebeiztem Lachs werde ich schwach. Und mit einem riesigen Topf Suppe kann man mich eh immer kriegen.
Etwa 300 bis 400 Menschen fasst der Saal. Leider ist auch dieses dritte Konzert des Jerusalem Quartet beim Beethovenfest nicht ausverkauft. Die Streichquartette des Dmitri Schostakowitsch sind halt noch immer nicht wirklich Mainstream. Dafür sind die Leute, die hingehen, zumeist diszipliniert, kommen für die Musik.
Das Zweite Streichquartett zählt mit über einer halben Stunde Spieldauer zu den längeren Werken im Zyklus. Die Jerusalems spielen den stürmischen Kopfsatz mit großer Geste. Der langsame Satz beginnt mit einem langen Rezitativ, das Primarius Alexander Pavlovsky mit beseeltem Geigenklang füllt. Die anschließende Romanze wirkt versöhnlich, und Walzer wie Variationen klingen so eindrücklich, dass am Ende eine Stille von einigen Sekunden herrscht. Insbesondere der Finalsatz erscheint wie eine Hymne, die zunächst zerfetzt und anschließend wieder zu einer übertrieben pompösen Melodie zusammengeflickt wird. Ein Statement?
Nach der Pause folgt das Siebte Streichquartett, das der Komponist dem Andenken an seine 1954 verstorbene erste Ehefrau Nina Varzar widmete. Im ersten Satz findet sich ein dreifaches Klopfmotiv, das später, im Achten Streichquartett, zu äußerster Brutalität anwachsen wird. Der langsame Mittelsatz ist eine einzige Klage, und hier wie im Finalsatz entsteht wieder dieser herrliche Jerusalem-Sound, von dem wir längst alle süchtig geworden sind und nicht genug bekommen können. Das Finale enthält eine wilde Fuge – immer wieder finden sich in Schostakowitschs Musik Anklänge an Bach – sowie einen Walzer, der das Thema des Kopfsatzes ironisiert. Und was konnte Schostakowitsch Walzer schreiben! Drei ruhige Fis-Dur-Akkorde beenden das Werk.
Das Neunte Streichquartett steht wie auch die Neunte Sinfonie in Es-Dur. Es ist der dritten Ehefrau des Komponisten gewidmet. Das erste der beiden Adagios kann durchaus als Liebeserklärung aufgefasst werden. Besonders eindrücklich ist der Mittelsatz, durchaus grotesk und mit DSCH-typischem Pferdegetrappel, das an Rossinis Ouvertüre zu Wilhelm Tell erinnert (Schmunzeln im Publikum). Die Chromatik des vierten Satzes, dem zweiten Adagio, birgt Trauer und Verzweiflung in sich. Das Programmheft bezeichnet den Finalsatz als „reines Heavy Metal“. Es ist ein tolles Stück, die Jerusalems spielen es mindestens mit „Heavy Wood“. Begeisterung im Publikum, das sich respektvoll für die vier Musiker erhebt.
Am Ende dieses dritten von fünf Konzerten haben wir das Gefühl, in den Mitgliedern des Jerusalem Quartet gute Freunde gefunden zu haben, die wir allabendlich sehen. Wie in einem äußerst angenehmen Urlaub, in dem tagsüber jeder für sich etwas unternimmt und man abends bei guten Speisen und Getränken zusammensitzt. Und natürlich bei guter Musik, es ist alles gar köstlich…
Nach dem Konzert ein bis auf fürchterliches Geböller – es ist der 20. September, nicht der 31. Dezember – schöner Spaziergang nach Godesberg mit dem Leiter der hiesigen Musikschule, den ich seit Jahrzehnten kenne, und einer sympathischen Bratschistin aus dem Beethoven-Orchester. Wir sprechen viel über Musik im Allgemeinen und Schostakowitsch sowie das Jerusalem Quartet im Besonderen.
David kennt Gott und die Welt: Eine Dame erzählt in der Konzertpause, sie kenne den Cellisten des Quartetts, seit er „so“ war, und deutet die Größe eines etwa Fünfjährigen an. An der U-Bahn-Haltestelle Heussallee treffen wir noch ein Ehepaar, das begeistert von einer weiteren Veranstaltung am Neuen Kanzlerplatz heimkehrt, mit herrlichem Sonnenuntergang im 27. Stock sowie dem Schubert-Quintett mit Artist in Residence Anastasia Kobekina.
Es ist viel los in diesen Tagen in Bonn. Viel Reizvolles. Leider kann man sich nicht aufteilen.
Dr. Brian Cooper, 21. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at