Foto: Daniil Trifonov © Dario Acosta
Johann Sebastian Bach, Die Kunst der Fuge
Daniil Trifonov, Klavier
Philharmonie Berlin, 25. Oktober 2021
von Peter Sommeregger
Johann Sebastian Bachs monumentales Spätwerk „Die Kunst der Fuge“ war und ist immer ein Prüfstein für den Grad der Reife die ein Pianist erreicht hat. In den etwa 70 Minuten der Spieldauer muss der Interpret alle Register seines Könnens ziehen. Daniil Trifonov ist seit dem Gewinn der Klavierwettbewerbe in Tel Aviv und Moskau vor zehn Jahren vom Geheimtipp der Klavierszene praktisch zum prominentesten Virtuosen, nicht nur seiner Altersklasse, gereift. Es ist nur logisch, dass er sich nun auch des Klavierwerkes von Bach annimmt.
Mit einem kräftigen Akkord beginnt er die an den Anfang gestellte „Chaconne aus der Partita d-Moll für die linke Hand“. Dieses von Johannes Brahms für Klavier bearbeitete Werk hat einen hohen Schwierigkeitsgrad und zeigt Trifonov bereits auf der Höhe seines Könnens.
Ohne Übergang steigt er anschließend in das komplexe Hauptwerk des Abends ein. Wer befürchtet hatte, dass sich eventuell eine gewisse Monotonie in dem doch sehr langen Stück bemerkbar machen könnte, wurde positiv enttäuscht. Trifonov stürzt sich mit Elan in die Bach’sche Klangwelt und entlockt dem großen Steinway-Flügel einen selten gehörten Farbenreichtum.
Er versteht es seinen Anschlag zart wirken zu lassen, wobei der notwendige Nachdruck stets gegeben ist. Es gelingt ihm, die zahllosen Variationen des Hauptthemas deutlich zu verfremden, und sorgt damit für eine unerwartete Kurzweiligkeit seiner Interpretation.Trifonov strahlt eine große Ernsthaftigkeit und absolute Konzentration aus. Das überträgt sich auf das Publikum, den ganzen Abend kann man im großen Saal der Philharmonie tatsächlich die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören.
Nach dem zweiten Teil der „Kunst der Fuge“ spielt Trifonov noch, erneut ohne Übergang, „Jesus bleibt meine Freude“ aus der Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ in einer Bearbeitung der legendären Pianistin Myra Hess. Zwei Stunden hat der Pianist ohne Noten ein Programm fehlerfrei absolviert. Beeindruckend allein schon die Gedächtnisleistung.
Das hingerissene Publikum erklatscht sich noch drei klug gewählte Zugaben. Trifonov spielt kurze Stücke von drei Söhnen Bachs. Das letzte, von Carl Philipp Emanuel, ist in seiner Fröhlichkeit schon wie ein Vorgriff auf den Stil Mozarts. Ein begeisternder Abend der Spitzenklasse!
Peter Sommeregger, 26. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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