Wohlklang in der Zigarrenkiste

Jörg Widmann, Mitsuko Uchida, Brahms, Berg, Schubert, Schumann, Mendelssohn-Bartholdy,  Elbphilharmonie Hamburg

Foto: Claudia Höhne (c)
Johannes Brahms, Sonate f-Moll op. 120/1 für Klarinette oder Viola und Klavier
Alban Berg, Vier Stücke für Klarinette und Klavier op. 5
Jörg Widmann, Fantasie für Klarinette
Franz Schubert, Impromptu c-Moll D 899/1
Jörg Widmann, Sonatina facile
Robert Schumann, Drei Fantasiestücke op. 73 für Klarinette und Klavier,
Felix Mendelssohn-Bartholdy, Sonate Es-Dur für Klarinette und Klavier
Elbphilharmonie, Kleiner Saal, 7. Februar 2017

von Ricarda Ott

Der Kleine Saal der Elbphilharmonie steht in scharfem Kontrast zum Großen Saal. Hier geht es überschaubar, unaufgeregt und kammermusikalisch-intim zu.

Wenn aber wie am Dienstagabend zwei Ausnahmekünstler das Programm des Abends gestalten, steht das Konzerterlebnis musikalisch in keiner Weise einem Abend im Großen Saal nach. Im Gegenteil: dieser mit samtweichen Eichenpanelen aus Frankreich ausgekleidete „Kleine“ Saal – immerhin finden hier 500 Gäste Platz – ist wie geschaffen für dieses Konzert in der wohl akustisch besten und gemütlichsten Zigarrenkiste der Welt.

Mitsuko Uchida am Klavier und Jörg Widmann mit seiner Klarinette und als Komponist – sind beide derzeit Residenzkünstler der Elbphilharmonie und haben bereits seit der Eröffnung in den vergangenen Wochen das Hamburger Publikum begeistern können: Widmann mit seiner Auftragskomposition Arche am dritten Eröffnungsabend und Uchida mit einem Klavierabend im Großen Saal an einem der von ihr persönlich ausgewählten Steinway-Flügel.

Am gestrigen Abend nun betraten beide Künstler gemeinsam die Bühne. Im Duett und beide jeweils solistisch spielend, präsentierten die Britin mit japanischen Wurzeln und der Münchner ein vielseitiges und zum Träumen und Schwelgen anregendes, kurzweiliges Programm.

Zu Beginn die Sonate f-moll für Klarinette und Klavier von Johannes Brahms. Dieser hatte sie 1894 für den befreundeten Klarinettisten Richard Mühlfeld komponiert, über den er berichtete: „Man kann nicht schöner Klarinette blasen, als der hiesige Mühlfeld es tut.“

Nun, einen direkten Vergleich hatten die Zuhörer am gestrigen Abend natürlich nicht, aber Jörg Widmann machte das wunderbar. Sanft und butterweich ließ es sich schwelgen in den spätromantischen Klängen, die nach Freiheit und stürmischem Drängen schmeckten: Weite Melodiebögen, große und so weich gespielte Intervallsprünge, bevor tänzerische und folkloristische Rhythmen und Melodien die Melancholie durchbrachen. In ständigem Dialog musizierten beide Instrumente gleichberechtigt und sich gemeinsam unterstützend. Bereits in diesem ersten Stück wurde klar, dass die Chemie zwischen Uchida und Widmann stimmt – die wortlose Kommunikation, das aus der Musik strömende Timing.

Fort aus der Spätromantik und hinein in die musikalische Avantgarde: Alban Bergs Vier Stücke für Klarinette und Klavier op. 5 (1913). Diese vier Stücke gleichen einem musikalischen Hauch: so zerbrechlich und ungreifbar, dass ein Huster zu viel im Publikum die Töne wie Blütenblätter aufzuwirbeln und fortzuwehen drohte.

Vor der Pause dann Widmann mit seiner eigenen Komposition: Fantasie für Klarinette solo (1993). Ja, diese Fantasie strömt nur so aus ihm heraus und bestätigt: Widmann ist ein toller Komponist und ein Ausnahme-Virtuose an seinem Instrument. Läufe, dass einem schwindelig wird beim Zuschauen und jauchzend-jaulende Klezmer-Klänge. Die Klarinette brummt und scharrt, er „spricht“ in sie hinein und zaubert aus ihr „Schiffshorn-artige“ Doppeltöne. Diese Fantasie ist eine Liebeserklärung an die Klarinette und zeigt sie in ihrem ganzen Facettenreichtum. Bravo!

Nach der Pause dann Uchida solo mit Schuberts Impromptu (1827). Ein absolutes Highlight am Dienstagabend, der ja ganz im Zeichen stand von musikalischen Fantasien und „augenblicklichen Einfällen“ (franz. „Impromptu“). Ein Schubert-typisches einfaches, kleines Motiv, das im circa 10-minütigen Stück immer wieder auftaucht und am Ende herzerweichend schön durch Moll und Dur moduliert wird. Davor, dazwischen und danach mal erregte Akkordreihen oder ruhiges Pulsieren. Das Stück begeistert durch die musikalische Intuition und Impulsivität. Man sieht Schubert förmlich vor dem inneren Auge, ein Genie, aus dem die Klänge herausflossen wie aus einem musikalischen Brunnen.

Der schwarz-glänzende Lack des eleganten Steinways, made in Hamburg-Bahrenfeld, konkurrierte mit dem Funkeln und Glänzen der Klänge: Uchida entlockt diesem wunderschönen Instrument dessen ganze Schönheit.

Im Anschluss dann Uchida mit einem Widmann-Stück: Sonatina facile (2016), mit der er direkten Bezug nimmt auf Wolfgang Amadeus Mozarts bekannte Sonata facile. Wirklich facile klingt das aber nicht. Fragmentiert blitzen Mozarts Melodien hervor, umrahmt von schrillen Tastenanschlägen der höchsten oder tiefsten Oktave. Manchmal scheint es so, als wären Teile eines alten Notenblatts ausradiert und von Widmann neu ergänzt worden.

Auch dieses Stück spielte Uchida überzeugend und beeindruckend leichthändig.

Robert Schumanns Fantasiestücke bildeten den Abschluss und das i-Tüpfelchen des Konzerts. Hier zeigten beide Musiker noch einmal, was sie draufhaben. Widmann produzierte, scheinbar ohne jemals atmen zu müssen, die längsten Melodiebögen. Im zweiten, vor allem aber im dritten Stück – Rasch und mit Feuer – schien es, als tanze er mit seinem Instrument. Er ging in die Knie, markierte Ausfallschritte, die einem Walzer ähnelten, riss die Klarinette hoch oder hielt sie ganz dicht an seinem Körper.

Es ist eine Freude, diese Ausnahmemusiker an ihren Instrumenten zu erleben.

So gab es denn auch lauten und begeisterten Applaus im Kleinen Saal. Mehrmals kamen Mitsuko Uchida und Jörg Widmann auf die Bühne, umarmten sich und freuten sich sehr sympathisch mit- und füreinander. Als Zugabe schenkten sie dem Publikum noch einmal fünf Minuten pures, musikalisches Glück: den 2. Satz aus der unbekannten Sonate Es-Dur für Klarinette und Klavier, komponiert vom 14 Jahre alten Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Verzaubert und von all der Schönheit benommen verlassen die Gäste an diesem Abend den Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Dieser Konzertsaal gleicht nicht nur einer wunderschönen Zigarrenkiste, sondern einer musikalischen Wundertüte – bis oben angefüllt mit Klängen und Melodien vergangener Tage.

Ricarda Ott für klassik-begeistert.de,
8. Februar 2017

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert